„Was Suchtkranke suchen“

Helmut Zingerle und Reinhard Haller sprechen in der ORF Radio Vorarlberg Sendung „Focus - Themen fürs Leben" über das Thema „Was Suchtkranke suchen - oder die Rede vom radikalen Glück…“

Sendungshinweis:

Samstag, 28.3.2015, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
Donnerstag, 2.4.2015, 21.00 bis 22.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg (WH)

„Gesund und glücklich zu sein, ist in der Moderne fast schon zur Pflicht geworden, und wer dem nicht entspricht, der zählt rasch zu den Verlierern“, schreibt der Psychotherapeut und Gesundheitspsychologe Helmut Zingerle.

Gibt es verschiedene Glücksgefühle? Sind Glück und Wohlbefinden identisch? Ist Glück so etwas wie Freude oder ist Freude Glück? Am Glück hängen nicht nur ausschließlich positive Gefühle, es können auch negative Gefühle damit verbunden sein: Man denke, erinnert Helmut Zingerle, an die Freude der Geburt, bei der große Schmerzen auszuhalten waren.

Die Sendung zum Nachhören:

Sucht - (k)eine minderwertige Krankheit

Suchtkranke gehören zu den Patientengruppen, die am schlechtesten abschneiden, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Gesundheitssystem. Sparmaßnahmen beginnen bei den Suchtkranken; zudem sei das Image des Suchtkranken alles andere als positiv, beklagt Zingerle. Bei wiederholten Rückfällen komme man schnell aus den gesundheitsmedizinischen Betrachtungen zu moralischen Sanktionen.

Focus Zingerle Haller

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Helmut Zingerle

Mit diesen Sanktionen wolle man so etwas wie Rückfälle sanktionieren. Der Gedanke dahinter sei, „der Süchtige braucht Struktur, und wenn er sie schon nicht selber entwickelte, dann muss man sie ihm von außen geben“, beschreibt Zingerle die Problemstellung.

Bewertung: Was ist Erfolg?

Wenn Erfolg immer nur an einem Kriterium gemessen wird, werde er nicht differenziert betrachtet. „Ist es nicht ein Erfolg, wenn jemand nach einer stationären Behandlung für ein oder zwei Jahre weniger oder gar keine Substanzen konsumiert? Wenn sich der Betroffene von seinen Folgeerkrankungen so erholen kann, dass wir seine Überlebensdauer verlängern?“

Erfolg in der Suchtbehandlung heiße: „Jemand stirbt abstinent“. Wohlbefinden bei Suchtkranken heißt Lebenszufriedenheit. Mit der Fähigkeit, in- und externe Anforderungen gut bewältigen zu können. Das habe mit Gesundheit und Lebenskompetenz zu tun. Wohlbefinden bedeute auch, eine gewisse Genusskompetenz zu entwickeln, allerdings hätten die Suchtpatienten die Genussfähigkeit verloren, sagt Zingerle.

Risse ausbessern und die fünf Säulen stützen

Für eine stabile Identität benötigt man dem Begründer der integrativen Psychotherapie Hilarion Petzold nach fünf Säulen, wie körperliche und seelische Gesundheit, Familie, soziale Beziehungen, berufliche Tätigkeit, sowie eine entsprechende Wohn- und finanzielle Situation. „Es sind fünf Säulen, die beim Suchtpatienten irgendwo brüchig geworden sind. Sie fallen nicht alle ineinander, sie werden aber Risse bekommen haben“. Die Therapie müsste sich überlegen, wie man die Risse ausbessern kann und wo man die Säulen stützen kann.

Focus Zingerle Haller

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Reinhard Haller

Der Therapeut habe dafür zu sorgen, dass die Wahlmöglichkeiten für einen Klienten vergrößert werden. Schränkt sie der Therapeut ein, oder erweitert er sie, geht der Patient mit mehr oder weniger Möglichkeiten in sein Leben zurück? Therapie sei wie eine Reise zu zweit, als gemeinsam Reisende. Psychotherapie ist der Versuch herauszufinden, was und wohin der Andere will: „Wichtig ist, welches Ziel verfolgen wir“. Der Beziehungsaspekt ist in der Therapie ein ganz zentraler, sagt Zingerle.

Wir haben den Vortrag beim Symposium Sucht und Gesellschaft im Jugend-und Bildungshaus St. Arbogast in Götzis aufgezeichnet.

Zur Person:

Dr. Helmut Zingerle, Leiter Therapiezentrum Bad Bachgart, Rodeneck, Südtirol. Studium der Psychologie, Philosophie und Erziehungs-wissenschaft in Innsbruck. Lehrtherapeut der österreichischen Ärztekammer. Umfangreiche Vortragstätigkeit im Bereich Abhängigkeiten, psychosomatische Störungen allgemein, Essstörungen.

Univ. Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller, Chefarzt der Stiftung, Leiter KH Maria Ebene. Haller ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und seit 20 Jahren ärztlicher Leiter des Vorarlberger Behandlungszentrum für Suchtkranke und Drogenbeauftragter der Vorarlberger Landesregierung. Seit 1983 ist er gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger und gilt als internationaler Experte für Kriminalpsychiatrie. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Sucht und Suizid, Forensische Psychiatrie und Kriminologie.

Literatur:

Francois Lelord, Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück. Taschenbuch. Verlag Piper

Zum Inhalt: Es war einmal ein ziemlich guter Psychiater, sein Name war Hector, und er verstand es, den Menschen nachdenklich und mit echtem Interesse zuzuhören. Trotzdem war er mit sich nicht zufrieden, weil es ihm nicht gelang, die Leute glücklich zu machen. Also begibt sich Hector auf eine Reise durch die Welt, um dem Geheimnis des Glückes auf die Spur zu kommen.

Reinhard Haller, (Un)glück der Sucht: Wie Sie Ihre Abhängigkeiten besiegen. ecowin.

Musik:

CD Herzohr
Monsona