Juristen prangern Zweiklassenjustiz an

Es werde immer teurer, sein Recht vor Gericht durchzusetzen, warnen Rechtsexperten. Recht habe, wer Geld hat, titelte am Wochenende die „Neue Vorarlberger Tageszeitung“. Der Jurist Bernd Schilcher sagt, ein „Normalsterblicher“ könne sich ein Gerichtsverfahren kaum noch leisten.

Schilcher weiß, wovon er spricht. Er war Vorstand des Instituts für Bürgerliches Recht an der Universität Graz. Schilcher weist darauf hin, dass die Rechte von Staatsbürgern, ob Grundrechte, Privatrechte, Rechte als Beschuldigte oder Verurteilte, nur etwas wert seien, wenn man sie durchsetzen könne. Und das werde immer kostspieliger.

Es fange bei den Gerichtsgebühren an. Der österreichische Staat kassiere im Vergleich zu anderen europäischen Staaten das Fünffache von den Rechtssuchenden, so Schilcher. Mit den Gebühren für Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher und Beisitzer, den Honoraren für Anwälte und den Kosten für Rechtsberatung und Beweissicherung „käme immer häufiger ein hübsches Sümmchen zusammen, das sich ein Normalsterblicher kaum mehr leisten kann“, wird Schilcher in der Wochenendausgabe der Zeitung zitiert.

Mittelschicht droht durch Prozesse Armut

Schon eine langwierige Scheidung, bei der es ums Haus geht, Erbschaftsprozesse oder dauernde Reibereien mit Nachbarn könnten für Angehörige der Mittelschicht den Absturz in die Armut bedeuten, beobachtet Schilcher. Rechtsschutzversicherungen seien da keine Hilfe, zumal sie Kunden einfach kündigten, sobald eine Kostenlawine drohe.

Schilcher bedauert, dass sich auch im Strafverfahren die meisten Beschuldigten, die später Anspruch auf Verfahrenshilfe haben, im Ermittlungsverfahren vor der Polizei keinen Anwalt leisten könnten. „Die Verfahrenshilfe zahlt einen Rechtsanwalt erst ab der Hauptverhandlung. Das ist besonders unsinnig, weil gerade im Vorverfahren vieles nachhaltig verhaut wird“, so Schilcher wörtlich.

Werner Tomanek spricht von „Zweiklassenjustiz“

Der prominente Wiener Strafverteidiger Werner Tomanek pflichtet Schilcher bei. Im Strafprozess seien Reiche, die verdächtigt oder beschuldigt werden, im Vorteil. Reiche hätten schon im Ermittlungsverfahren größere Chancen, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden, so Tomanek.

Tomanek führt in seinem Buch „Die Zwei-Klassen-Justiz“ aus, in welchem Stadium Geld tatsächlich eine Rolle im Strafverfahren spielt: wenn man einen fachkundigen Rechtsanwalt - mit Spezialgebiet - engagieren könne, statt auf die Verfahrenshilfe angewiesen zu sein. Wenn man sich Eingaben bei Gericht leisten könne, ohne auf die Kosten zu achten.

Es sei vor Gericht ähnlich wie im Gesundheitsbereich. Reiche könnten sich die besseren Ärzte und die kostspieligeren Behandlungen leisten, andere nur die Grundversorgung, so Tomanek. Nur Verdächtige mit einer gut „gefüllten Kriegskasse“, wie Tomanek es nennt, könnten mehrjährige Ermittlungsverfahren durchstehen.

Paradebeispiel: Fall Meinl

Der Fall Meinl gilt als Paradebeispiel für ein Verfahren, bei dem viel Geld eingesetzt wird. Angeblich hat Julius Meinl laut Medienberichten bisher mehr als 20 Millionen Euro für Klagen ausgegeben. Es wurde auch der ermittelnde Staatsanwalt angezeigt. Möglicherweise damit verbundene Verzögerungen im Ermittlungsverfahren und zusätzliche Kosten werden dem Anschein nach in Kauf genommen. Das Verfahren dauert inzwischen fünf Jahre.

Aus der Sicht des Wiener Strafverteidigers Tomanek steigt man im Ermittlungsverfahren besser aus, wenn man reich ist. Es nicht zur Anklage kommen zu lassen, so Tomanek, sei das Ausschlaggebende für einen Beschuldigten. Wenn ein Beschuldigter auf den zufällig eingeteilten Verfahrenshelfer erst in der Hauptverhandlung treffe, sei nicht mehr viel zu retten.

Staatsanwaltschaft bekräftigt: „Geld spielt keine Rolle“

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch prüft jährlich mehr als 10.000 Anzeigen. Rund die Hälfte mündet in einer Anklage vor Gericht, jedes zweite Ermittlungsverfahren wird eingestellt. Dem Leiter der Staatsanwaltschaft Wilfried Siegele sind Querschüsse gegen die Justiz nicht fremd, dennoch bleibe die Justiz unbeeindruckt von Geld und anderen Einflüssen, betont Siegele.

Er räumt ein, dass immer wieder Ermittler, Staatsanwälte und Sicherheitsbeamte angefeindet oder auch angezeigt würden. Siegele wörtlich: „Wir müssen (...) solche Anfeindungen aushalten. Und es kann auch nicht sein, dass ein Verfahren deshalb nicht zur Aufklärung führt, weil man glaubt, dass man sich durch das Anzeigen eines Staatsanwaltes oder eines Polizisten einen Vorteil verschaffe.“

Es möge sein, dass vermögende Verdächtige mehr Geld für Verteidiger ausgeben könnten, so Siegele. „Letztendlich aber haben wir Sachverhalte zu prüfen, unabhängig davon, ob jemand verdächtigt wird, der viel Geld hat oder wenig.“

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Statement Wilfried Siegele, Leiter der Staatsanwaltschaft Feldkirch