Historiker Wolfgang Weber
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Historiker Weber warnt vor Vergleichen mit NS-Zeit

Der Historiker Wolfgang Weber warnt vor einer gefährlichen Entwicklung, wenn die Einschränkungen in der Pandemie mit den Gräueltaten der Nazi-Zeit verglichen würden. Dass Ungeimpfte sich ausgegrenzt fühlen, sei nachvollziehbar. Den Vergleich mit den Juden von damals sieht Weber aber als „perfide“ Art, den Holocaust zu verharmlosen. Er übt aber auch Kritik an der Kommunikation in der Pandemie.

Noch nie sind die Grundrechte und Freiheiten der Menschen in der Zweiten Republik stärker eingeschränkt worden als in dieser Pandemie. Viele spüren auch im Bekanntenkreis oder gar in der Familie, dass sich Gräben auftun. Menschen fühlen sich ausgegrenzt und an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Es treten auch immer mehr Vergleiche zur NS-Zeit auf. Der Impfpass wird dem Judenstern gleichgesetzt – nach dem Motto „mit der Ausgrenzung einer Bevölkerungsgruppe hat es damals auch angefangen“.

Weber: Verharmlosung der NS-Zeit

Der Historiker Wolfgang Weber spricht diesbezüglich im Samstaginterview von ORF Radio Vorarlberg von einer „perfiden Verharmlosung des Holocaust“. Juden seien damals aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit gebrandmarkt worden – etwa mit dem „Judenstern“. Am Ende stand der Mord, so Weber.

Ungeimpfte würden aber nicht ermordet, argumentiert der Historiker, außerdem hätten Ungeimpfte jederzeit die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Mit den Vergleichen zum Holocaust bleibe dieser auch nicht einmalig, sondern werde beliebig und die Person Adolf Hitlers werde verharmlost. „Das ist das perfide an dieser Argumentation und deshalb sollte die sofort aufhören“, so Weber.

Vergleich zur Diktatur „sehr gefährlich“

Es handle sich beim österreichischen Staat auch keinesfalls um eine Diktatur, so Weber weiter. „Solche Vergleiche sind immer sehr gefährlich. Wenn wir das demokratische System im Jahre 2021 mit einer Diktatur mit dem Niveau des Jahres 1933 vergleichen, dann ist das kein Vergleich, weil das zwei Dinge sind, die sich nicht vergleichen lassen.“

Es gebe sicherlich die Tendenz, dass ein schärferes Regiment im Corona-Management gefahren werde, aber das sei bei Weitem noch kein Grund dafür, zu sagen, „dass die Demokratie, in der wir seit 76 Jahren sehr gut leben, jetzt auf dem Weg in die Diktatur ist“, so der Historiker.

Demokratie zeichne sich etwa auch dadurch aus, dass sich Menschen einbeziehen in Entscheidungen, die alle betreffen. Und diese Möglichkeit gebe es. Die Minderheit werde nicht ausgeschlossen, sie werde einbezogen. Und es gehe darum, die Bevölkerung zu schützen, die mehrheitlich von dieser Krise betroffen sei. Auch das ist laut Weber ein demokratisches Prinzip. Der Historiker argumentiert zudem, dass die Regierung auch versucht habe, mit den Gegnern der Coronavirus-Regeln zu sprechen.

„Dauert mindestens eine Generation“

Allerdings glaubt der Historiker nicht, dass diese „Minderheit“ mit neutralen Fakten noch erreicht wird. „Und diese Verantwortung müssen wir jetzt auf uns nehmen. Wir haben wirklich den Anschluss verloren an die Diskurs-Fähigkeit, es werden jetzt Gräben gezogen und es werden Wände aufgebaut“, sieht Weber wenig Chancen, die Gräben schnell zu überwinden. Bis man hinter eine solche Wand komme, dauere es mindestens eine Generation.

„Haben nicht auf Ängste reagiert“

Hier habe man in den vergangenen Monaten „wirklich starke Fehler“ gemacht, „wir haben die Menschen mit ihren Ängsten, die ja real sind – denn die Menschen haben Ängste – und wir haben darauf nicht reagiert, nicht kommuniziert und nicht aufgeklärt“, so Weber.