Tempo 30 Verkehrstafel
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Verkehr

Gemeinden wollen weniger Tempo

In vielen Vorarlberger Städten und Gemeinden durchquert eine Landesstraße den Ort. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister möchten deshalb die Höchstgeschwindigkeit heruntersetzen. Doch die Straßenverkehrsordnung und die vorsichtige Auslegung hindern sie oft daran.

Ob in Bürs, Weiler, Dornbirn, Bregenz oder Lochau – Vorarlbergs Städten und Gemeinden geht es zu schnell. Zumindest auf den Landesstraßen durchs Ortszentrum. Alle 96 Kommunen im Land liegen an einer Landesstraße, oft führt sie direkt durchs Zentrum. Eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ist die Regel, 40 km/h die absolute Ausnahme und 30 km/h ein Einzelfall. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wollen das ändern. Doch das ist gar nicht so einfach.

Wunsch nach Tempo 30 in Lochau: Tempo 40 ist zu schnell

Wer mit dem Auto durch Lochau fährt, tut das auf einer Landesstraße. Man fährt am Gemeindeamt vorbei, an der Kirche, an der Schule und darf höchstens 40 Kilometer pro Stunde fahren. Für Bürgermeister Frank Matt ist das zu schnell. „Es ist eindeutig zu gefährlich. Es fahren hier zu viele Autos mit noch überhöhter Geschwindigkeit. Wir brauchen eine geringere Geschwindigkeit für mehr Sicherheit, für weniger Abgase und vor allem auch für weniger Lärm.“ Matt ist überzeugt: „Die Gemeinden sollten das Recht bekommen, hier Maßnahmen treffen zu können und über die Geschwindigkeit zu bestimmen.“ Hätte er die Möglichkeit, könnte man noch mit 30 durch Lochau fahren.

Kampf um ruhigeres Ortszentrum in Bürs

Auf der anderen Seite des Landes, in Bürs, kämpft man seit Jahren für ein ruhigeres Ortszentrum. Die Straße ist schmal, links und rechts stehen Häuser, für einen Gehsteig an der Landesstraße fehlt oft der Platz. 7.500 Fahrzeuge fahren täglich durch Bürs, ein Drittel davon sind Lkws. Trotzdem sind 50 Stundenkilometer erlaubt. „Das ist eine sehr schwierige Situation für die Gemeinde. Es gibt viele Menschen, die die Straße queren müssen. Gerade an den Engstellen ist die Geschwindigkeit viel zu hoch“, beschreibt Bürgermeister Georg Bucher die Situation. Sein Wunsch: „30 km/h im Ortszentrum.“

Wunsch nach mehr Gestaltungsspielraum in Dornbirn

Und auch Vorarlbergs größte Stadt – Dornbirn – möchte mehr Gestaltungsspielraum. Julian Fässler, Stadtrat für Verkehrsplanung, denkt zum Beispiel an die Höchsterstraße. Vier Schulen mit Platz für insgesamt über 2.000 Schülerinnen und Schüler befinden sich an der Straße. Dazu ein Bahnhof, öffentliche Gebäude und die Birkenwiese. Autos dürfen höchstens 50 km/h fahren. „Diese Geschwindigkeit an solchen Straßen ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Fässler. Und er fordert: „Wenn wir über ein Stadtteilzentrum reden oder über eine Straße wie die Höchsterstraße, würden wir eigentlich gerne selber darüber entscheiden.“

Wunsch nach Tempolimit

Die Vorarlberger Gemeinde Lochau wird durch eine Landesstraße geteilt. An der Straße befinden sich Schulen, das Gemeindeamt, die Kirche und der Supermarkt. Im Moment dürfen die Autos mit 40 Stundenkilometern durchfahren. An der Dornbirner Höchsterstraße gibt es ebenfalls den Wunsch nach weniger Tempo.

Straßenverkehrsordnung als Hindernis

Wie Fässler hat auch der Bürser Bürgermeister Georg Bucher schon mehrere Anläufe genommen. Es hat aber nie geklappt. Bucher berichtet: „Das größte Hindernis ist die Straßenverkehrsordnung, also der gesetzliche Rahmen.“ In der Straßenverkehrsordnung sind Änderungen der Geschwindigkeit möglich, wenn es die „Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs“ erfordert. Klimaschutz, Dreck und Lärm sind keine Kategorie. Und die Straßen in Bürs sind eigentlich zu sicher. „Wir haben Gott sei Dank kaum Unfälle. Aber wir möchten die Straße noch sicherer machen“, betont Bürgermeister Bucher.

Gemeinden schließen sich zusammen

Das Land ist sich des Problems bewusst. Verkehrslandesrat Marco Tittler betont: „Wir unterstützen die Gemeinden, vom erarbeiteten Leitfaden über die Übernahme der Planung von Maßnahmen bis hin zu finanzieller Beteiligung.“ Den besagten Leitfaden hat die Landesregierung zusammen mit Gemeinden im Jahr 2021 erstellt. Er soll helfen, dass die Gemeinden rechtmäßige verkehrsberuhigte Zonen einrichten können. Die Plan-B-Gemeinden hoffen auf diesen Leitfaden.

Unter Plan B haben sich die Gemeinden Bregenz, Hard, Kennelbach, Lauterach, Lustenau, Schwarzach und Wolfurt zusammengeschlossen. Sie haben einen Katalog mit gewünschten Projekten an die Landesregierung gerichtet und hoffen auf baldige Umsetzung. Im Protokoll einer gemeinsamen Sitzung im Oktober 2022 ist der Unmut der Gemeinden aber herauszulesen: „Aktuell stimmen bei gewünschten Geschwindigkeitsreduktionen auf Landesstraßen aus Sicht der Gemeinden Rollenverteilung und Prozess nicht wirklich.“

Und weiter: „Sie fühlen sich als Bittsteller für naheliegende Verbesserungen und müssen diese mit umfassenden Gutachten stützen.“ Auch in Bürs hilft der Leitfaden nicht unbedingt, sagt Bürgermeister Georg Bucher: „Viele Gemeinden unterstützt der Leitfaden sicher. Aber wir müssten bei Tempo 30 auf Schutzwege verzichten. Und das möchte ich als Bürgermeister nicht verantworten.“

Vorsichtige Auslegung

Landesrat Tittler verweist auf die Bundesregierung: „Die Zuständigkeiten hinsichtlich Tempolimits auf Landesstraßen sind klar geregelt.“ Soll heißen: Die Bezirkshauptmannschaft prüft, ob die gewünschte Verkehrsberuhigung der Straßenverkehrsordnung entspricht. Und da achtet man auch darauf, dass diese Tempolimits oder Begegnungszonen im Fall einer Klage rechtlich vor dem Verfassungsgerichtshof halten. Die Bezirkshauptmannschaften sind also sehr vorsichtig.

Natter fordert mehr Mut

Zu vorsichtig, sagt der Wolfurter Bürgermeister Christian Natter. „Es ist wichtig, dass wir den Geist der Zeit erkennen und den Rahmen der aktuellen gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Unsere politische Aufgabe ist es, Modelle für unsere Ortszentren jetzt schon zu erarbeiten.“ Die Bundesregierung habe schon vor einiger Zeit grundsätzlich die Möglichkeit geschaffen, Begegnungszonen auf Landesstraßen einzurichten, fährt Natter fort. „Die Möglichkeit gibt es. Jetzt liegt es vielfach an der Interpretation der Rahmenbedingungen.“

Er weiß, wovon er spricht: Seine Gemeinde verfügt über die bisher einzige Begegnungszone auf einer Landesstraße in Vorarlberg. Sie ist vor fast zehn Jahren als Pilotprojekt eingeführt worden – auch als Vorbild für andere Gemeinden. Trotzdem ist es bisher die einzige Zone auf einer Landesstraße. Allein in Wolfurt schweben Natter zwei weitere vor.

Bundesregierung plant Änderung

Im Verkehrsministerium von Leonore Gewessler (Grüne) verweist man auf das Regierungsprogramm. Darin ist folgendes Vorhaben festgeschrieben: „Ermöglichung von Temporeduktionen in Ortskernen und vor Schulen sowie an Unfallhäufungsstellen (auch auf Landesstraßen).“ Aus dem Ministerium heißt es: „Selbstverständlich arbeiten wir aktuell an einer Umsetzung. Wir wissen, dass vielen Gemeinden diese Verbesserung ein großes Anliegen ist.“

Bis dahin blickt man in Dornbirn nach Wolfurt. Eine Begegnungszone Wolfurter Zuschnitts wünscht sich Stadtrat Fässler in Hatlerdorf – und wünschen sich viele andere Verkehrsverantwortlichen in vielen Gemeinden des Landes.