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ORF.at/Roland Winkler
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Politik

„Billiges Gas verhinderte Erneuerbare Energien“

Der Import von billigem Gas aus Russland hat nach Einschätzung des stellvertretenden Leiters des Energieinstituts, Martin Reis, verhindert, dass die Wirtschaft schon früher Erneuerbare Energien genützt hat. In vielen Fällen habe man sich für den kurzfristigen finanziellen Vorteil entschieden – und nicht für die längerfristige Sicherheit.

Die Versorgungsprobleme im Energiebereich nach Beginn des Ukrainekriegs haben die meisten Unternehmen auf dem falschen Fuß erwischt. Obwohl seit Jahrzehnten klar war, dass die fossilen Energieträger rasch verbraucht werden, gab es kaum Betriebe, die Erneuerbare Energie in großem Umfang genützt haben. Grund dafür ist das Geld, sagt Martin Reis, stellvertretender Leiter des Vorarlberger Energieinstituts. Denn Russland habe Gas zum Billigtarif geliefert.

Über Peak Oil schon lange diskutiert

Der kurzfristige Profit sei relativ klar absehbar gewesen und das langfristige Risiko war zwar eines, was man sich ausrechnen konnte, sagt Reis. Aber die Menschen seien halt so gestrickt, dass sie zum kurzfristigen Vorteil tendierten und auf die langfristige Sicherheit verzichteten. Wissenschaftler hätten schon vor 20 Jahren vor dem Problem gewarnt, so Reis. Lange vor Beginn des Kriegs in der Ukraine sei über den Peak Oil diskutiert worden, also darüber, dass mehr als die Hälfte des förderbaren Öls bereits verbraucht ist.

Martin Reis vom Energieinstitut Vorarlberg
ORF
Martin Reis, stellvertretender Leiter des Vorarlberger Energieinstituts

Das Interview mit Martin Reis hat ORF-Redakteur Peter Metzler geführt.

ORF: Vor ungefähr zehn Jahren war es aus Sicht der Industrie ein riesengroßes Problem, dass die Fördermenge von Erdöl den Höhepunkt erreicht hat. Heute hört man von diesem Peak Oil eigentlich gar nichts mehr. Was hat sich denn da verändert?

Martin Reis: Das Thema war vor zehn Jahren noch eher: Bekommen wir noch genug aus der Erde und bekommen wir es günstig aus der Erde. Jetzt wissen wir, dass wir ein Deponie-Problem haben. Wir können gar nicht mehr genug Abfallprodukte – das sind eben die Treibhausgase, die man da erzeugt, wenn man fossile Energieträger verbrennt – in der Atmosphäre unterbringen. Es gibt Untersuchungen, die sagen, wir haben ungefähr noch rund 3.000 Gigatonnen Energie in Form von kohlenstoffhaltigen Energieträgern in der Erde. Wir dürfen aber maximal noch 400 Gigatonnen verbrennen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen.

ORF: Das heißt aber auch: Wenn wir jetzt so weitermachen würden mit dem Erdölverbrauch zum Beispiel, dann kippt das von einem Augenblick auf den anderen. Ändert sich da etwas grundlegend?

Reis: Man befürchtet, dass sich zum Beispiel der Golfstrom umkehren könnte. Das würde das Klima total durcheinander wirbeln. Wir haben das Problem mit den Eis-Schilden. Je mehr Eis am Nord- und Südpol abschmilzt, desto weniger Hitze wird reflektiert. Das sind dann solche sich selbst verstärkende Mechanismen. Und wenn die einmal eingeleitet sind, dann befürchtet man, dass die auch nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

ORF: Beim Erdgas ist der Peak, also die maximale Fördermenge, schon lange überschritten. Schon einige Jahre. Was ist aber in all dieser Zeit passiert, um umzusteigen auf neue Formen der Energie? Da hat man offensichtlich geschlafen?

Reis: Man hat sich eben auf Russland verlassen. Russland hat günstiges Gas in großen Mengen, nach wie vor. Und das war so billig, dass der Gaspreis sogar 2018 überhaupt historisch am billigsten war. Sobald man dafür was bezahlen müsste, dass man da seinen Müll entsorgt, da wäre der Preis natürlich hinaufgegangen. Aber das ist eben das Problem von solchen Allgemein-Gütern, wie zum Beispiel eben unserer Atmosphäre, dass da jeder seinen Dreck praktisch abladen kann, ohne dass er was dafür bezahlt.

ORF: Viele, auch Experten, gehen davon aus, dass das Gas aus Russland sehr bald möglicherweise gekappt und eingestellt wird. Man hat den Eindruck, die Wirtschaft ist eigentlich irgendwie völlig überrascht und auf dem linken Fuß erwischt. Technologisch und umwelttechnisch.

Reis: Ja, man hat sich eigentlich schon darauf verlassen, dass Staaten wie Russland ökonomisch vernünftig agieren. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das natürlich total unsinnig, was Russland macht. Das bringt Russland in den finanziellen Ruin. Aber es gibt eben noch andere Gründe, in der Politik Entscheidungen zu treffen. Und das hat man in der Wirtschaft unterschätzt. Man hat gedacht, vermutlich wird der Putin eben wirtschaftlich vernünftig handeln. Das tut er nicht. Und damit sind jetzt alle überrascht worden und haben auch viele Betriebe im Grunde einfach zu wenig Alternativ- Strategien gemacht.