Carola Schneider aus Moskau
ORF Vorarlberg
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Ukraine-Krieg

Carola Schneider über die Lage in Moskau

Mit dem Einmarsch in der Ukraine habe der russische Präsident Wladimir Putin auch das eigene Volk überrascht, sagt die langjährige ORF-Korrespondentin Carola Schneider. Die Vorarlbergerin lebt in Moskau und gibt im ORF Radio Vorarlberg-Interview Einblicke, wie die Bevölkerung in Moskau auf die Angriffe reagiert.

ORF Vorarlberg: Wie reagiert die Moskauer Bevölkerung?

Schneider: Es hat bis zuletzt eigentlich keiner, den ich persönlich kenne und auch keiner von russischen politischen Beobachtern wirklich damit gerechnet, dass es einen großen Krieg gegen das Nachbarland geben wird. Mit einer kleineren Militäraktion im ostukrainischen Donbass-Gebiet hat man allenfalls gerechnet, nicht aber mit einem groß angelegten Angriff gegen das Nachbarland. Die Russen sind geschockt. Niemand wollte hier einen Krieg gegen das Nachbarland. Russland und die Ukraine sind extrem eng miteinander verbunden – kulturell, sprachlich. Viele haben Verwandte dort, alle haben Freunde dort und nicht nur deswegen. Es ist einfach ein Nachbarland, das eigentlich Russland nichts getan hat und jetzt überfallen wird.

ORF Vorarlberg: Du sagst das Volk in Russland, die Menschen dort selbst sind zutiefst gespalten. Was die Entscheidung ihres Präsidenten angeht, stehen Sie derzeit aber noch hinter Putin?

Schneider: Die Mehrheit schon. Aber die Menschen stehen hinter Putin aus unterschiedlichen Gründen – manche, weil sie ihn wirklich gut finden, verehren als starken Staatschef, der Russland wieder groß gemacht hat. Viele halten ihm auch zugute, dass er an die Macht gekommen ist, zu einem Zeitpunkt, wo es vorher Russland wirtschaftlich sehr schlecht gegangen ist. Und Putin hat gemeinsam mit einem hohen Ölpreis in der Wirtschaft wieder für Stabilität gesorgt. Die Menschen haben wieder ein stabileres Leben gehabt. Das rechnen ihm viele Russen bis heute hoch an. Ob dieser Krieg ihn letztendlich die Unterstützung des Volkes kosten wird, das wird davon abhängen, wie lange er dauert. Wie hoch die Opfer sein werden, die die Russen bringen müssen und wie sehr sie diesen Krieg mit Putin verbinden. Oder ob sie seine Aussage glauben, dass der Westen an allem schuld ist.

ORF Vorarlberg: Wenn man in Moskau auf den Straßen unterwegs ist, wie spürt man denn in diesen Stunden, dass Russland mit der Ukraine im Krieg steht? Merkt man auf den Straßen, dass jetzt etwas anders ist?

Schneider: Auf den ersten Blick spürt man es nicht. Moskau ist ja nicht in diese Kriegshandlungen involviert. Aber was man schon spürt, ist eine gewisse Anspannung. Ich war unterwegs in der Moskauer U-Bahn. Das war die Zeit, als die ersten Nachrichten eingetroffen sind, dass Russland großflächig die Ukraine angegriffen hat. Und es waren die Menschen, so wie immer in der Moskauer U-Bahn, auf ihr Handy fixiert, wo man halt Nachrichten liest oder sich Videos anschaut. Aber ihre Blicke waren total starr, ganz ernst. Da habe ich schon gespürt, das ist etwas Anderes. Die Menschen sind ernster, sie sind trauriger. Es hat auch in Moskau einzelne Proteste gegeben gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine. Die sind sofort festgenommen worden. Das muss man sich auch einmal vorstellen. Wer gegen einen Krieg auf die Straße geht oder gegen den Krieg des eigenen Landes auf die Straße geht, wird sofort festgenommen. Aber auf den ersten Blick geht das Leben hier ganz normal weiter. Was sollen die Menschen auch tun?