Peter Bußjäger im Interview vor Bücherregal
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Politik

Stellung beziehen verletzt Neutralität nicht

Vor 67 Jahren ist im Nationalrat das Neutralitätsgesetz beschlossen worden. Diese „immerwährende Neutralität“ sorgt oftmals für Diskussionen, gerade auch hinsichtlich der Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg. Wenn sich Österreich dabei auf die Seite der Ukraine stelle, verletze das die Neutralität nicht, sagt Verfassungsexperte Peter Bußjäger.

Der Einmarsch der russischen Armee habe die Diskussion um die Neutralität Österreichs erneut entfacht. Dass Österreich sich in diesem Konflikt nicht auf eine Seite schlagen dürfe, stimme in dieser Absolutheit allerdings nicht. „Neutralität bedeutet nicht, dass man nicht Position beziehen darf“, betont Bußjäger.

„Österreich hat von Anfang an seine Neutralität so interpretiert, dass es nicht politisch neutral sein muss“, erklärt Bußjäger. Die Neutralität beziehe sich viel mehr auf den militärischen Bereich, denn bestimmte Unterstützungshandlungen wie beispielsweise Waffenlieferungen wären mit der Neutralität nicht vereinbar.

Verständnis der Neutralität hat sich gewandelt

Das Verständnis der Neutralität habe sich im Laufe der Zeit gewandelt, berichtet Bußjäger – insbesondere in Bezug auf die Unterstützung von Sanktionen. In den 1970er Jahren wurden Sanktionen noch sehr kritisch gesehen, während die Teilnahme an Sanktionen der Europäischen Union gegenüber bestimmten Staaten in den letzten Jahrzehnten nicht mehr als Verletzung der Neutralität wahrgenommen wurde, sagt der Verfassungsexperte von der Universität Innsbruck.

Beistandspflicht als Mitglied der Europäischen Union

Grundsätzlich sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet, einem anderen Mitgliedstaat Unterstützung zu leisten, wenn dieser von einem Angriff bedroht wird. Das habe durchaus Einfluss auf die Neutralität: „Die Neutralität Österreichs ist zu einem gewissen Teil erodiert, weil wir Mitglied der Europäischen Union sind und es eine grundsätzliche Beistandspflicht gibt“, erklärt Bußjäger.

Um die Neutralität trotz Beistandspflicht nicht verletzen zu müssen, gäbe es die sogenannte „irische Klausel“, erklärt Bußjäger. Neutrale Staaten könnten so ihren Standpunkt der Neutralität betonen. „Inwieweit das in der Praxis realistisch wäre, ist höchst fraglich“, gibt Bußjäger allerdings zu bedenken.

Neutralität bedeutet Bündnisfreiheit

Die potenzielle Teilnahme an einer Armee der Europäischen Union sei für einen neutralen Staat wie Österreich nicht vorbehaltlos möglich, betont der Verfassungsexperte. Der Status der Neutralität bedeute für Staaten Bündnisfreiheit, ein Beitritt zur NATO wäre für Österreich demnach neutralitätsrechtlich nicht zulässig, argumentiert Bußjäger. Aber auch die Teilnahme an einer europäischen Armee erachte er nicht als vereinbar mit der Neutralität – besonders dann nicht, wenn es um den Eingriff in Konflikte gehe.