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Bernd Klisch ortet zwei Klassen bei Flüchtlingen

Das Engagement der Vorarlberger, den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen, ist groß. Doch Flüchtlinge aus anderen Ländern bekommen häufig weit weniger Hilfe, sagt Bernd Klisch, Leiter der Caritas-Flüchtlingshilfe. Er ortet im Interview mit ORF Vorarlberg-Redakteur Emanuel Broger gar eine Form der Diskriminierung.

ORF: Herr Klisch, vieles erinnert an 2015, als die Menschen aus dem Krieg in Syrien geflohen sind. Und doch ist einiges anders. Die Ukrainer werden ohne Asylverfahren rasch aufgenommen und können auch schnell eine Arbeit bei uns aufnehmen. Das war bei den vielen syrischen Flüchtlingen anders. Die mussten ein Asylverfahren durchlaufen. Gibt es aus Ihrer Sicht gute Gründe für diese rechtliche Unterscheidung?

Klisch: Nein, nicht wirklich. Auch die syrischen Flüchtlinge mussten damals, sie müssen auch heute noch, rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Sie bleiben ja schlussendlich bei uns in Vorarlberg und in Österreich. Also von daher sehe ich keinen Grund, warum da ein großer Unterschied gemacht werden sollte.

ORF: Beobachten Sie auch, dass die Haltung der Menschen gegenüber ukrainischen Flüchtlingen eine andere ist als gegenüber Migranten aus der arabischen Welt oder aus Afrika zum Beispiel?

Klisch: Ja, es ist ganz klar. Also die Hilfsbereitschaft ist viel größer bei den ukrainischen Geflüchteten als Flüchtlinge von anderen Ländern. Ja, das merken wir ganz stark.

ORF: Wo merken Sie das?

Klisch: Das merkt man bei der Suche bei den Unterkünften. Das merkt man den Hilfsangeboten, die wir bekommen, die zum Teil einfach ganz klar für die ukrainischen Geflüchteten angeboten werden. Das merkt man auch bei den Sachspenden beispielsweise. Und das merkt man vor allem auch, wenn man mit den Leuten über Flüchtlinge redet, dass sie ganz klar sagen: Es gibt die guten Flüchtlinge aus der Ukraine und es gibt die Flüchtlinge, die weniger gern gesehen sind.

ORF: Also werden zum Beispiel Wohnungen angeboten, wo es dezidiert heißt: Ich stelle meine Wohnung bereit für Flüchtlinge, aber nur für ukrainische Flüchtlinge.

Klisch: Ja, ein Großteil der Wohnungen, die derzeit angeboten wird, wird ausschließlich für ukrainische Flüchtlinge angeboten. Wir versuchen das zu ändern, wir versuchen dann die Menschen davon zu überzeugen, dass wir auch andere Nationen haben unter den Flüchtlingen, dass wir auch für diese Unterkünfte suchen. Aber es ist sehr schwierig.

ORF: Das ist diskriminierend, oder?

Klisch: Ich sehe darin eine gewisse Diskriminierung, die noch dazu von der Politik dahingehend unterstützt wird, dass auch die Politik da klare Unterscheidungen macht. Die Politik sollte da keinen Unterschied machen. Alle Geflüchteten, egal von welcher Nation, wollen dieselben Hilfsangebote bekommen und dieselbe Solidarität auch bekommen. Es tut unserer Gesellschaft nicht gut, wenn wir da unterscheiden. Wir unterstützen damit wieder Vorurteile. Wir unterstützen damit auch rassistisches Gedankengut, weil die Menschen eben lernen: Okay, wir unterscheiden zwischen den guten Flüchtlingen aus Europa und der weniger guten Flüchtlingen, die halt dunkelhäutig sind, einem anderen Kulturkreis, einer anderen Religionen angehören usw.. Die Politik muss dagegen arbeiten, das nicht unterstützen.

ORF: Wir haben aus Ihrer Sicht also ganz klar Flüchtlinge erster Klasse und Flüchtlinge zweiter Klasse sozusagen. Woran liegt es, glauben Sie, dass die Menschen gegenüber verschiedenen Flüchtlingsgruppen eine derartig andere Haltung haben?

Klisch: Das liegt daran, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine, aus dem selben Kulturkreis kommen. Zumindest glauben wir, dass sie dieselbe Kultur und dieselbe Wertehaltung haben. Der zweite Grund ist, dass Geflüchtete aus der Ukraine großteils Frauen und Kinder sind. Wir tun uns einiges leichter, Frauen und Kinder aufzunehmen als beispielsweise Männer aus Afghanistan. Dabei vergessen wir natürlich, dass hinter jedem syrischen Mann, hinter jedem afghanischen Mann eine Frau und Kinder stecken. Dass diese derzeit in Libanon oder Türkei und so weiter warten, dass sie dann nach Österreich geholt werden, weil die allermeisten Männer, die holen natürlich dann ihre Familie, ihre Frauen, ihre Kinder nach Österreich. Also auch bei den Kriegs-Geflüchteten aus anderen Nationen haben wir es eigentlich mit Familien zu tun.

ORF: Und das Elend, dem sie entfliehen, ist ja oft das gleiche. Jetzt ist diese Unterscheidung ja in vielerlei Hinsicht schon sehr problematisch.

Klisch: Ja, das macht etwas mit uns. Ich glaube, das ist problematisch. Natürlich für die Flüchtlinge, die ganz klar merken, vor allem die Flüchtlinge, die jetzt in der zweiten Klasse quasi leben müssen, die merken das einfach. Die sagen okay, die Ukrainer bekommen alles und wir bekommen sehr wenig davon. Sie merken das bei ganz kleinen Begebenheiten, auch im Alltag, in Bussen zum Beispiel, dass ist immer noch ein großes Thema, dass sie das einfach merken, dass sie weniger willkommen sind. Ich glaube, das ist nicht gut für die Ukrainerinnen selber, weil derzeit die Erwartungshaltung für die ukrainischen Flüchtlinge sehr hoch ist. Sie sind die Guten. Sie sind diejenigen, die keine Gesetze übertreten. Sie gehören unserem Kulturkreis an, haben dieselben Werte. Keine Gruppe kann diese Rolle lang aufrechterhalten. Also auch für die Ukraine, glaube ich, ist es langfristig gar nicht so gut, wenn sie in diese Rolle der guten Flüchtlinge gedrängt werden. Weil irgendwann merkt man ja, es sind auch Menschen mit Vor- und Nachteil, wie bei allen Nationalitäten dies der Fall ist. Und ich denke auch, dass es unsere Gesellschaft gar nicht gut tut, weil wir dadurch eigentlich wieder beginnen zu unterscheiden zwischen Nationalitäten, Ethnien und Religionen und auch sehen dunkelhäutig, hellhäutig. Das lernen die Menschen und das sollten sie nicht. Sie sollten einfach klar lernen. Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität gilt allen Flüchtlingen.

ORF: Was würden Sie sich von der Politik und den Menschen wünschen?

Klisch: Wenn sie Verbesserungen für die ukrainischen Flüchtlinge bewirken wollen, dann ist es gut, sie mögen bitte alle anderen Flüchtlinge mitdenken. Das heißt, das, was jetzt verändert wird rechtlich, das soll auch anderen Flüchtlingen, Kriegsflüchtlingen aus Syrien und so weiter zugutekommen. Das zweite, ich erwarte mir natürlich vor der Politik, aber auch von uns Organisationen, dass man da ein bisschen gegensteuern, dass man die Menschen darauf aufmerksam machen auf diesen Umstand, dass wir sagen: Sorry, es gibt auch noch die anderen Flüchtlinge. Wir haben derzeit sehr hohe Asylantragszahlen. Das geht völlig unter, auch medial, auch beim ORF geht es unter, dass wir letztes Jahr 40.000 Asylanträge in Österreich hatten. Wir werden in den kommenden Wochen ca. 200 Flüchtlinge aus verschiedensten Ländern aufnehmen. Neben den Ukrainern, die wir aufnehmen. Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen uns helfen, auch für Flüchtlinge aus anderen Nationen.