Dirk Schmittchen
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Chronik

Experte warnt: „Fake News passieren nicht einfach“

„Information als Waffe“ war das zentrale Thema des Sicherheitspolitischen Bodenseekongresses in Bregenz am Samstag. Dabei ging es vor allem um den Ukraine-Krieg, einer der Referenten war der deutsche Politikwissenschafter Dirk Schmittchen. Im ORF-Interview erklärt er, wie man sich vor Falschmeldungen schützen kann.

Der Sicherheitspolitische Bodenseekongress fand an diesem Wochenende zum 9. Mal statt, das übergreifende Motto lautete „Zukünftige Aspekte der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Der Kongress wird jährlich in einem der drei Bodenseeanrainerstaaten veranstaltet, dieses Mal war Vorarlberg mit der Landeshauptstadt Bregenz an der Reihe.

Sicherheitspolitischer Bodenseekongress
Land Vorarlberg / Bernd Hofmeister
Kongress am Samstag in Bregenz

Wie können wir uns wappnen?

Bei der Veranstaltung mit rund 120 Teilnehmenden von sicherheitspolitisch engagierten Vereinen und Organisationen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich stand das Thema „Information als Waffe“ im Mittelpunkt. Vorarlbergs Sicherheitslandesrat Christian Gantner (ÖVP) sprach sich bei seiner Eröffnungsrede für die Notwendigkeit aus, „informationspsychologische Bedrohungen“ aktiv zu unterbinden sowie die Bevölkerung vor derartigen Machenschaften zu schützen.

Denn es sind heutzutage so viele Informationen in kürzester Zeit abrufbar wie nie zuvor – aber es war auch noch nie so schwierig, herauszufinden, was wirklich stimmt. Wie können wir uns dagegen wappnen? Einer der Experten zu diesem Thema beim Kongress war der deutsche Politikwissenschafter Dirk Schmittchen, den ORF-Redakteurin Bettina Prendergast zum Interview geladen hat.

ORF: Woher soll man Informationen nehmen, wenn man wissen will, was in der Ukraine läuft? Wo nehmen Sie sie her?

Dirk Schmittchen: Ich würde mich nicht darauf verlassen, nur Telegram-Kanäle zu schauen, weil wenn Sie das machen, dann bekommen Sie mittlerweile fast nur noch ungefiltert russische Positionen. Meine Empfehlung ist, das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu nutzen, aber vor allem, sich breit zu informieren. Wenn Sie auf sozialen Medien viel unterwegs sind – und gerade junge Menschen sind teilweise nur noch auf Social Media unterwegs – ist es meine Empfehlung, diese Bubbles auch bewusst zu verlassen.

Wenn Sie jemand sind, der eher linksliberal ist und den entsprechenden Personen folgen, folgen Sie ganz bewusst auch konservativen Journalisten. Das muss man auch mal aushalten, diese andere Position zu lesen. Aber es hilft einem, die Dinge einzuordnen. Bzw. umgekehrt: Auch als konservativer Mensch sollte man vielleicht auch den einen oder anderen linken Journalisten folgen, um diese Gegenseite zu sehen. Das schult schon sehr.

ORF: Aber ist nicht gerade in unserer Gesellschaft das Problem, dass man eher denen zuhört, die die Meinung vertreten, die man eh hat?

Schmittchen: Genau. Es tut weh, andere Meinungen auszuhalten. Es ist viel schöner, permanent das bestätigt zu bekommen, was man sowieso schon glaubt. Die Algorithmen in den Sozialen Medien funktionieren ja genau so. Aufgrund der Suchanfragen entsteht ein Profil, das den Usern in ihrer Timeline genau das reinspült, was sie sehen und lesen wollen. Das heißt, sie dürfen sich auf den Algorithmus nicht verlassen, sie müssen schon selber aktiv werden, sie müssen diese Schmerzen auch aushalten, einfach mal das zu lesen, was bewusst nicht der eigenen Position entspricht. Das ist ein schmerzhafter Prozess.

ORF: Wie bringe ich die Menschen dazu, das wirklich zu tun?

Dirk Schmittchen: Genau das ist das Problem. Die wenigsten Menschen wollen das. Weil ihnen das Bewusstsein dafür fehlt. Das heißt, wenn sie immer wieder vorgespielt bekommen durch das, was sie lesen, dass ihre eigene Meinung ja kurioserweise die „richtige“ ist, dann kommen Sie ja gar nicht mehr auf die Idee, das zu hinterfragen und zu überlegen, dass vielleicht die eigene Meinung nicht die richtige sein könnte.

Das heißt, die Frage, wie man die Menschen dazu bekommt, funktioniert eigentlich nur über Bildung. Ich finde, dass das Thema viel stärker verankert werden sollte in den Lehrplänen. Und man muss auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Fake News, dass Falschinformationen, nicht einfach irgendwie passieren, sondern dass dahinter militärische Nachrichtendienste stecken, die das genauso wollen. Die einzige Lösung kann ein, dem über Bewusstseinsbildung – etwa in den Schulen – entgegenzutreten.

Dirk Schmittchen
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Politikwissenschaftler Dirk Schmittchen in Bregenz

ORF: Sie sagen ja, dass wir uns in einem Informationskrieg mit Russland befinden. Kann es in diesem Krieg überhaupt einen Gewinner geben?

Ja – und wenn ich ehrlich bin, befürchte ich, dass Russland diesen Krieg eventuell auch gewinnen könnte. Das macht mir große Angst und Sorge. Die Indikatoren dafür sind da. Wenn Sie außerhalb der westlichen Welt schauen, dann sehen Sie das sogar noch deutlicher. Der Krieg in der Ukraine wird in Ländern wie Brasilien, Indonesien oder Indien als ein lästiger Regionalkonflikt wahrgenommen, der die Weltwirtschaft stört. Und wenn Sie 250 Millionen bis 1,5 Milliarden Menschen zu ernähren haben, dann ist Ihnen eben Zugang zu Gütern auf dem Weltmarkt wichtiger als irgendwelche Prinzipien staatlicher Ordnung.

Aber selbst wenn wir mal im westlichen Raum bleiben, diese schon fast „1984“-mäßige Orwellsche (Anm.: Roman von George Orwell mit dem Titel „1984“ über einen totalitären Überwachungsstaat) Umschreibung von Wahrheit, die aus den KGB-Büchern (Anm.: Sowjetischer Geheimdienst) der 70er Jahre schon stammt. Also dass die Lüge so dreist sein muss, dass selbst die dreisteste Lüge auf einmal geglaubt wird, erleben wir mittlerweile sehr, sehr gut.

Sie glauben ja nicht, wie oft es mir in der Bundeswehr, aber ganz stark an Schulen, begegnet, dass es heißt: ´Nicht Russland hat die Ukraine angegriffen, sondern die Russen verteidigen sich doch nur, der Amerikaner steckt doch eigentlich dahinter.’ Das funktioniert sehr, sehr gut und Russland ist extrem erfolgreich darin und ich habe leider ein bisschen den Eindruck, die könnten diesen Informationskrieg gewinnen.

Informationen als Waffe

Es gibt so viele Informationen in kürzester Zeit wie nie zuvor. Und es war auch noch nie so schwierig, herauszufinden, was davon stimmt. Das Internet macht damit Informationen auch zur Waffe. Wie können wir uns dagegen wappnen? Genau darüber haben Medien-Experten bei einem Sicherheitskongress in Bregenz gesprochen.