Erik Sandner als junger Redakteur
Erik Sandner
Erik Sandner
50 Jahre Funkhaus

Nachrichten im Wandel: Ein Rückblick mit Erik Sandner

Redakteur Erik Sandner war 42 Jahre lang eine der Nachrichtenstimmen von ORF Radio Vorarlberg. Im Sommer 1980 fing er als Ferial-Praktikant im Funkhaus in Dornbirn an und ging heuer im Sommer in Pension. Sandner erlebte den Wandel des Funkhauses hautnah mit. Im Interview erzählt er, wie sich seine Arbeit im Laufe der Zeit verändert hat.

ORF Vorarlberg: Wann hast Du beim ORF angefangen und wie bist Du dazugekommen?

Sandner: Der Vater einer Studienkollegin gab mir im Sommer 1979 – damals war ich Student in Salzburg – die Möglichkeit, bei einer TV-Produktion über Vorarlberg als „Mädchen für alles“ mitzuarbeiten: Kamerastativ tragen, Licht aufbauen, Kabel verlegen, Kaffee holen – was halt so anfiel. In den Semesterferien im März 1980 hab ich dann im „Aktuellen Dienst“ Radio schnuppern dürfen und in den Sommerferien die ersten Beiträge gemacht. In den Semester- und Sommerferien 1981 ging das so weiter, und im Oktober 1981 hab ich dann die Anstellung bekommen – und bin dabei geblieben.

ORF Vorarlberg: Wie wurde damals recherchiert – es gab ja noch kein Internet?

Sandner: Am Anfang gab es nicht einmal elektrische Schreibmaschinen… Das Telefon und persönliche Gespräche waren die wichtigsten Informationsmittel. Man musste sich möglichst schnell ein gutes Netz von Kontaktleuten aufbauen, die man fragen konnte. Presseaussendungen von Parteien und Verbänden kamen per Post oder per Fernschreiber.

ORF Vorarlberg: Wie wurde damals ein Liveeinstieg gemacht?

Sandner: Unsere Technik-Abteilung war da recht gut aufgestellt: Die hatten einen großen Kombi mit Funktechnik und einer Tonband-Maschine vollgestopft, da konnte man live in Sendung funken mit Originaltönen von der Tonbandmaschine. Da musste natürlich immer ein Tonmeister dabei sein. Beim Landesgericht Feldkirch haben wir uns zu Beginn immer die Taschen mit 10-Schilling-Münzen vollgestopft, um vom Münztelefon am Eingang aus live in die Sendung hinein zu telefonieren. Später durften wir uns dann in der Telefonvermittlung des Landesgerichts zurückrufen lassen, das war schon ein Fortschritt…

ORF Vorarlberg: Was hat sich aus technischer Sicht im Laufe der Jahre geändert? Damals wurde alles mit Tonbändern aufgenommen – wie war das?

Sandner: Das war – im Vergleich zu heute – sehr mühselig: die Interviews wurden im Studio mit Tonmeister aufgenommen und dann bearbeitet; Interviews, die wir selbst draußen aufgenommen haben, konnten wir in einem Extra-Raum im der Redaktion bearbeiten. Da wurde tatsächlich „geschnitten“ – mit einer kleinen Schere an der Bandmaschine und Klebeband. Wenn man einen Buchstaben zu viel abgeschnitten hatte, musste man den Schnipsel suchen. Film-Material musste man – mit getrennt auf Tonband aufgenommenem Text – per Zug nach Wien schicken, um es dort bearbeiten zu lassen, im Funkhaus in Dornbirn konnten wir das nicht. Mit Aufkommen der Kleinelektronik war das dann einfacher im TV. Und im Radio ist heute schon lange alles digital – wir haben Mikrofone mit eingebautem Speicherchip und können alles selbst auf dem Computer bearbeiten und uns auch selber aufnehmen.

ORF Vorarlberg: An was kannst Du dich noch gut erinnern? Wen hast Du zum Beispiel interviewt, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Sandner: Franz Kardinal König an seinem Urlaubsort in Gargellen ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, und auf seine Art auch Otto Habsburg. Ich war Reporter bei den Papstbesuchen in Liechtenstein 1985 und in Innsbruck 1988, hab eine Reihe von Kanzlern und Bundespräsidenten interviewt. Und es gab natürlich auch unzählige Interviews mit allen möglichen Menschen – von gerade überfallenen Bankangestellten über Augenzeugen von Unfällen oder Überschwemmungen bis hin zu sogenannten „einfachen Leuten“, die einfach ihre Anliegen schildern wollten.

ORF Vorarlberg: Wie wurde aus dem Landtag berichtet?

Sandner: Mit Bezug des neuen Landhauses 1981 bekamen wir im Landtags-Trakt ein vollwertiges Radio-Studio. Auf einer Bandmaschine wurden durchgehend die Reden aufgenommen, die später dann in der Sendung verwendeten Reden-Ausschnitte mussten auf eine zweite Maschine umkopiert und dann dort geschnitten werden. Auch die vielen Pressekonferenzen im Landhaus konnten wir in diesem Studio bearbeiten. Heute ist auch dieses Studio natürlich digitalisiert, die Bearbeitung ist unvergleichlich schneller geworden, das Studio wird viel genützt, auch außerhalb der Landtags-Tage.

ORF Vorarlberg: Heute ist der Weg von der Fragestellung bis zur Veröffentlichung der Nachricht kurz. Wie war das damals? Man musste ja lange auf Rückrufe warten, es gab ja kein Handy…

Sandner: Stimmt, wenn man Pech hatte, musste man schon mal bis in den Abend warten, um die letzte Information für einen Beitrag zu kriegen, der am nächsten Morgen gesendet werden sollte. Man muss aber auch sagen: Die Schlagzahl der Nachrichten-Sendungen war doch deutlich niedriger, es ging schon eher „gemütlicher“ als heute zu, wo man jede Stunde eine Sendung bestücken muss.

ORF Vorarlberg: Tonbandaufnahmen wurden mit Taxis ins Funkhaus gefahren – stimmt das?

Sandner: Davon hab ich auch gehört, selber hab ich das aber nicht erlebt. Was ich aber erlebt habe war, dass ich im Dienstauto bei der Autobahnabfahrt Dornbirn schon die Signation der Mittagssendung gehört habe, für die ich ein Interview mit einem in Bregenz überfallenen Bankangestellten liefern musste. Wir haben das dann einfach ungeschnitten gesendet…

ORF Vorarlberg: Es soll im Funkhaus auch einen extra Raum für Fax-Nachrichten gegeben haben, der sich über Nacht mit Papier gefüllt hat – stimmt das?

Sandner: Das war der Raum mit 3 Fernschreibern, die Tag und Nacht liefen und kilometerweise Papier ausspuckten. Eine Sekretärin hat das vorsortiert, was für Vorarlberg relevant war – eine mühsame Heidenarbeit – und wir Redakteure und Redakteurinnnen haben dann ausgewählt. Ein Fax-Gerät haben wir erst später bekommen – und das als Riesen-Fortschritt angesehen. Was wir nicht gleich überrissen: Fax-Papier verbleicht sehr schnell, vieles konnte man schon ein paar Jahre später nicht mehr lesen – also denkbar schlecht geeignet zum Archivieren.

ORF Vorarlberg: Wie aufwändig war es, einen Radiobeitrag zu gestalten?

Sandner: Wie heute auch war das ganz unterschiedlich: ein gut gelungenes Interview ist in kurzer Zeit sendefertig, ein aus Text und Originalton-Ausschnitten bestehender „gebauter Beitrag“ kann mitunter Tage dauern, wenn man verschiedene Interviewpartner einbauen will. Und wenn man dann noch eine Geräusch-Spur dazu mixen wollte, dann ist man zum Tonmeister gegangen – die jüngeren RedakteurInnen heute machen das aber alles am PC selbst…

ORF Vorarlberg: Wie lange war ein Radiobeitrag früher, wie lange ist er heute?

Sandner: Als ich angefangen habe, galt ein Beitrag unter 3:30 Minuten fast als Arbeitsverweigerung – vier bis fünf Minuten waren am Anfang eher die Regel. Das wurde dann sukzessive kürzer, heute ist ein Beitrag mit 2:30 Minuten schon ein Ausnahmefall. Wie gesagt: Die Taktung ist heute einfach schneller, man geht davon aus, dass die Leute einem einzelnen Thema nicht mehr so lange zuhören wollen. Ich hab diese Entwicklung immer bedauert, weil ich finde, man soll die Zuhörenden niemals unterschätzen – auch wenn allgemein die Aufmerksamkeitsspanne ständig sinkt. Man könnte dem durchaus gegensteuern – wenn´s das Thema und die Machart trägt.

ORF Vorarlberg: Die Konkurrenzsituation – plötzlich Privatradio – dann kann online – wie war das?

Sandner: Also zuerst möchte ich sagen: ich habe das duale System – also Öffentlich-Rechtliche und Kommerzielle Sender – immer befürwortet. Beide haben ihre Aufgaben, das Publikum entscheidet. Dazu kommt, dass Radio Vorarlberg ja immer schon im Wettbewerb war, mit Sendern aus Deutschland und der Schweiz. Insofern hat sich da mit der Zulassung von kommerziellem Radio in Österreich für uns nicht viel geändert. Und das war und ist ja auch im Fernsehen so. Mich hat es immer gefreut, wenn ich mal in der Schweiz TV-Beträge gedreht habe, dass viele dort sagten, ihre Lieblings-Nachrichtensendung sei die ZiB 2, und später dann haben sie natürlich auch „Vorarlberg heute“ gelobt. Online war natürlich eine völlig neue Dimension: Wir Radio-Menschen mussten uns damit abfinden, dass das Radio nicht mehr immer das schnellste Medium ist, daran mussten wir uns erst gewöhnen. Inzwischen finde ich, dass wir das über die Jahre ganz schön verzahnt haben: Im Radio die Kurzinformation mit Verweis auf die ausführlichere Internet-Geschichte zum Thema, ich denke, das ergänzt sich gut.

ORF Vorarlberg: Aktualität – wie schnell erfuhr man von z.B. von einem Großbrand usw.?

Sandner: Das war ganz unterschiedlich: Mal erfuhr man durch den Anruf eines Anrainers oder eines Bekannten eines Redakteurs/einer Redakteurin, wenn es wo gebrannt hat, oder jemand hat die Feuerwehr gesehen. Manchmal haben wir das auch erst viel später erfahren, durch einen Bericht der Polizei. Mit der Zeit haben wir ein Netz an Fotografen als Freie Mitarbeiter aufgebaut, die meist sehr schnell an Ort und Stelle sind. Polizeifunk haben wir nicht abgehört – war ja auch verboten.

ORF Vorarlberg: Was hat sich im Journalismus generell geändert?

Sandner: Sehr, sehr viel, wie ich meine. Ältere Medienmenschen beklagen immer, dass sich alles so sehr beschleunigt hat, Nachrichten gehen in wenigen Sekunden um die Welt, gleichzeitig steigt der Anteil an fake-news, was man sorgfältig prüfen muss, aber das kostet Zeit, die man nicht hat. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass wir Medienmenschen auch alles dazu beigetragen haben, dass sich die Informations-Welt immer schneller dreht. Aber diese Zeitnot darf nicht dazu führen, dass der Journalismus tendenziell unkritischer wird: Wir haben das ja erst in den letzten Monaten in der ÖVP-Wirtschaftsbund-Affäre gesehen, wie wichtig es ist, dass sich mehrere Kollegen und Kolleginnen auch mal ein paar Tage durch Akten wühlen können, bevor etwas auf Sendung geht, das dann auch hält. So – vermeintlich altmodische – Tugenden wie Seriosität und Wahrhaftigkeit müssen weiter unsere Währung bleiben können.