Mangelernährung Ernährung Essen
metamorworks – stock.adobe.com
metamorworks – stock.adobe.com
Gesundheit

Mangelernährung wird oft unterschätzt

Es klingt beim ersten Hinhören beinahe absurd, wenn man in der heutigen Zeit in Vorarlberg von Mangelernährung spricht. Tatsächlich ist dieses Phänomen aber insbesondere bei kranken und älteren Menschen gefährlich und weit verbreitet: Rund 35 Prozent aller Patientinnen und Patienten im Spital sind mangelernährt.

„Allein bei uns in der Abteilung für Onkologie sind vier von fünf stationären Patienten mangelernährt. Sprich: 80 Prozent unserer Patienten haben mit Gewichtsverlust und dessen Auswirkungen zu kämpfen. Im chirurgischen Bereich liegt ihr Anteil immerhin noch bei 50 bis 60 Prozent“, verdeutlicht Patrick Clemens, geschäftsführender Oberarzt der Abteilung für Strahlentherapie und Radio-Onkologie am LKH Feldkirch. Der Facharzt und diplomierte Ernährungsmediziner leitet das bereichsübergreifende Ernährungsteam am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch.

Erkrankungen steigern Risiko einer Mangelernährung

Mangelernährung bedeutet ein Zuwenig an Kilokalorien oder auch einen Mangel an Muskelmasse. Oft liegt bei onkologischen Erkrankungen ein hohes Maß an Appetitlosigkeit vor, zumeist als Folge einer Stoffwechselveränderung. Bestehende Erkrankungen – vor allem Krebserkrankungen – steigern das Risiko, eine Mangelernährung zu entwickeln. „Bei onkologischen Patient:innen kann bereits ein kleiner Tumor den Stoffwechsel im gesamten Körper beeinflussen“, erklärt der Facharzt.

Prinzipiell kann jede Krankheit, durch die über einen längeren Zeitraum hinweg deutlich zu wenig gegessen wird, zu einer Mangelernährung führen. Manchmal können sich kranke und pflegebedürftige Menschen auch selbst nicht angemessen ernähren und brauchen daher Unterstützung. Ein oft unterschätztes Problem bei älteren Menschen ist etwa eine Schluckstörung, so Clemens.

OA Dr. Patrick Clemens, LKH Feldkirch
Vorarlberger Landeskrankenhäuser
Patrick Clemens, geschäftsführender Oberarzt der Abteilung für Strahlentherapie und Radio-Onkologie am LKH Feldkirch

Auch Menschen mit hohem Fettanteil mangelernährt

Vor allem bei älteren Kranken führt die verminderte Nahrungsaufnahme in Kombination mit einem Mangel an Bewegung dazu, dass auch die Muskelkraft abnimmt. Um Leistung zu erbringen, braucht der Körper ausreichend energie- und proteinreiche Nahrung. Bei Ernährungsmangel holt sich der Körper das Eiweiß aus den eigenen Quellen und Reserven, was auch zu einem verstärkten Muskelabbau führt.

Von diesem Muskelschwund können auch diejenigen betroffen sein, die durch ihren hohen Fettanteil viele Kilos auf die Waage bringen und nach außen hin nicht mangelernährt scheinen. Durch den Mangel an Muskelmasse gelten sie aber trotzdem als mangelernährt: „Gerade wenn jemand viel Gewicht hat, geht die Diagnose oft unter und bleibt unentdeckt“, betont Clemens. „Patienten mit einem BMI von 35 können sehr wohl mangelernährt sein. Man sieht es nur nicht auf den ersten Blick. Wir müssen da genauer hinschauen.“

Folgen: Mehr Komplikationen bei Operationen

Die Folgen einer nicht diagnostizierten Mangelernährung sind unter anderem eine schlechtere Wundheilung, höhere Infektanfälligkeit, mehr Komplikationen bei operativen Eingriffen und ungünstige Langzeitprognosen. Häufigere und verlängerte Krankenhausaufenthalte schlagen sich wiederum in höheren Kosten für das Gesundheitssystem nieder. Europaweit entstehen dem Gesundheitswesen durch die Folgen von Mangelernährung Kosten von über 170 Milliarden Euro jährlich.

Richtige Ernährung kann Lebensqualität schaffen

Kürzlich veröffentlichte Studien untermauern nun erstmals auch mit Zahlen, wie wichtig es ist, diese – oft zusätzliche – Diagnose zu stellen: „Eine Untersuchung in der Schweiz mit über 2.000 Patient:innen hat gezeigt, dass mit gezielter Ernährungstherapie um drei Prozent mehr Spitals-Patient:innen ihre Krankheiten überleben. Und das bereits während eines Zeitraums von nur 30 Tagen. Daneben haben sich durch eine individualisierte Ernährung auch die Behandlungsergebnisse verbessert, und es sind im Vergleich weniger Komplikationen bei Eingriffen aufgetreten.

Die richtige Ernährung kann aber nicht nur Leben retten, sondern vor allem auch Lebensqualität schaffen. Daher sind auch an sich gesunde Senioren gut beraten, wenn sie nach einer größeren Operation eine Ernährungstherapie in Anspruch nehmen. Diese hilft dabei, verlorene Muskelmasse wieder aufzubauen.

„Nutrition Day“ einmal im Jahr

Die Zahl an mangelernährten Menschen zeigt sich daher in Gesundheitseinrichtungen besonders deutlich. Einmal jährlich werden diese Daten weltweit ganz exakt erhoben: Am „Nutrition Day“ wird von Österreich ausgehend die Ernährungssituation der Menschen in Spitälern und Pflegeheimen in eine internationale Datenbank eingespeist.

Auch das LKH Feldkirch beteiligt sich seit Jahren an dieser Initiative zur gezielten Bekämpfung von Mangelernährung. Ziel ist es, das Wissen und das Bewusstsein dafür in den Gesundheitseinrichtungen zu stärken und die Qualität der Ernährungsversorgung insgesamt zu verbessern.