Theo Hug
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Hug: „Bildungsangebote für soziale Medien benötigt“

Die internationale Forscher-Gemeinschaft „Club of Rome“ kritisiert jetzt die Sozialen Medien. Nicht zu unrecht, sagt Medienforscher Theo Hug, denn von der einst erhofften Demokratisierung der Information ist wenig geblieben. ORF Vorarlberg-Redakteur Andreas Feiertag hat sich mit ihm unterhalten.

Zum Start der Sozialen Medien habe man gehofft, dass sie zur Demokratisierung der Information beitragen, sagt Kommunikationsforscher Theo Hug. Inzwischen müsse man aufpassen, dass sie nicht zu sehr manipulieren.

ORF Vorarlberg: Herr Professor Hug, der „Club of Rome“ schreibt in seinem jüngsten Bericht, eines unserer derzeit größten Probleme sei unsere Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Und daran seien vor allem die sozialen Medien schuld. Teilen Sie diese Ansicht?

Hug: In dieser Einseitigkeit kann ich die Ansicht nicht teilen. Es hängt schon mal davon ab, ob wir von einem engen oder weiten Begriff von sozialen Medien ausgehen, ob wir zum Beispiel von aufstehn.at sprechen oder von Wikipedia oder von Facebook und WhatsApp. Das macht alles einen großen Unterschied, wie hier die Verteilung von Verantwortung im Umgang mit Fakten und Fiktionen zu sehen ist.

ORF Vorarlberg: Bleiben wir bei Facebook, WhatsApp, Instagram, TikTok, die auch am meisten verwendet werden. Sie haben mir gesagt, dass Sie bei den Benutzern eine zunehmende Ignoranz gegenüber Wahrheit und Unwahrheit wahrnehmen. Woher kommt denn diese Ignoranz?

Hug: Auf der einen Seite ist so eine Ignoranz durchaus auszumachen und auf der anderen Seite gibt es auch so etwas wie eine Sehnsucht danach, zu wissen, wie die Wirklichkeit in Wirklichkeit ist. Es scheint aber hier durchaus auch Ermüdungserscheinungen zu geben. Wenn Sie fragen, wo das herkommt, wir haben auf der einen Seite die großen politischen Kontexte. Denken Sie an die Aufgaben der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Die sind ja nicht arbeitslos, die haben viel zu tun in diesen Tagen. Und insofern die Frage: Wie kommt Wahrheit, Unwahrheit ins Spiel? Wie kommt daher eine gewisse Ignoranz gegenüber diesen Unterscheidungen? Dann sind die Quellen hier vielgestaltig und haben durchaus auch einen politischen Kontext. Sie haben einen Kontext, wo es um Kommunikation generell geht und einen vergleichsweise lockeren Umgang mit Fakten und Wahrheiten, der allenthalben auszumachen ist.

ORF Vorarlberg: Kann es auch sein, dass das Vertrauen in die klassischen Qualitätsmedien sinkt?

Hug: Ein Stück weit ja. Glaubwürdigkeit, Vertrauen ist ein Thema, das auch die Qualitätsmedien beschäftigt und das hier auch Einbrüche sind, das muss man durchaus im Auge behalten. Wobei auf der anderen Seite, wenn von den sogenannten sozialen Medien die Rede ist, dann haben wir auch hier eine mitlaufende Suggestion der Gemeinnützigkeit oder Hilfsbereitschaft, die aber in die Irre führt. Die sogenannten sozialen Medien sind im Regelfall nicht gemeinwohl orientiert und die viel zitierte Rede von der Weisheit der vielen, „The wisdom of the crowd“, ist eine Seite der Sache. Auf der anderen Seite gibt es auch die „Madness of the crowd“ der Gruppen-Unsinn, die kollektiven Verblendungen und Einseitigkeiten die eine Rolle spielen. Und Einseitigkeiten werden manchmal durchaus auch den Qualitätsmedien vorgeworfen. Das ist eine Aufgabe, wo hier Kritik, Revision, Aufklärung allemal gebraucht wird.

ORF Vorarlberg: Erst die Leugner des Klimawandels, dann die Querdenker in der Pandemie. Sehr viele von ihnen beziehen ihre sogenannten alternativen Fakten aus alternativen Quellen, also aus den genannten sozialen Medien. Das Resultat sind Demonstrationen und auch eine Polarisierung der Gesellschaft. Für die aktuellen Herausforderungen braucht es aber einen Zusammenhalt der Gesellschaft. Laufen wir auch über die sozialen Medien Gefahr, handlungsunfähig zu werden?

Hug: Das wäre in meinen Augen eine zu starke Ansage. Es fragt sich in solchen Fällen immer welches wir ist denn konkret gemeint? Welche Gruppen, welche Milieus, welche Dynamiken der Entsolidarisierung, die hier in global vernetzten Medien, kulturellen Zusammenhängen eine Rolle spielen? Also dass wir alle miteinander handlungsunfähig werden, das sehe ich nicht.

ORF Vorarlberg: Was muss oder müsste getan werden, damit die Menschen in sozialen Medien wahr von falsch unterscheiden können?

Hug: Es braucht entsprechende Bildungsangebote, und zwar für alle Lebensalter und alle Milieus. Formen der Medienbildung, die mit kritischer Medienkompetenzentwicklung korrespondieren. Es braucht auch kreative Denk und Wissensformen. Es braucht Freiräume auch für zweckfrei gedachte Bildung und nicht die Reduktion von Bildung auf Qualifizierungsprozesse oder messbare Kompetenzen allein. Der zweite Ansatz geht über Aufklärung, über Zusammenhänge, über Abhängigkeiten und wie diese auch überwunden werden können. Und nicht zuletzt braucht es auch klares Bewusstsein von Regulierungen. Es geht nicht an, dass die Verantwortung hier allein bei Einzelnen bleibt oder in Schulen, zum Beispiel bei Lehrerinnen. Es braucht entsprechende Rahmenbedingungen, es braucht entsprechende Förderstrukturen und auf der Ebene der Regulierungen auch eine gewisse Begrenzung eines entgrenzten digitalen Kapitalismus.