Trockener Boden auf Feld
ORF.at/Viviane Koth
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Wissenschaft

Wissenschaftler über Wege aus der Klimakrise

Die Klimakrise ist ein bestimmendes Thema. Häufig hört man von Waldbränden oder Überschwemmungen, von Protesten und politischen Unstimmigkeiten. Seltener geht es um Strategien, die Wege aus der Krise aufzeigen. Nach diesen sucht Peter Paul Pichler, Wissenschaftler am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

ORF Vorarlberg: Peter Paul Pichler, sie sind gebürtiger Bregenzer, haben Biologie und Neuroinformatik studiert und arbeiten heute am renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung – seit 2019 sind sie dort stellvertretender Leiter im „FutureLab Social Metabolism & Impacts“. Was ist unter „sozialer Metabolismus und seine Auswirkungen“ zu verstehen?

Peter Paul Pichler: „Als Stoffwechsel oder Metabolismus bezeichnet man in der Biologie die chemischen Umwandlungsprozesse, die in Lebewesen ablaufen und sie am Leben erhalten. Wir nehmen Nahrung auf, wandeln sie etwa in Energie um und scheiden einen Rest wieder aus. Auch Gesellschaften benötigen einen ständigen Material- und Energiefluss, zum Beispiel für Mobilität, Wohnen oder Gesundheitsversorgung, den sie der Natur entnehmen, umwandeln und zum Teil als Abfall wieder in die Natur zurückgeben. Ein Beispiel dafür sind die Treibhausgase. So gesehen ist die Klimakrise ein metabolisches Abfallproblem, bei dem die Atmosphäre als meist kostenlose Müllkippe herhalten muss.

Der gesellschaftliche Stoffwechsel der reichen Industriegesellschaften ist aber insgesamt viel zu hoch und die Klimakrise nur eine von mehreren Krisen, die mittelfristig unsere Lebensgrundlagen bedrohen. Deshalb reicht es nicht aus, das Energiesystem emissionsfrei zu machen. Wir müssen den Material- und Energieverbrauch insgesamt senken und unsere Abfälle durch das Schließen von Stoffkreisläufen reduzieren. Die sozial-metabolische Forschung will wissen, wie Wohlstand für alle innerhalb der planetaren Grenzen verwirklicht werden kann.

Peter Paul Pichler
Klemens Karkow
Peter Paul Pichler

ORF Vorarlberg: Also, vielleicht vereinfacht gesagt, es geht um Zusammenhänge. Wie genau hängen denn das Klima und unsere Gesellschaft(en) zusammen?

Peter Paul Pichler: Die Klimakrise ist vor allem eine Gesellschaftskrise. Sie wird vorangetrieben von einem relativ kleinen Teil der Menschheit und vor allem von der absurden Konzentration von Kapital, das maßgeblich durch die extraktive und ausbeuterische Wirtschaftsweise des fossilen Kapitalismus angehäuft wurde und nun mit allen Mitteln und wider alle Vernunft für ein „Weiter so“ kämpft. Eine solche Machtkonzentration über Investitionsentscheidungen, politische Rahmensetzung und mediales Framing ist schädlich für Wirtschaft und Demokratie und verhindert auch effektiven Klimaschutz.

Besonders rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Europa, wie die FPÖ, haben seit langem enge Kontakte zu den vor allem aus den USA stammenden und von der fossilen Industrie mit Milliardenbeträgen finanzierten Klimaleugner-Netzwerken, die mit kruden Falschbehauptungen den Klimawandel leugnen, Ängste vor dem Klimaschutz schüren und Maßnahmen verhindern und verzögern. Leider werden ähnliche Argumentationslinien inzwischen auch von Parteien der sogenannten politischen Mitte aufgegriffen. Stichworte wie „Technologieoffenheit“ oder die Debatte um eFuels für Autos oder Wasserstoff zum Heizen sind gezielt in den Diskurs eingebrachte Nebelkerzen der fossilen Industrie, um ein katastrophales Geschäftsmodell so lange wie möglich am Laufen zu halten.

Die hartnäckigste Erzählung, die von diesen mächtigen Gruppen mit großem Aufwand verbreitet wird, ist, dass Klimaschutz eine Bedrohung für den materiellen Lebensstandard der breiten Bevölkerung sei. Das ist allein schon deshalb absurd, weil gerade das Handeln dieser Gruppen die materiellen Grundlagen unserer Gesellschaften zerstört. Die Erzählung ist aber auch grundsätzlich falsch. Eine echte sozial-ökologische Transformation hat eine gerechtere, demokratischere und wohlhabendere Welt zum Ziel. Armut entsteht heute nicht, weil wir zu wenig produzieren können, sondern weil wir verschwenderisch Produziertes ungerecht verteilen. Eine Gesellschaft, die ihre Ressourcen stärker für das Gemeinwohl einsetzt, ist auch wesentlich besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet. Effektiver Klimaschutz bedeutet auf jeden Fall eine große Umverteilung von oben nach unten, deshalb ist der Widerstand so groß. Meiner Meinung nach wäre es auch Aufgabe der Medien, diese Erzählungen weniger unhinterfragt zu reproduzieren.

ORF Vorarlberg: Die Klimakrise wird durch Treibhausgase, durch CO2 befeuert, dadurch wird die Erde erwärmt – damit wir uns das vorstellen können: Wie lässt sich das (noch einmal) kurz und anschaulich erklären?

Peter Paul Pichler: Treibhausgase heißen so, weil sie für den Treibhauseffekt in der Atmosphäre verantwortlich sind. Das funktioniert ganz ähnlich wie bei einem Gewächshaus im Garten. Vereinfacht gesagt wird das Licht, das von der Sonne auf die Erde trifft, zum Teil reflektiert und zum Teil in Wärme umgewandelt (absorbiert). Ohne Treibhausgase würde sowohl das reflektierte Licht als auch die Wärme schnell wieder ins Weltall zurückgestrahlt und es wäre auf der Erde so kalt, dass kein Leben möglich wäre. Die Treibhausgase nehmen einen Teil der Wärme auf und halten sie in der Atmosphäre zurück. Die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre bestimmt also mit, wie warm es auf der Erde ist. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger steigt die Konzentration des Treibhausgases CO2 und damit die Temperatur auf der Erde.

Wichtig dabei ist, dass das CO2, wenn es einmal in die Atmosphäre gelangt ist, dort für Hunderte von Jahren bleibt. Das heißt, wenn wir unsere CO2-Emissionen reduzieren, wird es nicht wieder kälter, sondern nur langsamer wärmer. Die Erderwärmung wird frühestens dann aufhören, wenn wir überhaupt keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre abgeben.

ORF Vorarlberg : Wenn wir wieder zurückkommen zur Perspektive der Gesellschaft – wieviel haben wir als Weltbevölkerung noch zur Verfügung, wieviel Kohle, Erdgas, Erdöl dürfen wir bis wann noch verbrauchen bis was passiert?

Peter Paul Pichler: Eigentlich dürften wir längst keine fossilen Energieträger mehr verbrennen. Feinstaub und andere fossile Schadstoffe töten ganz ohne Klimakrise womöglich mehrere Millionen Menschen pro Jahr. Aber auch um die klimabedingten katastrophalen Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen wissen wir seit einem halben Jahrhundert. Wir stecken bereits mitten in der Klimakrise, wie sich leider sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren sehr viel stärker zeigen wird. Die Temperatur liegt bereits mehr als ein Grad über dem vorindustriellen Niveau. Die berühmten 1,5 Grad waren immer als Grenze gedacht, nicht als Ziel. Der Grenzwert wurde im Sinne des Vorsorgeprinzips gewählt, denn jenseits dieses Punktes steigt das Risiko, dass sich das Klima nicht nur langsam erwärmt, sondern dass Kippelemente ausgelöst werden, die plötzliche, unumkehrbare und verheerende Folgen hätten.

Je nachdem, wie man rechnet, ist das CO2-Budget für eine Erwärmung um 1,5 Grad bei den heutigen Emissionen in etwa 6 Jahren aufgebraucht. Aus Laiensicht reicht es meiner Meinung nach zu wissen, dass wir jetzt in den absoluten Notfallmodus übergehen und die Treibhausgase so schnell wie möglich auf Null bringen müssen. Wir müssen jetzt unser gesamtes Handeln darauf ausrichten, unsere Gesellschaften so umzubauen, dass Wohlstand für alle innerhalb der planetaren Grenzen möglich ist. Ob wir die 1,5-Grad-Grenze überschreiten oder nicht, ändert daran nichts.

ORF Vorarlberg: Wir kennen also den Ist-Zustand. Was ist die Lösung?

Peter Paul Pichler: Es gibt nie nur eine Lösung für ein gesellschaftliches Problem. Die Bewertung möglicher Zukünfte hängt immer von subjektiven politischen und ethischen Wertvorstellungen ab. Die Frage, was wir tun sollen, ist daher keine rein wissenschaftliche. Wenn wir aber die Erderwärmung stoppen wollen, dann müssen wir zweifellos aufhören, fossile Energieträger zu verbrennen und unsere Ernährungs- und landwirtschaftlichen Praktiken ändern.

ORF Vorarlberg: Papst Franziskus hat vor wenigen Tagen dasselbe gefordert, nämlich konkrete Schritte, um die Energiegewinnung aus Kohle und Gas zu beenden. Wie kann das gehen?

Peter Paul Pichler: Zunächst freue ich mich natürlich, dass der Papst den Ernst der Lage erkannt hat, denn in der Not ist jede Unterstützung willkommen. Ähnliches hat er ja schon 2015 in der Enzyklika Laudato si gefordert. Leider scheinen die konservativen katholischen Parteien und Bevölkerungsteile sehr selektiv zu sein, wann sie auf ihren Papst hören und fallen neuerdings eher durch aktiv zukunftsgefährdende Aussagen auf, wie etwa der österreichische Bundeskanzler. Als Atheist ist der Papst für mich jedoch keine Autorität in wissenschaftlichen oder ethischen Fragen, und es wäre etwas heuchlerisch, ihm ausgerechnet in diesem Bereich eine solche Autorität zu wünschen.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat bisher weltweit nur zu einem höheren Energieverbrauch geführt und nicht zu einem entsprechenden Ersatz fossiler Energieträger. Die fossilen Konzerne zeigen insbesondere seit der Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dass sie entschlossen sind, jeden Tropfen Öl zu fördern. Ich bin der Meinung, dass für einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern weite Teile der fossilen Industrie und der Energiewirtschaft vergesellschaftet werden sollten, um Preisstabilität während eines kontrollierten Ausstiegs zu ermöglichen. Damit wären auch die milliardenschweren Desinformations- und Lobbykampagnen gegen den Klimaschutz hinfällig.

ORF Vorarlberg Man kann sich leicht verzetteln beim Nachdenken über Strategien gegen die Klimakrise – wenn sie ein Ranking vorschlagen würden: Welche drei Dinge sind nacheinander als Gesellschaft zu tun?

Peter Paul Pichler: Eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation könnte dieser Strategie folgen: Neben der bereits genannten Vergesellschaftung und dem Abschalten der fossilen Industrie sollte die Wirtschaft auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden. Das hieße, einige weniger sinnvolle und energieintensive Sektoren (z.B. SUVs) schrumpfen und andere wie Bildung, Gesundheit und Pflege qualitativ wachsen zu lassen. Gleichzeitig müssen gezielt massive gesellschaftliche Ressourcen für den raschen Umbau der Infrastruktur mobilisiert werden (z.B. erneuerbare Energien und Wärmepumpen). Um soziale Verwerfungen zu vermeiden und langfristig demokratische Mehrheiten für ein solches Programm zu ermöglichen, sollten die Bereiche der Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit, Wohnen oder Ernährung dem profitorientierten Markt entzogen und durch eine soziale Garantie von der Lohnarbeit entkoppelt für alle zugänglich gemacht werden. Ein Abbau des Überreichtums (z.B. durch Vermögens- oder Erbschaftssteuern) kann die dafür notwendigen Ressourcen freisetzen, den Überkonsum reduzieren und die Blockademacht dieser kleinen Bevölkerungsgruppe verringern.

Ich bin mir bewusst, dass dies im heutigen Diskurs sehr radikal klingt. Ich finde es radikal, unsere Lebensgrundlagen für mehrere Jahrhunderte in die Zukunft für einen Status quo zu opfern, dem es trotz aller Exzesse allenfalls mäßig gelingt, Wohlstand für die Mehrheit der Menschen hier und weltweit zu sichern.

ORF Vorarlberg: Was kann der und die einzelne tun?

Peter Paul Pichler: Man kann sich bewusst machen, dass massiver zivilgesellschaftlicher Druck mit hoher Wahrscheinlichkeit der einzige Weg zu effektivem Klimaschutz ist; dass effektiver Klimaschutz eine stärkere Demokratie braucht, um sich gegen fossile Partikularinteressen durchzusetzen; dass eine starke Demokratie nur möglich ist, wenn die Daseinsvorsorge aller Menschen verlässlich gesichert ist; dass die Sicherung der Daseinsvorsorge aller Menschen eine Umverteilung der produktiven gesellschaftlichen Ressourcen erfordert.

Dafür muss man keine grüne Kommunistin sein, sondern kann neben zivilgesellschaftlichem Engagement auch die Vertreter:innen der eigenen Partei in die Verantwortung nehmen. Es ist absurd, dass der Schutz unserer Lebensgrundlagen auch in den Medien immer noch als grünes Projekt verhandelt wird. Genauso absurd ist es, dass eine gesicherte Daseinsvorsorge in einem reichen Land als linksradikal gilt. Wenn ich Überschriften lese wie: „Dämpfer für Klimaschützer/Grüne – Klimaschutzmaßnahme XY gescheitert“, könnte ich schreien.

Natürlich sollte man, wenn man es sich finanziell und sozial leisten kann, seinen Lebensstil anpassen. Ich selbst tue das in vielen Bereichen. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass individuelle Konsumentscheidungen eine transformative Wirkung haben. In einer Demokratie geht die gesellschaftliche Gestaltungsmacht von den Bürger:innen als politischen Subjekten aus, nicht von den Konsument:innen.

ORF Vorarlberg: Was bringt sie persönlich dazu, weiter zu forschen und nicht aufzugeben?

Peter Paul Pichler: Leider geht es mir oft wie den meisten Menschen. Als Forscher und als Bürger fällt es mir schwer, meine Komfortzone zu verlassen. Wir haben in der Masse noch kaum damit begonnen, entschlossen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz unserer Lebensgrundlagen einzufordern. Aber der Anfang ist bekanntlich die Hälfte des Ganzen. Angesichts dessen halte ich ein Aufgeben nicht für eine naheliegende Option.

Das Interview führte ORF-Redakteurin Carina Jielg