Gerhard Bösch
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Ukraine-Krieg

Bösch: Seit Oktober auf Kriegsszenario vorbereitet

Als der Vorarlberger Gerhard Bösch Mitte 2021 die Leitung der zwangsverstaatlichten ukrainischen „PrivatBank“ übernahm, sollte er sie auf eine Privatisierung bis 2024 vorbereiten. Seit dem Beginn der russischen Militärinvasion hat Bösch ganz andere Prioritäten: Es gilt das größte Bankinstitut der Ukraine in Kriegszeiten am Laufen zu halten.

Von 1.400 Filialen, darunter 250 nach Kriegsbeginn sofort geschlossene kleine Outlets ohne Bargeld, seien am Dienstag 745 offen gewesen. 5.400 von insgesamt 8.000 Bankomaten der „PrivatBank“ seien bestückt worden, erzählte Bösch. Freilich habe es dabei große regionale Unterschiede gegeben. Aber selbst in umkämpften Städten wie Charkiw, Mariupol, Sumy und Cherson hätten einige wenige Filialen aufgesperrt, berichtete der Vorstandsvorsitzende der größten ukrainischen Bank mit etwa 20 Millionen Kunden. Er hat nach Kriegsbeginn die Ukraine verlassen und führt die Bank einstweilen nun aus Österreich.

Durch Pandemie lernte man aus der Entferung zu arbeiten

Tadellos funktioniere zudem das Onlinebanking und gemeinsam mit Visa und Mastercard habe man sichergestellt, dass ukrainische Flüchtlinge keine Probleme hätten, ihre Debit- und Kreditkarten auch im Ausland zu verwenden, erzählte er.

„Die Motivation aller Mitarbeiter, von Management, Aufsichtsrat und Kassieren in den Filialen ist außergewöhnlich hoch“, begründete er. Eine wichtige Rolle habe aber auch die CoV-Pandemie gespielt, durch die man 2020 gelernt habe, aus der Entfernung zu arbeiten. Von 20.000 Mitarbeitern könnten 10.000 – 12.000 ihren Job nun ohne weiteres und friktionsfrei von Zuhause erledigen.

„In der Krise laufen die Ukrainer zur Höchstform auf“

„Sehr beeindruckt“ zeigte sich der Bankdirektor vom ukrainischen Präsidenten Wolodmyr Selenskyj und seinem Team. „Ich hoffe, sie halten noch durch und werden nicht durch eine Spezialoperation aus dem Verkehr genommen“, sagte er. Intensiv laufe aber auch die Zusammenarbeit mit der ukrainischen Zentralbank (NBU). Er wisse gar nicht, wie viele Chatgruppen es gebe, sagte er und sprach von 10.000 Interaktionen täglich. „In der Krise laufen die Ukrainer zur Höchstform auf“, betonte er.

Die „PrivatBank“ selbst sei zudem nicht unvorbereitet in die aktuelle Situation geraten: „Seit Oktober 2021 haben wir verschiedene Szenarien durchgespielt“, erzählte Bösch. Das erörterte Worst-Case-Szenario sei dabei ein massiver russischer Angriff in Kombination mit dem Lahmlegen der Kommunikationsinfrastruktur und gezielten Bombardierungen von Datenzentren gewesen, berichtete er. Die letzten beiden Dinge seien bisher nicht passiert.

Bösch optimistisch, dass es einen Marshallplan geben wird

Zu womöglich erforderlichen Hilfsleistungen von ausländischen Partnern wollte der Vorarlberger „bewusst nicht in die Details gehen“, wie man sich für den Fall einer weiteren Eskalation absichere. Offen sprach er hingegen über einen gewissen Bedarf an Geldtransportern für seine Bank. Ein bisschen etwas komme nun jedoch aus Polen, schilderte er.

Bösch rechnet gleichzeitig damit, dass das ukrainische Bankensystem in der Zukunft eine Rekapitalisierung benötigen werde. „Wenn wir das überleben und die Ukraine das als Staat überlebt bin ich sehr optimistisch, dass es eine Art Marshallplan für das Land geben wird“, betonte er.

Der Vorarlberger, der vor seinem Wechsel in die „PrivatBank“ 15 Jahre in Spitzenfunktionen bei der ukrainischen Tochter der Raiffeisen Bank International tätig gewesen war, hat die Ukraine selbst seit 2014 als „komplett geeint“ erlebt. „Diese bis vor kurzem in Westeuropa vorhandene Meinung, dass russische Muttersprachler in der Ukraine automatisch auch politisch pro-russisch sind, war immer Schwachsinn“, kommentierte er.