U-Ausschuss in Wien
ORF Vorarlberg
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Politik

Chronologie der ÖVP-Wirtschaftsbund-Affäre

Landeshauptmann Markus Wallner ist im U-Ausschuss in Wien geladen: Im Raum stehen der Vorwurf der Korruption im Zusammenhang mit Inseraten in der Zeitung des Vorarlberger Wirtschaftsbunds, der „Vorarlberger Wirtschaft“, sowie der Verdacht auf verdeckte Parteienfinanzierung. Hier eine Chronologie der ÖVP-Wirtschaftsbund-Affäre.

Es gibt Anlässe, an denen trifft sich das politische und mediale Establishment aus Vorarlberg in Wien. Das sind eigentlich schöne Anlässe: Beim Ball der Vorarlberger in Wien zum Beispiel. Oder beim traditionellen Funken des Vereins der Vorarlberger in Wien. Am Mittwoch und Donnerstag steht die Wiener polit-mediale Szene nun wieder im Zeichen Vorarlbergs. Medienvertreter aus dem ganzen Land sind zu Gast. Auch der Landeshauptmann wird da sein. Der Anlass ist allerdings weniger feierlich: Im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss im Nationalrat geht es um alles rund um die Wirtschaftsbund-Affäre. Und das ist einiges.

Die Wirtschaftsbund-Affäre im Überblick

Die Sache beginnt vor vielen Jahren. Im Jahr 2010 thematisieren die Oppositionsparteien zum ersten Mal die Inseratenpraktiken in der Wirtschaftsbundzeitung „Vorarlberger Wirtschaft“. Der Vorwurf: Der Wirtschaftsbund bzw. dessen Direktoren sollen Druck auf Unternehmen ausüben, um Inserate zu schalten. Außerdem inseriere die Kammer selbst. Und öffentliche Unternehmen stünden ebenfalls auf der Liste der Inserenten. Das Geld diene dazu, die ÖVP zu finanzieren.

Es folgen einige Anfragen und Medienberichte, doch die Aufregung ebbt schneller wieder ab. Das Spiel wiederholt sich ein paar Mal. Dann kommt der Mai 2019: Das Ibiza-Video wird öffentlich. Nach einer Regierungskrise, Neuwahl und dem Ibiza-U-Ausschuss reagiert die Öffentlichkeit wesentlich sensibler auf Korruptionsvorwürfe.

Als der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz auch noch über eine Inseratenaffäre stolpert und der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss ein Thema nach dem anderen ausgräbt, rückt auch die Inseratenvergabe in der „Vorarlberger Wirtschaft“ wieder in den medialen Fokus. Im November 2021 erscheint eine neue Ausgabe des Ö1-Medienmagazins „Doublecheck“. Das Thema sind die besagten Inserate.

Steuerprüfer schalten sich ein

Wieder springen einige Medien auf und die Opposition thematisiert die Sache im Landtag. Die Zeiten haben sich geändert: Dieses Mal bleibt die Aufmerksamkeitsspanne hoch. Zumal auch Steuerprüfer die Berichterstattung verfolgt haben. Am 15. Dezember widmen sie sich den Finanzen des damals amtierenden Wirtschaftsbund-Direktors Jürgen Kessler, zwei Wochen später auch jenen seines Vorgängers Walter Natter.

Auch die Konstruktion um Media-Team gerät in den Fokus. Das Unternehmen verkauft Inserate für Publikationen der Wirtschaftskammer. Es gehört zu diesem Zeitpunkt zur Hälfte Jürgen Kessler und zu 40 Prozent Russmedia. Nach der Berichterstattung muss Kessler seine Anteile verkaufen, mittlerweile hält Russmedia zwei Drittel der Firma.

Finanzamt ermittelt nach Berichten

Das Finanzamt nimmt sich auch Media-Team an, wie aus einer E-Mail unter Finanzprüfern hervorgeht. Darin heißt es: „Medial wurde von der Media-Team berichterstattet. Zu prüfen wäre diese mit der 3L-Consult. Da wir die Media-Team nicht mit dem Eugen Russ Konzern – Medienhaus mitgeprüft haben, schlage ich vor, diese jetzt zu prüfen.“ 3L-Consult ist eine Firma von Jürgen Kessler. Diese Mail stammt aus den Akten des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Aber soweit ist die Geschichte zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Steuerprüfung beim Wirtschaftsbund

Jetzt geht es zunächst einmal um eine Steuerprüfung. Im Jänner gibt das Finanzamt bekannt, auch den Wirtschaftsbund und weitere Involvierte wie die Steuerberater des Wirtschaftsbundes und die Finanzreferenzen Franz und Jürgen Rauch zu prüfen. Daraufhin zeigt sich der Wirtschaftsbund selbst an. Das ist ein üblicher Vorgang. Gelangt die Selbstanzeige rechtzeitig ein, kann man dadurch einer Strafe entkommen. Politisch sorgt diese Selbstanzeige allerdings nicht für Ruhe, im Gegenteil: „Der Standard“ berichtet Ende März erstmals über die Selbstanzeige.

Unternehmer berichten von Druckausübung

Daraufhin berichten Unternehmer über Druck, der auf sie ausgeübt wurde, damit sie inserieren. Nun wird der Druck für andere zu groß: Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler und Wirtschaftsbund-Obmann Hans Peter Metzler müssen gehen. Metzler legt auch sein Amt als Präsident der Vorarlberger Wirtschaftskammer zurück

U-Ausschuss fordert Akten an

Jetzt werden auch Nationalratsabgeordnete in Wien auf den Fall aufmerksam. Der Untersuchungsausschuss fordert Akten an. Die ersten Aktenlieferungen zeigen ein Sittenbild, mit dem selbst viele Kritiker nicht gerechnet haben. Zunächst werden Berechnungen des Finanzamts öffentlich. Dem Wirtschaftsbund drohen Steuernachzahlungen von mehr als einer Million Euro.

Wie mit dem Geld umgegangen wurde

Zusammengefasst: Bis 2017 nimmt der Wirtschaftsbund rund 300.000 Euro über Inserate ein. Dann schießen die Einnahmen in die Höhe und gipfeln 2019 bei 1,2 Millionen Euro. Die Geschäftsführer gönnen sich nicht nur Provisionen für verkaufte Inserate (bis zu 20.000 Euro pro Monat). In den Akten findet sich eine Überweisung von 24.000 Euro in eine Lebensversicherung von Walter Natter, ein Darlehen in Höhe von 250.000 Euro (ohne Zinsen, ohne Sicherheiten) an Jürgen Kessler und zahlreiche Barauszahlungen ohne Belege. Unter anderem für die politische Arbeit von Wirtschaftslandesrat Marco Tittler und seinen Vorgänger Karlheinz Rüdisser.

Sonderlandtag wird einberufen

Auch die Opposition im Landtag wird aktiv. Sie lässt einen Sonderlandtag einberufen. Drei Tage vor dem Sonderlandtag berichten die VN über einen Unternehmer, der anonym bleiben möchte. Er erklärt per eidesstattliche Erklärung: Landeshauptmann Markus Wallner habe ihn persönlich um ein Inserat gebeten und im Gegenzug Hilfe bei Behördenverfahren in Aussicht gestellt. Wallner spricht von einer glatten Lüge. Der Urheber der Vorwürfe bleibt bis heute öffentlich anonym, was Wallner, Rüdisser und viele in der ÖVP in Rage bringt. Tenor: Man sei an voller Aufklärung interessiert. Aber bei anonymen Vorwürfen sei das schwierig.

Wallner übersteht Misstrauensvotum

Der Sonderlandtag verstreicht, Landeshauptmann Wallner übersteht ein Misstrauensvotum. Rüdisser ist mittlerweile Obmann des Wirtschaftsbundes. Er soll die Sache aufklären und den Wirtschaftsbund neu aufstellen. Doch die ÖVP-Teilorganisation kommt nicht zur Ruhe. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSta) ermittelt aufgrund der anonymen Anschuldigung mittlerweile gegen Wallner, Rüdisser und Tittler. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch hat das Steuerverfahren übernommen und ermittelt gegen Kessler, Natter, Metzler und den Wirtschaftsbund als Organisation.

Auch abseits der strafrechtlichen und steuerrechtlichen Ermittlungen stehen einige Themen im Fokus. Es geht zum Beispiel um das Geld, das der Wirtschaftsbund an die ÖVP-Ortsgruppen gezahlt hat. In Lustenau landete die Sache kürzlich in der Gemeindevertretung. Auch andere Gemeinden wollen transparenter werden. Im Land kommt ebenfalls Bewegung in das neue Parteienförderungsgesetz.

Aufregung über Handy-Wechsel

Und dann gibt es die Sache mit dem Handy. Landeshauptmann Markus Wallner erkundigte sich an dem Tag, an dem die Ermittlungen gegen ihn öffentlich wurden, bei der IT-Abteilung des Landhauses, ob er sein Handy löschen kann und ob die Daten dann fix gelöscht sind. Der zuständige Abteilungsleiter gab diese Anfrage an den zuständigen Landesrat weiter – an Daniel Zadra von den Grünen. Der wiederum ließ die WKStA davon wissen und erzählte Wallner davon. Das Handy liegt nun wieder ungelöscht in Wallners Büro.

Förderungen an die Landespartei

Fast schon vergessen ist die Diskussion um die Höhe der Förderung an die Landespartei. Markus Wallner sprach einst von 900.000 Euro. Das Finanzamt geht von weit mehr aus, weil sie auch die Ortsgruppen sowie einzelne Zuwendungen dazu rechnen. Zum Beispiel Geld für den Wahlkampf von Vorarlbergs EU-Spitzenkandidat Christian Zoll. Oder Unterstützung für die Wahlkampftour von Sebastian Kurz. Oder Geld für ÖVP-Klubobmann Roland Frühstück für den Landtagswahlkampf 2019. Laut Akten aus dem Untersuchungsausschuss bezahlte der Wirtschaftsbund Wahlkampfgeschenke wie 5.040 Manner-Schnitten und 2.000 Packungen Fruchtgummi. Gesamtwert: 2664,09 Euro.

Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer

Und ebenfalls fast vergessen: Die Verknüpfungen zwischen Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer. Ein Kammer-Mitarbeiter erstellte die Wirtschaftsbundzeitung – in seiner Freizeit, wie es aus der Kammer heißt. Er wurde dafür vom Wirtschaftsbund gut bezahlt. Außerdem bezahlte der Wirtschaftsbund Kaffee für das Büro des Wirtschafslandesrats, für die Sozialversicherung der Selbstständigen und vor allem für die Wirtschaftskammer. Die Kaffeerechnung für die Kammer machte bis zu 10.000 Euro aus. Umgekehrt inserierte der Wirtschaftsbund einmal jährlich im Wifi Kursbuch der Wirtschaftskammer, wovon die Kammer, die Firma Media-Team und damit wiederum der Wirtschaftsbund-Direktor profitierte.

3.000 Euro Funktionärsentschädigung

All das wurde öffentlich, weil die Finanz Ende des Vorjahres eine Steuerprüfung startete und die Akten über den Untersuchungs-Ausschuss an die Öffentlichkeit gelangt sind. Und es hört nicht auf. Neuestes Fundstück: Die Funktionärsentschädigung. Den Unterlagen liegen monatliche Kontoauszüge von Überweisungen aus dem Jahr 2020 bei. Jeden Monat erhielt der damalige Wirtschaftsbund-Obmann Hans Peter Metzler eine Funktionärsentschädigung. Das ist nichts Außergewöhnliches. Die Höhe allerdings schon. Metzler, auch Kammerpräsident und erfolgreicher Hotelier, erhielt vom Wirtschaftsbund 3.000 Euro pro Monat.