Kranker Mann am Bett stehend
imago/epd
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Soziales

Ein Jahr assistierter Suizid – was ist passiert?

Seit einem Jahr haben sterbenskranke Menschen die Möglichkeit des assistierten Suizids. In Vorarlberg hat bisher ein chronisch kranker Patient diese Möglichkeit in Anspruch genommen, sagt Palliativ-Mediziner Otto Gehmacher vom Landeskrankenhaus Hohenems. Er sieht den assistierten Suizid weiterhin kritisch.

Seit 1. Jänner dieses Jahres ist der assistierte Suizid in Österreich erlaubt. Schwer kranke Menschen können sich unter gewissen Voraussetzungen ein tödliches Medikament in der Apotheke abholen und müssen dieses selbst einnehmen. Österreichweit haben das bisher 110 Menschen getan. Die Nachfragen nach einem assistierten Suizid seien inzwischen weniger geworden, sagt Gehmacher.

Otto Gehmacher
Privat
Palliativ-Mediziner Otto Gehmacher

ORF Vorarlberg: Welche Menschen haben sich bisher über den assistierten Suizid informiert?

Gehmacher: Ich denke, es waren viele Leute, die irgendwie schon länger darauf gewartet haben. Es waren insgesamt relativ wenige Krebspatienten, es waren vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen, teilweise auch mit psychiatrischen Erkrankungen, die nicht mehr leben wollten. Es waren nicht unbedingt verzweifelte Situationen oder eine extrem schwere Krankheit, sondern oft so eine gewisse Lebenssattheit, die bei diesen Patienten im Vordergrund standen.

ORF Vorarlberg: Gibt es den klassischen Patienten, der nicht mehr leben will, der den Wunsch zu sterben hat?

Gehmacher: Man muss unterscheiden zwischen dem Sterbewunsch und dem Wunsch, das Sterben zu beschleunigen. Wir haben sehr viele Menschen, die irgendwann einen Sterbewunsch äußern, die verzweifelt sind. Aber bei sehr vielen ist der Wunsch nicht permanent, sondern wandelt sich wieder. Ich denke, man darf hinter dem Wunsch zu Sterben, nicht immer nur diesen reinen Sterbewunsch sehen. Oft gehe es darum, dass man so nicht mehr leben möchte, der Lebenswille ist aber noch vorhanden.

ORF Vorarlberg: Sie haben sich bisher sehr kritisch gegenüber dem assistierten Suizid geäußert? Hat sich diese Meinung mit einem Jahr Erfahrung, indem ein assistierter Suizid möglich ist, geändert?

Ich sehe es nach wie vor sehr, sehr kritisch. Ich habe die Sorge, dass durch die Legalisierung des assistierten Suizids, vielleicht auch in weiterer Folge der aktiven Sterbehilfe, diese Sterbehilfe etwas Normales wird, mit dem Menschen aus dem Leben scheiden. Und das hat dann schon Auswirkungen auf eine Gesellschaft. Wie geht sie mit dem Sterben um? Der Druck auf alte und kranke Menschen wird größer werden, vielleicht auch, wenn finanziell die Engpässe mehr werden. Und das ist für mich das große Problem bei der Thematik, dass es einzelne Situationen gibt, wo Menschen verzweifelt sind, das ist ganz klar. Und diesen Menschen muss man beistehen. Aber das, was gesellschaftlich passiert, ist für mich die große Problematik bei der Legalisierung der Sterbehilfe. Und da hat sich eigentlich Nichts geändert.