Aktionstheater: „Lüg mich an“
Anja Köhler
Anja Köhler
Kultur

„aktionstheater ensemble“: Grauen des Krieges

Das neue Stück des „aktionstheater ensemble“ „Lüg mich an und spiel mit mir, Pension Europa 02“ macht das Grauen des Ukraine-Krieges, aber auch die absurde Ignoranz und Distanz sichtbar. Das Werk in der Inszenierung von Martin Gruber feierte am Mittwoch seine Uraufführung in Bregenz, ab 2. Juni ist das Stück im Wiener Werk X zu sehen.

Die Welt ist in Schieflage geraten. Das „aktionstheater ensemble“ verdeutlicht das im Vorarlberger Landestheater mit einer runden Spielfläche, die sich zum Publikum hin neigt. „The Waltons“, die Anwendung von Weichspüler, wie man als Mann „richtig“ sitzt, die Empörung über einen sehr teuren Kaffee in der Schweiz und die Bedeutung des Nazigoldes ebendort.

Dabei wird zwischen den alltäglichen Banalitäten der Krieg in der Ukraine zum Thema, was eskaliert: Der Russe wird verprügelt, Gewalt wird blutig zelebriert. Zum Drüberstreuen kauen die Darsteller die ganze Zeit an Fruchtgummischlangen – wie kleine Kinder, die man im Angesicht des Schreckens ablenken muss. Oftmals findet man sich selbst oder Teile seiner eigenen Haltung im Spiel, das macht „Lüg mich an und spiel mit mir“ so ansprechend.

„Lüg mich an und spiel mit mir“

Das Aktionstheater wollte für das Festival „Bregenzer Frühling“ ein Stück über Demokratie proben, als Putin seinen Angriffskrieg in der Ukraine startete. Martin Gruber und sein Ensemble planten also kurzerhand um. Am Mittwochabend wurde „Lüg mich an und spiel mit mir“ als erstmalige Kooperation mit dem Vorarlberger Landestheater ebendort uraufgeführt.

Viel Bewegung und enorm kritisch

Man ist vom „aktionstheater ensemble“ gewohnt, dass es Themen aktuell aufgreift wie wohl keine andere Gruppe in Österreich. Mit dieser schnellen Umsetzung eines Stücks, das den Krieg thematisiert, scheint das Team um Martin Gruber die Realität fast zu überholen, ist nah dran wie nie. Die Truppe tut das bei der Generalprobe in ihrer unverwechselbaren Art – mit Rhythmus, viel Bewegung, kraftvoll und enorm kritisch nach allen Seiten. Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Luzian Hirzel, David Kopp und Tamara Stern schaffen es, ihren Figuren Eigenleben und Individualität zu geben. Valerie Lutz packte die Akteure in hautfarbene formgebende Unterwäsche – das Spiel geht einerseits unter die Haut, prallt andererseits ab an diesen straff sitzenden Hautpanzern.

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Aktionstheater: „Lüg mich an“
Anja Köhler
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Verbindungen werden hergestellt

Für die Produktion wurden die Wiener Edel-Rock-Formationen „The Fictionplay“ und „Gewürztraminer“ gewonnen. Gemeinsam erarbeiteten die Musiker Dominik Essletzbichler, Daniel Neuhauser, Gidon Oechsner und Daniel Schober einen Sound, der das Spiel der Darsteller betont und bestens ergänzt, ohne sich in den Vordergrund zu schieben. Besonders gelingt das, wenn sich aus einem Musikstück das Schlagzeug herausschält, um zur kriegsantreibenden Marschmusik zu mutieren, während Bombenruinen zu sehen sind. Mehrere runde Gucklöcher im Hintergrund – oder sind es Einschusslöcher? – zeigen Ausschnitte.

Sendungshinweis: „Vorarlberg heute“, 19. Mai 2022, 19.00 Uhr, ORF2V

Resa Lut lässt in ihren Videoeinspielungen Getreide im Wind wogen, wechselt dann zum zerbombten Theater in Mariupol, nur um kurz darauf in ein Livebild in den Zuschauerraum des Landestheaters zu schalten. Das geht unter die Haut, das geht nahe, das schafft Beziehung zwischen den Menschen in der Ukraine und dem Hier und Jetzt im Landestheater. Was die Zuschauer davon mit nach Hause nehmen, wird sich zeigen. Die Premiere am Mittwoch quittierte das Publikum laut Beobachtern jedenfalls mit Betroffenheit und Riesen-Applaus.