Gerald Loacker, NEOS
© Weissengruber & Partner Fotografie OG | Bregenz
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Politik

Loacker fordert Reform des Pensionssystems

Der Dornbirner Gerald Loacker sitzt für die Partei NEOS im Nationalrat. Im Interview mit ORF Vorarlberg-Redakteur Michael Prock spricht er unter anderem über seine Forderung, das Pensionssystem zu reformieren – denn Oppositionspolitiker könnten Reformen zwar thematisieren, aber nicht selbst umsetzen.

Loacker ist bereits seit neun Jahren Abgeordneter zum Nationalrat – neun Jahre Oppositionspolitik liegen hinter ihm. Seit Beginn fordert er eine Reformation des Pensionssystems. Bei Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sieht er nun das lang vermisste Problembewusstsein.

ORF Vorarlberg: Herr Loacker, wie sieht Ihre Bilanz des aktuellen Parlamentsjahres aus?

Gerald Loacker: Es war ein arbeitsreiches Jahr. Mit vielen parlamentarischen Aktivitäten und Initiativen sowie mit vielen Wechseln, die wieder viel Arbeit bedeuten. Viel Arbeit natürlich für die neuen Minister, aber auch für die Abgeordneten, die mit ihnen zusammenarbeiten. Und wir hatten heuer Rekordausgaben, von denen viele Milliarden Euro nicht finanziert sind. Das geht auf Kosten unserer Kinder und Enkel.

ORF Vorarlberg: Wie schwierig ist es denn, sich auf neue Minister einzustellen?

Gerald Loacker: Man wird das gewohnt. In meiner neunjährigen Laufbahn ist es mein achter Gesundheitsminister. Das ist wohl eher schwieriger für den Minister, der ein bisschen mehr als ein Jahr im Amt ist und kaum Zeit hat, ein kompliziertes Ministerium und die ganzen politischen Akteure kennenzulernen.

ORF Vorarlberg: Ist es fair gegenüber der Bevölkerung, dass eine Regierung ohne Wahlen ständig Minister und sogar den Kanzler austauscht?

Gerald Loacker: Die gewählten Mandatare sind die Abgeordneten. Die Regierung muss das Vertrauen der Abgeordneten im Parlament haben. Insofern ist es rechtlich legitim, was die Regierungen machen. Ob es politisch klug ist und ob die Bevölkerung das gut findet, ist eine andere Frage. Sie wird wahrscheinlich bei der nächsten Wahl auf dem Stimmzettel beantwortet.

ORF Vorarlberg: Sind Sie als Abgeordneter froh, dass Sie nicht mehr über das Coronavirus sprechen müssen?

Gerald Loacker: Ja, das war sehr ermüdend. Nicht nur, weil sich alles wiederholt hat. Es war auch für alle, die damit zu tun hatten, eine sehr anstrengende Zeit. Die hohe Aufmerksamkeit, die Tag und Nacht und die Wochenenden verlangt hat. Die Pressekonferenzen an Sonn- und Feiertagen, die Sitzungen im Hauptausschuss, am Samstag und am Sonntag, die viele Zusatzarbeit für alle Beteiligten oder die schnelle Reaktion. Das war sehr anstrengend.

NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker bei einer Rede im Nationalrat
NEOS
Loacker ist froh, nicht mehr über das Coronavirus sprechen zu müssen

ORF Vorarlberg: Wäre es gerade in so einer Zeit für einen Oppositionspolitiker nicht einfacher, sich zurückzulehnen und die Regierung ihre Arbeit machen zu lassen?

Gerald Loacker: Ja, das könnte man machen. Man würde wahrscheinlich in den Umfragen eher besser als schlechter abschneiden. Unser Anspruch ist es aber schon, nicht nur zu kritisieren, sondern auch konstruktive Vorschläge zu liefern. Und das ist wirklich Arbeit. Wenn man das gut machen möchte, haben wir alle mehr als genug zu tun.

ORF Vorarlberg: Wie attraktiv ist die Rolle als Oppositionspolitiker generell?

Gerald Loacker: Man muss die eigenen Ziele und die eigene Motivation anders festmachen als an der Frage, welche Vorschläge die Regierung umgesetzt hat. Das wird nämlich immer wenig sein. Man muss schauen, bei welchem Thema sich die Regierung bewegen musste. Oder wo man als einer von 183 Abgeordneten ein Thema setzen konnte. Also dass man darüber spricht und dass eine relevante Person dieses Thema mit mir verbindet. Wenn das gelingt, ist schon viel erreicht.

ORF Vorarlberg: Eines dieser Themen sind bei Ihnen die Pensionen. Was haben Sie da erreicht?

Gerald Loacker: Als ich Johannes Rauch auf das Pensionssystem angesprochen habe, hat er geantwortet: „Ja, da muss man wirklich etwas tun.“ Er ist der erste Sozialminister, der so reagiert. Damit ist schon viel erreicht. Ich konnte auch erreichen, dass heute viele politische Akteure zumindest wissen, was das schwedische Pensionsmodell ist. Die Mitbewerber haben sich damit auseinandergesetzt, nachdem meine Fraktion das immer wieder ins Spiel gebracht hat. Das sind kleine und bescheidene Erfolge, aber es geht eben darum, Themen zu setzen.

ORF Vorarlberg: Die Pensionen werden im kommenden Jahr kräftig erhöht. Ist das in Ihrem Sinne?

Gerald Loacker: Die Erhöhung ist grundsätzlich gesetzlich geregelt. Jetzt gibt die Regierung noch eine Einmalzahlung dazu. Das halte ich für eine Erhöhung an der Schmerzgrenze. Das Problem ist strukturell, nämlich dass die Zuschüsse zu den Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung in vier Jahren um die Hälfte steigen: von 12 Milliarden auf 18 Milliarden. Und das kann so nicht weitergehen. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Wir geben ein Viertel des gesamten Budgets für Pensionen aus.

Gerald Loacker
Mathis Fotografie
Loacker trägt aufgrund seiner Kritik an den Kammern den Spitznamen „Kammerjäger“

ORF Vorarlberg: Eines Ihrer anderen Lieblingsthemen sind die Kammern. Sie tragen den Spitznamen „Kammerjäger“. Was haben Sie mit Ihrer Kritik schon erreicht?

Gerald Loacker: Den Spitznamen verdanke ich dem früheren Wirtschaftskammerpräsident Manfred Rein. Ich konnte zumindest erreichen, dass an mancher Stelle mehr Transparenz herrscht und dass Kammern ihre Daten, ihre Rücklagen offenlegen und in manchen Länderkammern die Sensibilität gestiegen ist. Es gibt mehr Bewusstsein für öffentliche Ausgaben.

ORF Vorarlberg: In Vorarlberg haben heuer die Spitzen der Kammern gewechselt. Bei der Wirtschaftskammer zwangsweise, bei der Arbeiterkammer freiwillig. Was halten Sie denn von den neuen Chefs?

Gerald Loacker: Ich glaube, die werden im Wesentlichen in den Spuren ihrer Vorgänger weitergehen. Ich erwarte mir keine großen Reformschübe. Beide kommen zu sehr aus den Systemen heraus und sind lang gediente Mitarbeiter oder Funktionäre der jeweiligen Kammer gewesen. Für eine Reform fehlt diesen Institutionen die Kraft aus sich heraus.

ORF Vorarlberg: Sie müssen immer wieder Kritik einstecken. Manche setzen bei Ihrer Betitelung als Sozialsprecher das „Sozial“ unter Anführungszeichen. Sie gelten bei Kritikern als unsozial. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Gerald Loacker: Es gibt in einem Sozialsystem immer die Balance zwischen den Interessen der Zahlenden und den Interessen der Leistungsbezieher. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, beide Seiten zu sehen und nicht nur die Seite der Leistungsbezieher. Wir müssen genau darauf schauen, ob die Richtigen das Geld bekommen. Und manchmal ist unser System zu großzügig. Wenn ich 500 Euro an alle überweise, dann bekommen auch Leute das Geld, die es nicht bekommen hätten sollen, weil sie es nicht brauchen. Das betrifft mich persönlich auch. Und dort schreie ich auf. Das ist manchen schon zu viel.

Diskussion ums Pensionssystem

Der Dornbirner Gerald Loacker sitzt für die Partei NEOS im Nationalrat. Im Interview mit ORF Vorarlberg-Redakteur Michael Prock spricht er unter anderem über seine Forderung, das Pensionssystem zu reformieren – denn Oppositionspolitiker könnten Reformen zwar thematisieren, aber nicht selbst umsetzen.

ORF Vorarlberg: Diese Diskussionen finden auch sehr stark auf Twitter statt. Sie diskutieren seit einiger Zeit nicht mehr mit. Vermissen Sie Twitter manchmal?

Gerald Loacker: Ich diskutiere nicht mehr mit, weil nach meiner Einschätzung jedes Wort im Mund umgedreht wird, die Aufregung groß ist und es schnell eskaliert. Es bringt für meine politische Arbeit keinen Fortschritt. Aber ich lese noch mit.

ORF Vorarlberg: Wir haben zu Beginn über Corona gesprochen. Mittlerweile gibt es ganz andere Krisen. Putins Armee bombt die Ukraine zurück ins Mittelalter, das spüren wir auch in Österreich. Zum Beispiel bei den Energiekosten. Wie soll man da die Menschen in Österreich unterstützen? Den Strompreisdeckel kritisieren Sie ja eigentlich.

Gerald Loacker: Das ist wieder so eine Gießkannenmaßnahme, von der alle profitieren. Wenn Menschen in meiner Einkommensklasse den Strompreisdeckel bekommen, dann wird mit viel Steuergeld eine teure Maßnahme finanziert, die sie nicht brauchen. Er ist nicht treffsicher.

ORF Vorarlberg: Ob zuvor bei Corona oder jetzt bei der Teuerung, die Regierung verhängt Lockdowns oder hilft finanziell. Gibt es Grenzen der Eigenverantwortung?

Gerald Loacker: Natürlich gibt es Grenzen der Eigenverantwortung. Die müssen wir im politischen Diskurs immer wieder abstecken. Aber in Österreich haben wir eher auf der anderen Seite ein Problem. Der Staat greift zu oft ein. Die Lockdowns waren überschießend, auch im internationalen Vergleich. Wir tendieren in Österreich dazu, den Menschen die Eigenverantwortung wegzunehmen. Auch dort, wo sie sie vielleicht selbst wahrnehmen könnten.

Gilt das auch für die aktuellen finanziellen Unterstützungen?

Loacker: Das kommt eben darauf an, welche Personen es betrifft. Für die unteren Einkommensschichten sind von der Regierung viele Maßnahmen gesetzt worden, die auch die Richtigen treffen. Aber zu oft wird mit der Gießkanne operiert. 80 Prozent der ausgeschütteten Gelder werden mit der Gießkanne verteilt. Dann stimmt die Rechnung nicht.

ORF Vorarlberg: Ein bisschen des Geldes holt sich die Regierung jetzt eh zurück, weil sie die Gewinne abschöpft.

Gerald Loacker: Ich bin kein Freund dieser Logik der Übergewinne. Wenn man das konsequent durchdenkt, hätte man die Apotheke mit den Teststraßen auch besteuern müssen. Das gilt auch für die Maskenhersteller und die Impfstoffproduzenten. Die haben – unter Anführungszeichen – auch Übergewinne erwirtschaftet. Die Steuer jetzt trifft viele Unternehmen, die schon viele Jahre mit erneuerbaren Energieträgern arbeiten und seit Jahrzehnten in dieses Segment investieren. Sie werden bestraft. Das halte ich für ein schlechtes Signal für den Wirtschaftsstandort. Auch wenn die Menschen das Gefühl haben, die hohen Gewinne seien eine Sauerei, muss ich fragen, wer die Unternehmen sind. Und das sind weitgehend Energieversorger, die den Ländern oder dem Bund gehören.

ORF Vorarlberg: Werden Sie bei den kommenden Nationalratswahlen noch einmal antreten?

Gerald Loacker: Das entscheidet die Mitgliederversammlung. Aber wenn die Mitglieder mich unterstützen, trete ich gerne wieder an.

ORF Vorarlberg: In Vorarlberg gibt es bald eine neue Parteichefin, Claudia Gamon. Ist der Posten für Sie nie in Frage gekommen?

Gerald Loacker: Das ist nicht zur Diskussion gestanden. Ich freue mich sehr, dass Claudia Gamon das übernimmt. Sie wird eine starke Chefin für die Vorarlberger Landesgruppe. Das Schöne bei uns ist, dass wir uns alle gut verstehen.

ORF Vorarlberg: Welches Wahlziel sollten die Neos mit Spitzenkandidatin Claudia Gamon bei der nächsten Landtagswahl ausrufen?

Gerald Loacker: Ach, das ist noch weit weg. Da wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen. Natürlich haben wir das Ziel, stärker zu werden. So stark, dass wir als regierende Kraft in Frage kommen.

ORF Vorarlberg: Anders gefragt: Wie hoch schätzen Sie das Potenzial der Neos in Vorarlberg ein?

Gerald Loacker: Das Potenzial ist hoch. Wir haben bei der Europawahl im Jahr 2019 17 Prozent gemacht. Da sieht man, was möglich ist, wenn eine starke Kandidatin und eine gute Botschaft zusammenkommen.