Neustart-Leiter Winfried Ender
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Winfried Ender: Menschen eine zweite Chance geben

Der Verein „Neustart“ kümmert sich um die Unterstützung von Gewaltopfern und unterstützt Menschen, die gerichtlich verurteilt worden sind und Bewährungshilfe bekommen haben. Winfried Ender hat „Neustart Vorarlberg“ 15 Jahre lang geleitet und geht nun in Pension. Im Interview mit ORF Vorarlberg-Redakteur Peter Metzler spricht er über steigende Gewaltbereitschaft und kriminelle Männer.

ORF Vorarlberg: Herr Ender, Sie leiten seit 15 Jahren mittlerweile den Verein „Neustart“. Da geht es im Wesentlichen um die Wiedereingliederung von Haft entlassenen Straftätern. Welche Erfahrungen haben Sie denn gemacht in diesen 15 Jahren? Wie ist der Strafvollzug bei uns im Land?

Ender: Unsere Erfahrung mit der Wiedereingliederung ist grundsätzlich eine sehr gute. Wir haben einen ganz klaren gesellschaftlichen Auftrag, der steht im Strafgesetzbuch: Der Bewährungshelfer hat den Rechtsbrecher von der Begehung weitere Straftaten abzuhalten. Und ich denke, das funktioniert gut, Menschen eine zweite Chance zu geben und Hilfe zur Selbsthilfe zu machen. Also jemandem dabei helfen, dass es seine Entscheidungen so trifft, dass er nicht mehr straffällig wird. Das funktioniert nach wie vor sehr gut, sodass wir jetzt im konkreten Fall, wenn jemand zu Entlassung ansteht, den drinnen treffen, Vorbereitungen machen, Unterkünfte suchen und sozusagen diese Überleitung in die Freiheit sicher begleiten können.

ORF Vorarlberg: Im vergangenen Jahr hat es eine Studie der Uni Innsbruck gegeben und die hat offensichtlich gezeigt, dass zwei Drittel der Insassen in Gefängnissen selbst Gewalt erleben. Kann man dazu etwas sagen, wie die Situation bei uns im Land ausschaut?

Ender: Wir erleben, dass die Klienten ihre Erlebnisse in der Haft, vor allem wenn es negative sind, nicht gern erzählen. Da sehen wir wirklich auch hohe Mauern hier. Ich denke das gibt es, wir wissen von einigen Fällen. Wir machen dann auch Prozessbegleitung, das heißt, wir betreuen manchmal auch Opfer wenn solche Vorfälle passieren, aber in der Regel herrscht auch uns gegenüber relativ großes Schweigen.

ORF Vorarlberg: Wir sprechen immer von den Klienten. Kann man das bisschen differenzieren? Sind es vorwiegend Männer? Ist Kriminalität männlich?

Ender: Ja, Kriminalität ist männlich. Nach wie vor, das ist keine Frage. Ich kann das so pauschal gar nicht beantworten. Wir haben Klienten, die haben Graffiti gemacht oder Ladendiebstahl, die dann im Altersheim 20 Stunden gemeinnützige Arbeit machen müssen und dann nie wieder was anstellen werden. Und dann haben wir Klienten, die waren 15 Jahre in Haft wegen Mordes, haben dann vielleicht eine zehn Jahre Bewährungshilfe. Also wir haben das ganze Spektrum. Aber ja, Kriminalität ist nach wie vor ein männliches Phänomen.

ORF Vorarlberg: Gewalt gegen Frauen wird ja ein immer größeres Thema. Wie schaut es da bei uns generell aus? Mit Gewalt gegen Frauen? Äußert sich die auch in dieser massiven rohen Weise, wie es jetzt in den Medien immer die Fälle berichtet werden? Oder gibt es da auch eine Lage darunter?

Ender: Das Thema häusliche Gewalt ist und war immer ein ganz großes Thema bei uns und da gibt es natürlich ein ganz breites Spektrum und die Spitze dieses tragischen Eisberges sind natürlich solche Fälle, wo es zu einem Mord kommt und wir versuchen auch hier, wie für andere Themen im Kriminalitätsbereich, Lösungen anzubieten. Also es gibt ja seit Jahrzehnten den Tatausgleich und da haben wir ja ein Drittel Fälle von Paarkonflikten, wo es zu Auseinandersetzungen oder Drohungen kommt. Da schickt uns die Staatsanwaltschaft die Fälle, wo unter professioneller Anleitung die Streitparteien Mann und Frau ihren Konflikt bereinigen können. Und da wird viel mehr erzielt in mehreren Gesprächsrunden, als bei einer Körperverletzungsverhandlung am Bezirksgericht.

ORF Vorarlberg: Bekommen Sie in ihrer Arbeit, in ihrer Tätigkeit, Hinweise, Informationen, woher diese Gewaltbereitschaft und diese Gewalttätigkeit kommen könnte? Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft und da müsste eigentlich klar sein, wie man sich zu verhalten hat.

Ender: Ich bin überzeugt davon, dass gewalttätiges, aggressives Verhalten eine zutiefst menschliche Energie ist. Die Frage ist nur, in welche Richtung steuere ich diese Energie? Und da haben Menschen unterschiedliche Muster und Ressourcen, um sich, wie sie mit Krisensituationen umgehen. Jeder von uns hat einmal mehr oder weniger große Lebenskrisen erlebt und bei einigen unseren Klienten sehen wir, die können mit dieser Krise nicht so gut umgehen. Die haben vielleicht die Ressourcen im Umfeld nicht. Und dann kann es zu Gewaltsituationen kommen.

ORF Vorarlberg: Ich möchte noch einmal zum Beginn des Gesprächs zurückkehren, zur Betreuung von Menschen, die aus der Haft kommen. Was müsste passieren oder was kann die Gesellschaft dazu tun, damit diese Wiedereingliederung noch besser oder reibungsloser funktioniert? Oder läuft es schon super?

Ender: Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik. Und ich denke, desto besser unser soziales Netz ist, desto besser wird das funktionieren, desto weniger wird es Rückfälle geben, desto weniger Opferleid wird es geben und desto sicherer sind wir. Ich denke, da sind wir gerade in Vorarlberg gut aufgestellt und da kann ich nur hoffen, dass das so bleibt.