Kaddor und Schmidinger: „Kämpfer für Gott?“

Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger sprechen zum Thema: „Kämpfer für Gott? Warum Jugendliche für das Versprechen vom Paradies zu Mördern und Selbstmordattentätern werden.“

Sendungshinweis:

4.7.2015, 13.00 bis 14.00 Uhr
9.7.2015, 21.00 bus 22.00 Uhr

Es sind die klaren Botschaften: Man muss sich lediglich an die religiösen Botschaften halten und die werden einem von Brüdern und Schwestern einfach beigebracht. Man konvertiert nicht in den Islam, sondern in den Salafismus, sagt Lamya Kaddor. Die Weltreligion des Islam sei nicht so dogmatisch und streng, wie Fundamentalisten das gerne hätten, sagt die Religionslehrerin. „Du bist einfach Muslim!“, unabhängig davon, in welchem Land du lebst.

Die Sendung zum Nachhören:

Focus Lamya Kaddor Thomas Schmidinger

ORF

Lamya Kaddor

Orientierung ist ein wichtiger Punkt für junge Menschen. Sie sind überfordert von den Möglichkeiten, die ihnen die offene Gesellschaft anbietet. Es sind die Angebote, die ihrer Weltflucht eine Richtung geben. Die Fragen der Identitätsbildung - „Wer bin ich? Wer will ich sein?“ - beschäftigen uns ein Leben lang, erst recht in der Pubertät.
Jugendliche hätten oft die Erfahrung am Rand der Gesellschaft zu leben - nicht österreichisch, nicht-deutsch, nicht chancengleich.

Wer will ich sein?

Eben alles, was sich in dieser Lücke auftut. Diese Lücke füllen oft nicht die Eltern. Wichtig ist auch die Erfahrung der Gemeinschaft. Man ist somit nicht mehr allein der Außenseiter. Die äußere Bedrohung ist die nicht muslimische Mehrheitsgesellschaft und die innere Bedrohung sind die Muslime, die keine Fundamentalisten sind.

Die größte Zahl der Opfer im Islamischen Staat sind Muslime selbst. Mit der Identifikation mit dem Salafismus haben sie das Gefühl, eine wichtige Rolle zu übernehmen, Respekt zu erfahren und Macht zu erlangen. 16-Jährige beginnen ihre Eltern zu Ungläubigen zu erklären. Man beginnt den engsten Familien- und Freundeskreis abzustoßen.

Diese Jugendliche werden aufgewertet

Jugendliche mit ausländischen Wurzeln machen Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung. Sei es, dass dies sie selbst oder Angehörige betrifft. Auch sie selbst habe in Zeiten der Pubertät Diskriminierung durch ihre Andersartigkeit erfahren, betont Lamya Kaddor. Sie fühle sich als Deutsche mit syrischen Wurzeln - und für ihre Kinder sei das noch viel selbstverständlicher.

Der fundamentalistische Gott ist strafend, ist schnell rächend, ungnädig. Dass Gott im Islam durch die Barmherzigkeit gekennzeichnet sei, werde vollkommen ignoriert. Für Jugendliche, die nach Syrien gehen, ist Gott unbarmherzig. Schuld sei zuerst die Familie, die sicher zu wenig emotionalen Halt gebe. An zweiter Stelle seien auch öffentliche Einrichtungen wie Schule oder die Sozialarbeit verantwortlich.

Jugendliche und die Jihad-Romantik

Mädchen meinen, einem Märtyrer den Rücken stärken zu können, Seite an Seite mit ihm in den Jihad ziehen zu können. Ein vollkommen naiv-romantischer Blick darauf, auch indem sie dem Märtyrer ein paar Kinder zur Welt bringen kann um die Gemeinschaft zu vergrößern. Mädchen glauben, im Islamischen Staat gerecht behandelt zu werden. Die strengen Regeln verhelfen den Mädchen auch zur Rebellion gegen die eigenen Eltern. Pubertierende versuchen, ihren Eltern zu zeigen, wie Gebet und Fasten geübt und gelebt werden.

Es sei nicht nur eine religiöse Wiedererweckungsbewegung, sondern eine Jugendprotestbewegung. Es ist eine Rebellion gegen die Ausgrenzung, die sie auch in den Herkunftsländern ihrer Eltern erfahren.

Thomas Schmidinger

ORF

Thomas Schmidinger

Der politische Islam

Der Islam ist eine Religion und nichts als eine Religion. Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert gab es eine Politisierung bestimmter Strömungen des Islam, auch als Antwort auf die Säkulaisierung bestimmter islamischer Gesellschaften, merkt der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger an.

„Der politische Islam ist eine Bewegung mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie eine islamische Gesellschaft und ein islamisches Staatswesen organisiert sein sollten." Eine Strömung des politischen Islam ist der Salafismus.

Die Utopie vom ursprünglichen Islam

Die Utopie einer Rückkehr zum ursprünglichen Islam, zur ursprünglichen Umma - der ursprünglichen Gemeinschaft- aller Muslime - ist aus dieser Idee entstanden und war eine Abkehr von säkularen Staatsmodellen. Gemeinsam mit dem Salafismus hat sich der Jihadismus herausentwickelt. Eine solche Bewegung ist auch der Wahabismus - eine puritanische Form des sunnitischen Islam - in Saudiarabien. Zu erwähnen ist auch die Moslembruderschaft in Ägypten, die 1928 - als reaktionäre politisch-islamische und antikoloniale Bewegung - gegründet wurde.

Der moderne Jihadismus ist als Zusammenführung der drei politisch-islamischen Bewegungen entstanden. Es müsse allerdings zwischen einer jihadistischen Ideologie und einem jihadistischen Terrorismus unterschieden werden, betont Schmidinger. Nicht jeder, der die jihadistische Ideologie teile, sei ein Terrorist.

Der Islamische Staat

Der Islamische Staat- die moderne Ausformung des Jihadismus- ist eine Abspaltung der historischen al-Kaida. Er hat sich aus dem historischen Irak entwickelt, nach dem irakischen Bürgerkrieg. Der „IS“ will ein Territorium erobern und den Islamischen Staat hier und heute zu errichten.

Im Irak hat man darauf gesetzt, einen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten herbeizubomben. Der „IS“ ist apokalyptisch ausgerichtet - mit stärkerer Endzeiterwartung als al-Kaida. Der „IS“ ist nach dem Sturz Saddam Husseins entstanden, hat sich zuerst der al-Kaida unterstellt, hat zunächst die US-Soldaten im Irak bekämpft und dann haben sie begonnen, schiitische Moscheen und schiitische Prozessionen mit Bomben anzugreifen.

Zur Person:

Lamya Kaddor gilt als Pionierin der Islamischen Religionspädagogik in Deutschland und wurde zu einer der zehn einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Sie ist Gründungs-Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, lebt in Duisburg und arbeitet als Islamische Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Autorin.

Lamya Kaddor hielt ihren Vortrag auf Einladung der Vorarlberger Landesregierung im Montfortsaal im Landhaus in Bregenz.

lamyakaddor.jimdo.com

Dr. Thomas Schmidinger ist Politikwissenschafter sowie Kultur- und Sozialanthropologe. Er lehrt an der Universität Wien und an der Fachhochschule Vorarlberg. Schmidinger ist ein ausgewiesener Kenner des Nahen und Mittleren Ostens und ist Vizeobmann des in der Jihadismusprävention tätigen, neu gegründeten Netzwerks »Sozialer Zusammenhalt, Prävention, Deradikalisierung und Demokratie« (derad.at).

„Jihadismus, die Radikalisierung und Deradikalisierung. Jugendliche und junge Erwachsene zwischen ‚Islamischem Staat‘ und al-Qaida. Wie können Lehrpersonen und Eltern Tendenzen erkennen und was können sie tun?“ - Thomas Schmidinger hielt diesen Vortrag an der Pädagogischen Hochschule in Feldkirch.

homepage.univie.ac.at

Literaturhinweis:

Lamya Kaddor, Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen. Piper-Verlag

Thomas Schmidinger und Moussa Al Hassan Diaw, Jihadismus: Ideologie, Prävention und Deradikalisierung. Mandelbaum Verlag.

Musik:

CD* RADIO FM4 - SOUND SELECTION 19
T* Biting creepers

LP* Zirzop
T* Zirzop

CD* CHRISTOPH KOLUMBUS - VERLORENE PARADIESE
T* Improvisation : Hymne Sufi
U* 1408 : Herrschaft des Nasriden Emirs Jusuf III.
AS* Yusuf
G* I. ALTE WEISSAGUNGEN UND DEUTUNGEN

G* CROSSING THE BRIDGE - THE SOUND OF ISTANBUL / Original Filmmusik
T* Ab-i hayat