Widerstandskämpfer Arthur Sohm
Stadtarchiv Dornbirn
Stadtarchiv Dornbirn
Gedenktag

Die AKO: NS-Widerstand in Dornbirn

Heute vor 78 Jahren ist das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit worden. Anlässlich dieses Tages wird jedes Jahr am 27. Jänner zum „Holocaust Gedenktag“ den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Darunter befinden sich auch Widerstandskämpfer – auch aus Vorarlberg. Wie jene der Dornbirner Gruppe „Aktionistische Kampforganisation“ (AKO).

Der Dornbirner Wilhelm Himmer ist kein einfacher Zeitgenosse. Als uneheliches Kind in Bludenz geboren, wächst er in Dornbirn bei seinen Großeltern auf. Mit 13 wird er zum ersten Mal auffällig, weil er einem Mitschüler Schnittverletzungen zufügt. Mit 17 ist er Teil einer Jugendbande, die Motorräder und Fahrräder klaut. Die Stadt Dornbirn weist ihn mehrfach aus, er kehrt zurück und wird wieder bestraft. Zweimal wird er zu schwerem Kerker verurteilt.

Als er vom 18. bis zum 20 März 1942 vor dem Senat II des Volksgerichtshofs in Innsbruck steht, ist von 19 Vorstrafen die Rede. Diesmal ist es aber richtig ernst. Wilhelm Himmer steht wegen „Landesverrats in Verbindung mit Vorbereitung zum Hochverrat“ vor Gericht. Er wird zum Tode verurteilt. Am 8. Juli 1942 wird er im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee geköpft. Wilhelm Himmer, der Anführer der Aktionistischen Kampforganisation (AKO) Vorarlberg, ist tot.

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Widerstandskämpfer Arthur Sohm
Stadtarchiv Dornbirn
Widerstandskämpfer Arthur Sohm
Mahnmal in Dornbirn
Natasa Siencnik
Mahnmal für Widerstandskämpfer Arthur Sohm
Gefangenenkarte von Wilhelm Himmer
Gedenkstätte Berlin Plötzensee
Gefangenenkarte von Wilhelm Himmer
Bericht des SS-Sturmbannführer und Regierungsrat Renken vom 25.03.1942 für den Volksgerichtshof
Gedenkstätte Berlin Plötzensee
Prozess Wilhelm Himmer, Bericht des SS-Sturmbannführer und Regierungsrat Renken vom 25.03.1942 für den Volksgerichtshof

Vielfältiger Widerstand im Land

Formen des Widerstands während der NS-Zeit gab es viele. Der Priester Carl Lampert legte sich mit Gauleiter Franz Hofer an. Lampert wurde 1944 hingerichtet. Maria Stromberger ging als „Engel von Auschwitz“ in die Geschichte ein. Meinrad Juen half im Montafon Flüchtlingen in die Schweiz. Zwei Widerstandsgruppen sind zudem bekannt: eine Gruppe um Johann August Malin in Feldkirch. Und die AKO um Wilhelm Himmer.

Im Vorarlberg Museum finden am heutigen Holocaust Gedenktag Veranstaltungen statt.

Vorarlberg Museum

Zuerst Mitglieder angeworben

Der Bregenzer Historiker Florian Guggenberger hat zur AKO geforscht. Die AKO in Vorarlberg entsteht in den Monaten um den „Anschluss“ 1938. Der Dornbirner Schlosser Wilhelm Himmer lernt im „Kaffee Walser“ in Altstätten in der Schweiz den Anwalt Max Oberholzer kennen. Oberholzer erzählt von der AKO in der Schweiz.

Himmer gründet darauf einen Ableger in der „Ostmark“, die sich dem Kampf gegen den NS-Regime widmet. 1939 wird die AKO aktiv. Sie soll zuerst zuverlässige Mitglieder rekrutieren und Informationen für die Zentrale sammeln. Im Kriegsfall soll zudem wichtige Infrastruktur zerstört werden. Im Laufe des Jahres bricht der Kontakt zu Oberholzer ab. Himmer sucht und findet mit einem Schweizer Hauptmann einen neuen Kontakt in der Schweiz. Er macht weiter.

Haltung und persönliche Gründe

Am 1. September 1939 überfällt die Wehrmacht Polen. Der Zweite Weltkrieg beginnt. Die AKO ist mittlerweile gewachsen, sie soll nun auch Truppenbewegungen und andere militärische Informationen an die Schweiz liefern. Die AKO setzt sich aus dem Arbeitermilieu zusammen, viele Mitglieder sind Hilfsarbeiter, berichtet der Historiker Florian Guggenberger. „Viele sind schon in der ersten Republik und dem Ständestaat unzufrieden.“

Ein anderes Mitglied – Josef Wieland – beschreibt diesen Aspekt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „Er berichtet von Euphorie, als der Nationalsozialismus mit seiner lauten Propaganda kommt. Doch diese Euphorie ist schnell verpufft“, fährt Guggenberger fort. Wieland schließt sich dem Widerstand an, nachdem er am Arbeitsplatz mit einem SA-Mann aneinandergerät und danach von der Gestapo verhört wird.

Dornbirner Widerstandskämpfer, Überlebenden Dornbirner Häftlingen von KZ und Zuchthäusern, die sich im Herbst 1945 trafen
Stadtarchiv Dornbirn
Überlebende Dornbirner Häftlinge von KZs und Zuchthäusern, die sich im Herbst 1945 trafen

Auch persönliche Gründe für den Widerstand

Guggenberger ist überzeugt: „Die Gründe für den Widerstand waren sowohl persönlich als auch durch eine klare Haltung bedingt. Wieland schreibt eben über persönliche Enttäuschung, aber auch darüber, dass ein Regime, das auf Gewalt und Ausbeutung beruht, keine Zukunft haben kann.“ Beim Widerstand habe es sich selten um angepasste Bürger gehandelt.

„Die Mitglieder der AKO sind davor schon angeeckt. Mit den Nationalsozialisten konnten sie dann überhaupt nicht mehr, weil das System aus purer Kontrolle bestand.“

Ausgeprägtes Denunziantentum

Der Historiker Meinrad Pichler hat Zahlen zum Widerstand erforscht. Er spricht von rund 2.000 Oppositionellen, wobei der größere Teil nur wenige Wochen in Haft war. Meistens hat es sich um erfolgreiche Einschüchterungsversuche gehandelt, ergänzt Guggenberger. „Jener Kreis, der aus politischen Gründen verfolgt und umgebracht wird, besteht aus rund 80 Personen. Man sieht also, viele haben sich doch angepasst.“ Zu den Verfolgten zählen die Mitglieder der AKO. Ihnen werden – wie so oft in dieser Zeit – Denunzianten zum Verhängnis.

Zu leichtsinnig rekrutiert

Himmer wirbt mit Albert Mäser und Karl Stadelmann unglücklicherweise zwei Personen an, die ihn an die NS-Diktatur verraten. Stadelmann bleibt als bezahlter Informant in der Gruppe. Er ist zum Beispiel bei einem Radausflug dabei, als Himmer mit dem AKO-Mitglied Arthur Sohm am 17. Dezember 1939 die Grenze zwischen Koblach und Lustenau beobachtet. „Himmer war beim Rekrutieren sehr leichtsinnig“, sagt Guggenberger.

Mögliche Anschlagziele

Am 6. Jänner 1940 wird die AKO hochgenommen. Himmer und seine Gefährten landen in Feldkirch im Gefängnis. Josef Wieland schreibt später von brutalen Haftbedingungen. Im März 1942 kommt es zum Prozess. „Die Anklage findet keine konkreten Beweise“, beschreibt Guggenberger. Zwar könnte die AKO auch Sabotageakte geplant haben, sie sei aber zu früh enttarnt worden, um mögliche Pläne umzusetzen.

„Im Hauptprozessakt wird angedeutet, dass Himmer vielleicht Sprengstoff geklaut hat. Es ist auch von möglichen Zielen die Rede wie der Trisannabrücke (Anm.: an der Arlbergbahnstrecke) und dem Arlbergtunnel. Aber die AKO stand erst in der Anfangsphase, es gab also nichts Handfestes.“ Für die harten Urteile ist es der NS-Diktatur aber genug. Man habe ein Exempel statuieren wollen, sagt Guggenbeger.

Zeitungsartikel Todesurteil Widerstandskämpfer
Vorarlberger Tagblatt

Auf der Flucht erschossen

Wilhelm Himmer wird zum Tode verurteilt. Arthur Sohm, Hilarius Paterno und Josef Wieland kommen nach Mauthausen. Sohm und Paterno werden dort umgebracht, Wieland überlebt die Lagerhaft, ist bei seiner Befreiung aber schwer gezeichnet.

Auch der Hohenemser Josef Höfel, der sich als 16-Jähriger der AKO angeschlossen hat, wird umgebracht. Das hängt allerdings mit einer Liebesgeschichte zusammen: Nach seiner Verurteilung lernt er im Feldkircher Gefängnis den Deutschen Heinrich Heinen kennen. Heinen hat zuvor seine geliebte Edith Meyer aus dem Ghetto in Riga befreit und ist mit ihr bis nach Vorarlberg geflüchtet. Beim Fluchtversuch in die Schweiz werden beide festgenommen. Höfel und Heinen beschließen in der Zelle, auszubrechen und Edith Meyer zu suchen. Die beiden Männer werden auf der Flucht in Hohenems erschossen.

Opfer der Euthanasie

Noch eine fünfte Person der AKO fällt den NS-Schergen zum Opfer. Maria Wieland, die Frau von Josef Wieland, wird von der Gestapo mehrfach verhört und misshandelt, auch von einem Vergewaltigungsversuch ist die Rede. „Sie erleidet dadurch sogar eine Fehlgeburt und ist psychisch so fertig gemacht worden, dass später in die Nervenheilanstalt nach Innsbruck kam“, erzählt Florian Guggenberger. Ende 1944 stirbt sie – offiziell – wegen Lungenentzündung. Guggenberger ist überzeugt: „Man kann davon ausgehen, dass sie Opfer der ‚Euthanasie‘ geworden ist.“

Fünf Prozesse

Insgesamt kommt es wegen der AKO zu einem Hauptprozess in Innsbruck und vier Nebenprozessen in Feldkirch. Acht Personen werden als Mitglieder verurteilt, sechs Personen, weil sie die AKO nicht angezeigt haben. Unter den Verurteilten befinden sich neben den oben erwähnten Personen auch Eugen Bohle, Josef Heinzle, Emil Huber, Johann Salizzoni, Josef Anton Schmid, Johann Peter und Josef Jäger.

Historiker Florian Guggenberger
ORF/Prock
Historiker Florian Guggenberger

Schwierige Rückkehr

Viele versuchen, nach der Befreiung 1945 in ihr altes Leben zurückzukehren. Das ist aber schwierig, wie das Schicksal von Johann Gutensohn zeigt. Auch er wird als AKO-Mitglied verurteilt und muss ins Zuchthaus Amberg in Bayern. 1945 kehrt er nach Dornbirn zurück. Gutensohn berichtet, wie er in der Moosmahdstraße ankommt – und direkt angespuckt wird.

„Das ist bezeichnend für den Umgang mit Menschen wie Gutensohn in der Nachkriegszeit“, betont Guggenberger. Erst viele Jahrzehnte nach der Befreiung wird vor allem dank der „Johann August Malin Gesellschaft“ der Widerstand in Vorarlberg beleuchtet. Johann Gutensohn bestreitet bis zuletzt, je Mitglied der AKO gewesen zu sein. Josef Wieland bleibt auch in Vorarlberg. Er arbeitet als Schulwart und stirbt 1978.