„Beatrice Cenci“: Unschuldig schuldig

Berthold Goldschmidts Oper „Beatrice Cenci“ basiert auf einem historischen Kriminalfall und plädiert für Mitleid mit einer Mörderin. Mit der österreichischen Erstaufführung dieser Opernrarität werden die 73. Bregenzer Festspiele am Mittwoch eröffnet.

Er galt als eines der großen Operntalente der 1920er Jahre. Seine erfolgreich begonnene Laufbahn endete jäh, als Berthold Goldschmidt vor dem NS-Regime fliehen musste. Bereits 1923 hatte er mit der Arbeit an „Beatrice Cenci“ begonnen. Die Uraufführung im Jahr 1988 konnte er noch erleben. Möglicherweise bringt die österreichische Erstaufführung bei den Bregenzer Festspielen die Oper nun dauerhaft ins Repertoire.

Die Geschichte basiert auf einem – oft erzählten, vertonten, verfilmten – realen Kriminalfall aus dem Jahr 1599. Der ebenso reiche wie verrufene Francesco Cenci war von Ehefrau Lucrezia und Tochter Beatrice ermordet worden. Dem Volk von Rom erschien die Tat mehr als verständlich, hatte sich der Graf doch seit seiner Kindheit durch Brutalität und Zügellosigkeit einen dauerhaft schlechten Ruf erworben. Für seine Verbrechen erkaufte er sich das Schweigen der Gerichte, besonders der päpstlichen Kurie – denn Cenci hatte ein sagenhaftes Vermögen geerbt, in dessen Besitz sich Papst Clemens VIII. durch sein Vertuschen von Cencis Verbrechen nach und nach bringen konnte.

Frau und Tochter hingegen wurden nach der Ermordung Francesco Cencis gefoltert, um ein Geständnis zu bekommen. Papst Clemens VIII. erteilte die dafür nötige Sondergenehmigung. Die Verurteilten wurden öffentlich hingerichtet. Den wertvollsten Teil des Familienbesitzes erwarb ein Neffe des Papstes zu einem auffallend günstigen Preis.

Ein bösartiger Narzisst

Für wen gibt es Gerechtigkeit? Wie weit reicht die Manipulationsgewalt eines bösartigen Narzissten? Diese Fragen stellt die Oper, für die Goldschmidt die Dramenvorlage von Percy Bysshe Shelly aus dem Jahr 1819 nutzte. Man darf allerdings davon ausgehen, dass den Komponisten auch die eigenen Lebensfragen in diesem Stoff beschäftigten: Die Manipulationsgewalt des Nazi-Regimes und des Verbrechers Adolf Hitler und die Frage, ob es Gerechtigkeit für die Vertriebenen geben werde.

Oper „Beatrice Cenci“ bei den Festspielen

Der deutsche Komponist Berthold Goldschmidt hat die Geschichte eines Mädchens aus dem italienischen Hochadel, das ihren tyrannischen Vater ermorden ließ, zur Oper gemacht.

Johannes Erath (Regie) rückt diese Fragen weiter in die Gegenwart. Er stattet Cenci mit Michael Jacksons Glitzerhandschuh und einem Rockstar-Gehabe aus, das die Popularität narzisstischer Gestalten des öffentlichen Lebens hervorhebt. Regisseur Johannes Erath meint über Francesco Cenci: „Wir leben in einer Zeit des Narzismus. Diese Selbstdarstellung, und wie er auch sagt, ‚mein Name wird bleiben‘, das ist für ihn das Allerwichtigste, das er sogar noch über den Tod hinaus Macht ausüben kann.“

Christoph Pohl als Darsteller des Grafen Cenci verleiht der Figur verführerischen Glanz und eine große Prise Charme. Das macht das Bösartige dieses Charakters umso tiefer fühlbar.

Chancenlose Frauen

Ausgeliefert sind ihm die beiden Frauen – Lucrezia (Dshamilja Kaiser) fast stumm, dabei immer mütterlich präsent, und Beatrice (Gal James), ein Kind, dessen Zärtlichkeit und Lebendigkeit zertreten wurde und das doch nur diese eine Sehnsucht kennt. Ihr schreibt Berthold Goldschmidt ein wunderbar einfaches, todtrauriges Wiegenlied.

Johannes Debus (musikalische Leitung) akzentuiert die Vielschichtigkeit der Komposition. Anklänge an Renaissance- und Barock-Musik finden sich darin ebenfalls wie jazzige Impressionen der 1920er Jahre und ein feinsinnig überlegter Umgang mit (A)tonalität.

Schluss-Szene

Mit einem Requiem endet die opulente Inszenierung mit ihrer dezent eingesetzten Farbigkeit (Bühne: Katrin Connan; Kostüme: Katharina Tasch). Und während der Chor sein „lux aeternam“ anstimmt, werden noch einmal alle Formen des Lichts durchgespielt: vom Meer der Kernen, das die Geldberge zum Glitzern bringt und den Papst hinter einer flackernden Wand verbirgt, über die Projektionen von Puppen, dem Symbol schlechthin für Kindes-Missbrauch, bis zum Streichholz, das langsam erlischt und die Frage offen lässt, wem hier das ewige Licht leuchten wird: der Kirche, die ein Requiem in Auftrag gibt oder dem halben Kind, das schuldig wurde, weil es die Verbrechen des Vaters nicht mehr ertrug.

Aktualität der Oper

Christoph Pohl, der die Rolle des Francesco Cenci singt, meint zur Aktualität des Stücks: „Diese Persönlichkeiten gibt es ganz viele und ganz stark, grade leider politisch, die sich hervortun, um genau auch mit Gewissenlosigkeit einerseits, berechnend andrerseits, ganz extreme Änderungen herbeiführen wollen. Ich glaube, dass die Mechanik sicherliche zeitlos ist, ja, und heute aktueller als man denkt“.

Ingrid Bertel, ORF Vorarlberg

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