Adelheid Heidi Kastner
Philipp Horak
Philipp Horak
CHRONIK

Kastner: Zuhause für Frauen am gefährlichsten

In Österreich sind in diesem Jahr laut Austria Presseagentur 26 Frauen getötet worden. Wird eine Frau getötet, ist der Täter fast immer ein nahestehender Mann. Die Psychiaterin Adelheid Kastner sieht im ORF Vorarlberg-Interview ein Kernproblem, in überkommenen Rollenbildern.

In Österreich werden deutlich mehr Frauen als Männer getötet, Männer überwiegend in kriminellen Umfeldern, Frauen vor allem in Partnerschaften, sagt die Linzer Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Kastner. Die Tötung einer Frau ist oft das Ende einer langen Gewaltgeschichte, so war es auch beim Fall in Bludenz vor einigen Tagen. Doch warum schaffen es Frauen nicht eher, sich aus Gewaltbeziehungen zu lösen? Und welche Bedeutung haben Rollenverständnisse in diesem Kontext? Genau darüber und über vieles weitere hat Kastner im Interview mit dem ORF Vorarlberg gesprochen.

ORF Vorarlberg: Frau Kastner, im internationalen Vergleich liegt Österreich insgesamt bei den Morden im unteren Feld. Nicht so aber bei den Frauenmorden? Woran liegt das?

Adelheid Kastner: Wir liegen im Verhältnis von Frauenmorden zu Männermorden im oberen Feld. Es werden bei uns deutlich mehr Frauen als Männer getötet, was auch daran liegt das sehr wenig Männer getötet werden. Die Zahlen sind in den letzten Jahren nicht zurückgegangen. Es hat sogar schon mal weniger Frauenmorde gegeben.

Woran das liegt, ist schwer zu beantworten, weil es vermutlich, wie für vieles auch hier ein Bündel an Ursachen gibt. Es wird immer wieder ins Treffen geführt, dass es sozusagen „importierte Tötungsdelikte“ von Tätern sind, die nicht autochthone Österreicher sind. Das ist zum Teil richtig. Man muss sagen, dass Menschen mit Migrationshintergrund einen höheren Anteil an diesen Tötungsdelikten als an der Bevölkerung haben. Das ist Fakt. Aber es ist eben nicht nur ein Problem der Migration. Es sind auch viele gestandene Österreicher dabei.

An den staatlichen Strukturen liegt es nicht. Die sind bei uns sehr gut ausgebaut und umfangreich vorhanden. Das Angebot für Frauen, die sich von übergriffigen Männern trennen und räumliche Distanz schaffen wollen, könnte man noch erweitern. Frauenhäuser sind vielleicht nicht für jede Frau das, wo sie sich gern sehen würde. Vielleicht gibt es auch noch differenziertere Möglichkeiten, wo man alternative Unterkünfte anbieten könnte. Aber an sich sind die staatlichen Strukturen ganz gut ausgebaut.

Die laufende Forderung nach Betreuung oder zwingend erforderlicher Behandlung der Täter, die scheint mir sehr optimistisch, weil wenn jemand der Meinung ist, dass es ihm zusteht, seine Frau zu schlagen, zu quälen, ist der natürlich nicht in fünf oder sechs Stunden veränderbar. Insofern ist die Forderung viel zu optimistisch.

Ich glaube, wir haben immer noch ein sehr patriarchales Erbe. Wobei man differenzieren muss. Es gibt sehr viele Männer, die den Sprung in die Gleichstellung von Mann und Frau geschafft haben. Man kann nicht alle in einen Topf werfen. Aber es gibt halt immer noch sehr viele, die meinen, die Frau ist dem Mann untertan. Das sind aber gesellschaftspolitische Ursachen, die man ganz schwer mit einzelnen Maßnahmen bekämpfen kann.

ORF Vorarlberg: Kann man sagen, die eigenen vier Wände sind für Frauen in Österreich der gefährlichste Ort?

Adelheid Kastner: Definitiv. Also wenn Frauen Opfer von Verbrechen werden, dann ist das in den allermeisten Fällen im eigenen familiären Umfeld oder Beziehungskontext. Das, was Frauen fürchten, nämlich finstere Tiefgaragen und dunkle Parks, sind nicht die Orte, an denen sie mehrheitlich Opfer von Verbrechen werden. Das ist fast immer das Beziehungsumfeld.

ORF Vorarlberg: Was sind das eigentlich für Männer, die ihre Frauen töten? Gibt es da gemeinsame Merkmale?

Adelheid Kastner: Als einziges gemeinsames Merkmal kann man wahrscheinlich eine umfassende Egozentrik nennen. Man stellt sich selbst und seine Befindlichkeit über ganz zentrale Rechte eines anderen, in diesem Fall das Recht auf Leben. Und das ist das verbindende Merkmal. Die Täter an sich kann man in grobe Gruppen einteilen.

Zum einen sind da die, die prinzipiell meinen, dass Gewalt gegen Frauen kein Thema ist. Da gibt es im Vorfeld aber in der Regel Wegweisungen und Anzeigen. Da gibt es Hinweise darauf, dass da ein sehr dysfunktionales Beziehungsmuster vorliegt. Das sind die, die dann in der Regel meinen, dass nach dem Tötungsdelikt die Welt in Ordnung ist, die auch keinerlei Reue und Bewusstsein empfinden und die dann relativ gelassen dem, was kommt, entgegensehen und von dieser Position auch kaum abrücken.

Dann gibt es die eher verdeckten Narzissten, die der Meinung sind, sie halten eh alles aus und sie ertragen die Gewalt, die in der Beziehung durch die Frau ausgeübt wird. Sie inszenieren sich vor sich selbst und auch vor dem Umfeld als Opfer. Und wenn die Frau dann sagt, dass das so nicht mehr geht oder diese letzte Kränkung dann in Form einer Kritik kommt, dann rechtfertigen sie das Tötungsdelikt für sich, in dem sie sagen, ich habe alles versucht, alles gemacht, ich habe wirklich alles ertragen, mehr kann kein Mensch von mir erwarten. Dann ist das Tötungsdelikt unvorhergesehen gekommen, weil sie sich vorher nicht durch Gewalt ausgezeichnet haben.

Und dann gibt es noch die Gruppe der Dissozialen. Die schlagen eigentlich in allen Delikten auf und tun das, was halt gerade im Moment ihre Befindlichkeit verbessert. Das sind die, die einen Raubüberfall begehen oder jemanden anderen bestehlen oder vergewaltigen. Es sind die, die sowieso keine Regeln und Normen akzeptieren. Für die gilt nur das, was sie für sich selbst entscheiden.

Aber zwischen diesen Gruppen gibt es natürlich fließende Übergänge und vor allem die Gruppe dieser verdeckten Narzissten, die hauptsächlich gekränkt sind, die wird man vorher nie identifizieren. Da ist dann das Umfeld in der Regel immer völlig entsetzt, weil man es sich von dem ja nie erwartet hätte.

ORF Vorarlberg: Jetzt ist es ja auch oft so, dass wenn ein Mann seine Frau tötet, es schon im Vorhinein zu Gewalt gekommen ist. So war es ja auch bei dem Fall in Vorarlberg vor wenigen Tagen. Der Mann war mehrfach vorbestraft, teils auch wegen Delikten gegenüber seiner Frau. Jetzt fragen sich da schon viele, warum es immer wieder dazu kommt, dass Frauen sich nicht eher aus Gewaltbeziehungen lösen können?

Adelheid Kastner: Auch da gibt es viele Gründe. Es gibt Frauen mit korrespondierenden Störungen. Es gibt Frauen, die sich ein Leben ohne einen anderen nicht zutrauen. Die meinen, dass sie allein nie zurechtkämen. Aber es gibt natürlich auch eine nicht zu unterschätzende Dynamik von Gewaltbeziehungen, in dem diese gewalttätigen und übergriffigen Männer natürlich sehr viel daransetzen, die Frauen von jeder Unterstützung zu distanzieren. Meist im Vorfeld schon dafür sorgen, dass die Kontakte zur Familie, die Kontakte zu Freundinnen abbrechen, dass die Frauen kaum mehr unbeaufsichtigt irgendwas tun dürfen.

Man muss sich das mal vorstellen, der Ort, an dem man sich eigentlich geborgen fühlen sollte, nämlich das Zuhause, ist gleichzeitig der Ort, an dem man am meisten Angst hat. Und von dem Ort kommt man kaum weg, weil man dauernd kontrolliert wird. Dieser dauernde Druck macht natürlich etwas mit der Person. Irgendwann beginnen sich die Frauen zu fügen. Und um nicht dauernd in panischer Angst zu leben, überzeugt sie sich sukzessive selbst davon, dass er ja gar nicht so schlimm und böse ist und eh nicht zum Äußersten gehen wird. Und dass es ja wirklich so sein wird, wie er sagt, dass sie für alles andere zu blöd ist, dass ihr keiner glauben wird, dass sie keine Chance haben wird. Oder aber auch, dass er sich irgendwann ändern wird, weil das natürlich die Angst reduziert.

ORF Vorarlberg: Im Zusammenhang mit Femiziden, betonen Sie ja auch immer wieder, dass im Hintergrund auch ein gesamtgesellschaftliches Problem dafür verantwortlich ist. Stichwort Rollenbilder. Inwiefern hat das österreichische Rollenverständnis vom Mann und der Frau damit zu tun?

Adelheid Kastner: Ich denke schon, dass wir im Vergleich zu den skandinavischen Ländern zu sehr in diesen tradierten Rollenklischees verhaftet sind. Das kann man sich bei ganz unverfänglichen Sachverhalten anschauen. Wenn bei uns vier Prozent der Väter in Väterkarenz gehen und in Schweden 90 Prozent, dann wird es schon was mit tradierten Rollenklischees zu tun haben, die eben bei uns nur sehr, sehr im Traditionellen verhaftet sind.

Solche Rollenklischees aufzubrechen wäre eben eine Aufgabe von uns allen, indem wir uns bei jeder Gelegenheit sowohl Frauen als auch Männer über diese überkommenen Rollenbilder verpönen. Dass man das immer, wenn es aufpoppt, auch wirklich kommentiert und nicht unkommentiert stehen lässt. Und das beginnt schon bei ganz banalen und ungefährlichen Dingen, wie bei irgendwelchen Schulungen, wo einer der männlichen Vortragenden sagt, jetzt nehme ich einen Vergleich mit dem Autofahren, den werden die Frauen sicher nicht verstehen, aber wir Männer wissen, wovon wir reden. Das ist ein aktuelles Beispiel von einer Bekannten, die sich darüber geärgert hat. Ich glaube, sowas sollte man nicht unkommentiert stehen lassen.

ORF Vorarlberg: Jetzt spielen da offenbar ganz viele verschiedene Faktoren, wie Sie schon gesagt haben, eine Rolle. Wo sollte die Politik aus ihrer Sicht ansetzen, um Frauen besser zu schützen?

Adelheid Kastner: Ich glaube, ansetzen müsste man ganz früh. Ansetzen müsste man dort, wo sich das Bild von der Welt formt, also im Kindergarten, in der Volksschule. Wenn das nicht zu Hause entsprechend mitgegeben wird, dann müsste man sich wahrscheinlich in den frühesten pädagogischen Situationen, auf die man als Gesellschaft Zugriff hat, diese geltenden gesellschaftlichen Regeln verdeutlichen und implementieren. Ich glaube, dass man so wahrscheinlich am ehesten Zugriff auf das Bild hat, das sich dann die künftigen Erwachsenen von den Geschlechtern und den Geschlechterrollen machen. Wenn man bereits Erwachsen ist und bereits ein solides Selbstverständnis sowie ein Rollenverständnis hat, ist das nur mehr schwer anzugreifen.