Vorarlbergs Militärkommandant Gunther Hessel
Ganthaler/ORF
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Samstag-Interview

Landesverteidigung zu lange vernachlässigt

Das Bundesheer braucht mehr Soldaten, eine längere Ausbildungszeit und bessere Ausrüstung, sagt der Vorarlberger Militärkommandant Gunther Hessel im Samstag-Interview mit dem ORF. Die eigentliche Aufgabe der Soldaten – die Ausbildung für die militärische Landesverteidigung – werde seit Jahren vernachlässigt, kritisiert Hessel.

Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie schnell auch in Europa ein Konflikt eskalieren kann. Und so rückt hierzulande das österreichische Bundesheer wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. In Vorarlberg sind derzeit zwischen 300 und 400 Soldaten stationiert. Viele Rekruten werden demnächst zur Grenzsicherung an die burgenländische Grenze gehen.

Die Ausbildung für die militärische Landesverteidigung werde seit Jahren vernachlässigt, kritisiert der Vorarlberger Militärkommandant, Brigadier Gunther Hessel. Der Ukraine-Krieg zeigt aus seiner Sicht deutlich auf, warum diese Kernaufgabe wichtiger denn je ist. Das Gespräch führte ORF-Redakteur Martin Kopf.

Bedrohungslage nimmt zu

Hessel: Dieser Konflikt bestätigt das, wovor wir schon seit vielen Jahren warnen: dass die Sicherheitslage sich verschlechtert und die Bedrohungslage zunimmt – und das sind jetzt nicht nur so Konflikte wie der Ukraine-Konflikt, sondern das sind globale Entwicklungen wie der Klimawandel, Bevölkerungswachstum vor allem in Afrika, was insgesamt z.B. zum Kampf um Ressourcen führt. Das heißt, das gesamte Umfeld verschlechtert sich und wir warnen schon länger davor und sagen: Wir brauchen wirklich diese Kernkompetenz Landesverteidigung für Österreich, vor allem für eine Schutz-Operation, das heißt zum Beispiel für systemischen Terror oder für Bedrohungen, die aus dem Untergrund durch subversive Kräfte kommen.

Ein Hubschrauber Augusta Bell 212 des Bundesheeres im Wintereisatz
Bundesheer

Große Fähigkeitslücken im Bundesheer

ORF: Wie schätzen Sie die Situation der Landesverteidigung in Vorarlberg momentan ein? Wie sind wir aufgestellt?

Hessel: Na ja, der Blick nach Vorarlberg ist da nicht entscheidend. Wir sind ja keine Landesarmee, sondern wir sind ein österreichisches Bundesheer. Und da ist, glaube ich, bekannt, dass wir punktuell zwar sehr gut aufgestellt sind, aber in manchen Bereichen große Fähigkeitslücken aufweisen. Wir haben keine eigenen Drohnen oder Kampfdrohnen, wir haben keine Präzisionswaffen. Wir sind relativ schwach in der Luftabwehr, in der Drohnenabwehr. Wir haben einen Aufholbedarf in der geschützten Beweglichkeit, in der geländegängigen Beweglichkeit von Kleinfahrzeugen. Aber was auch ein wichtiger Faktor ist: dass uns die Ausbildungszeit fehlt und, dass wir immer weniger Rekruten haben, weil der Zivildienst und die geburtenschwachen Jahrgänge dazu führen, dass wir einfach zu wenig Rekruten in unseren Verbänden haben und bekommen.

Grundwehrdienst sollte verlängert werden

ORF: Jetzt ist die Dauer des Grundwehrdienstes über die Jahrzehnte eigentlich immer weniger geworden. Es war mal ein Jahr. Vor ungefähr 20 Jahren waren es dann neun Monate, mittlerweile sind es sechs Monate. Muss auch da wieder ein Umdenken stattfinden, muss der Grundwehrdienst verlängert werden?

Hessel: Ja, das wird Gottseidank jetzt diskutiert und das fordern wir schon lange. Aber wahrscheinlich muss man sich ein ganzes Maßnahmenpaket überlegen und das Bundesheer insgesamt effizienter machen.

Geringe Gefährdungslage durch Ukraine-Krieg

ORF: Kommen wir noch mal kurz zurück zum Ukraine-Krieg. Wie schätzen Sie die aktuelle Gefährdungslage auch für Österreich und vielleicht sogar für Vorarlberg ein?

Hessel: Die Gefährdungslage ist aktuell gering. Entscheidend ist, dass dieser Konflikt sich nicht ausweitet. Und da ist auch sehr mitentscheidend, dass sich die NATO bzw. Truppen von europäischen Ländern raushalten, weil das sofort zu einer Eskalation führen könnte.

Österreich könnte Widerstand leisten

ORF: Ein kleines Gedankenspiel: Angenommen, es wären tatsächlich russische Panzer vor der österreichischen Grenze. Wie lange könnte Österreich mit seinem jetzigen Stand an Soldaten, an Ausrüstung überhaupt standhalten? Wären das Tage, oder sogar nur Stunden?

Hessel: Das ist ganz schwer zu beurteilen, aber ich würde mal sagen, es wird ein ähnlicher Effekt wie in der Ukraine eintreten. Wir würden eine große Fähigkeit und einen hohen Verteidigungswillen haben und auch sehr erfolgreich uns vor allem in den ersten Tagen und Wochen entgegenstemmen können. Und dann würde wahrscheinlich ein Effekt eintreten wie in der Ukraine: Waffenlieferungen durch befreundete Staaten würden einsetzen und ich glaube schon, dass wir hier erfolgreich Widerstand leisten können.

Soldaten mit dem neuen Tarnmuster
ORF

Was in Vorarlberg benötigt wird

ORF: Sie haben vorhin schon erläutert, was das österreichische Bundesheer im Allgemeinen braucht, eben mehr Soldaten und bessere Ausrüstung. Jetzt noch mal ganz konkret auf Vorarlberg gesprochen: Wo drückt bei uns im Land der Schuh am meisten? Wenn ich Ihnen jetzt irgendwie ein Budget geben könnte, um etwas umzusetzen? Wo würden Sie das investieren?

Hessel: Hauptsächlich in geländegängige Kleinfahrzeuge und in geschützte Fahrzeuge, hauptsächlich fürs Jägerbataillon 23 eine bessere Pioniere Ausstattung und in eine bessere Mannes-Ausrüstung, vor allem hinsichtlich z.B. Wärmebildgeräte-Schutz, etc., so dass wir das für alle Soldaten hier in Vorarlberg haben. Aber noch wichtiger wäre, dass ein Vollkontingent des Jägerbataillons 23 durchgängig die militärische Ausbildung absolvieren kann und nicht in Assistenzeinsätze geht.

Sicherheit ist ein großes Grundbedürfnis

ORF: Neue Ausrüstung kostet natürlich auch viel Geld. Die Treibstoffpreise sind momentan enorm hoch. Das heißt, überall in der Bevölkerung wird gejammert, man habe zu wenig Geld. Corona hat natürlich auch Spuren hinterlassen. Glauben Sie, dass die Bevölkerung jetzt in dieser Phase hinter einer massiven Aufstockung des Heeresbudgets stehen würde – oder, dass man eher sagen würde, das Geld kann man besser investieren?

Hessel: Ja, ich glaube schon, dass die Bevölkerung mit Masse dahinterstehen würde, weil man ja die Auswirkungen der Krisen der letzten Jahre schon gesehen hat und da ist die Bedeutung des Bundesheeres gestiegen und es war noch nicht einmal ein Landesverteidigungsauftrag, den wir hatten. Ich glaube, Sicherheit ist ein ganz großes Grundbedürfnis der Bevölkerung und ich glaube, viele bekommen jetzt schon mit, dass die Zeiten nicht unbedingt sicherer werden und sich beschützt zu fühlen durch eine Armee, die funktioniert, ist glaube ich ein beruhigendes Gefühl.

ORF: Herr Hessel, vielen Dank für das Gespräch.