Michael Köhlmeier
ORF/Ursula Hummel-Berger
ORF/Ursula Hummel-Berger
Kultur

Neuer Köhlmeier-Roman: „Matou“

Titelheld des neuen Romans des Vorarlberger Schriftstellers Michael Köhlmeier ist ein Kater mit sieben Leben, der durch die Weltgeschichte tigert. Monsieur Matou kann sprechen, schreiben und es mangelt ihm nicht an Selbstbewusstsein: „Ohne Zweifel bin ich der gebildetste Kater, den die Weltgeschichte kennt.“

Ein Gemälde gab den Anstoß für Michael Köhlmeier als Ich-Erzähler auf vier Pfoten: „Katzen, die das Blut unter der Guillotine geleckt haben auf einem Bild. Da habe ich mir gedacht: Wie würde die Katze das sehen, so einen unglaublich menschlichen Umbruch wie die Französische Revolution. Und dann war vollkommen klar, das kann sich nicht nur auf die Französische Revolution beschränken, sondern auf sieben Leben.“

Roman: Matou

„Matou“ heißt der neue Roman von Michael Köhlmeier. Sein Held: ein Kater mit sieben Leben

Aus Katzensicht durch die Geschichte

Leben, in denen sich der Kater Matou von Danton, Desmoulins und anderen Revolutionären hinterm Ohr kraulen lässt, sprechen, lesen und schreiben lernt, Andy Warhol in die Factory begleitet und am Ende in den Döblinger Weinbergen seine Memoiren verfasst, während er dem zwanzigjährigen Daniel in seinem Liebeskummer beisteht.

Michael Köhlmeier: „Matou“ Hanser Verlag, 960 Seiten, 35 Euro, erscheint am 23.08.2021

„Für den Kater gibt’s keinen Unterschied zwischen der großen und der kleinen Tragödie“, sagt Köhlmeier: „Er sieht, die haben Leid und das studiert er mit großem Interesse. Das Leid der Menschen, die Freude der Menschen, das Glück der Menschen. Für ihn ist also das Leid von Daniel in keinster Weise geringer als das Leid zur Zeit von Leopold dem Zweiten in Afrika. Bevor er das in Groß und Klein sortiert, beobachtet er es. Er ist ein Phänomenologe.“

Ideengeber für große Persönlichkeiten

Aber Matou ist auch ein größenwahnsinniger, charismatischer Besserwisser, dessen Selbstüberschätzung manchmal laut auflachen lässt, etwa wenn er den stockbesoffenen E.T.A. Hoffmann aus der Gosse aufliest und nach Hause geleitet, um ihm literarische Inspirationen und pointierte Beobachtungen einzuflüstern.

Der kleine rote Kater wird zahlreichen Figuren quer durch die Jahrhunderte zum Ideengeber und philosophischen Gesprächspartner. In seinen Memoiren zitiert er sich kreuz und quer durch die Geistes- und Literaturgeschichte und nimmt Anleihe bei unzähligen Märchen, Mythen und Legenden.

Buchcover „Matou“ von Michael Köhlmeier
Hanser Verlag

Satirischer Weltgeschichtsentwurf

Durch die tierische Perspektive können uralte Menschheitsfragen über Sinn und Sein, Sprache und Realität neu gestellt und scheinbar naiv diskutiert werden. Was ist der Mensch? „Einer, der Beziehungen zwischen den Dingen herstellen möchte“, lautet Matous Erkenntnis. Auch das Menschliche im Tier, das Tierische im Menschen wird immer wieder neu befragt. Es ist eine Fülle von Themen, Motiven, Geschichten, die Köhlmeier hier auffächert. Und es macht enorm Spaß, sich auf diesen satirischen Weltgeschichtsentwurf der vergangenen 230 Jahre einzulassen.

Immer wieder offenbart Köhlmeier in „Matou“ satirische Qualitäten. Ob sich der gelehrige Kater im Internet Wärmekissen und Leselampe bestellt, er in einer fulminanten Szene in Andy Warhols New Yorker Appartement mit Noam Chomsky, William S. Burroughs, Susan Sontag und anderen die Frage „Ist Gott eine Metapher?“ diskutiert oder in Salzburg als gestiefelter Kater einen Juwelier überfällt – sein diebisches Vergnügen an dem einen oder anderen Schelmenstreich ist unverkennbar.

Bestialischer als das Tier ist nur der Mensch

Dabei will Matou zwar wie ein Mensch sein, aber weiter aussehen wie eine Katze: „Denn ihr Menschen seid unansehnlich und unbeweglich.“ Harmlos ist er aber keineswegs: Herrchen Daniel rät er, seine untreue Freundin grausam zu töten, auf einem gestrandeten Zweimaster hetzt er die Mannschaft gegeneinander, auf der Katzeninsel Hydra errichtet er eine Diktatur und als Leopard startet er im Belgisch-Kongo an der Seite eines von den Kolonialherren verstümmelten Mädchens einen brutalen Rachefeldzug. Bestialischer als das Tier ist nur der Mensch, lautet Matous Erkenntnis, und Michael Köhlmeier bringt jede Menge Belege dafür.

Der Homer der Katzen

Der 71-jährige Vorarlberger ist ein großer Geschichtenerzähler und hat zwischen allen Geschichten auch noch jede Menge Songs, Lieder und Gedichte eingebaut. Und natürlich literarische Referenzen sonder Zahl, sein eigenes Werk eingeschlossen.

Dass seinem vierbeinigen Pendant auch die griechische Sagenwelt vertraut ist, darf einen bei Köhlmeier nicht wundern. „Sollten alle Katzen der Welt irgendwann lesen und schreiben lernen, werden sie von mir als ihrem Homer sprechen“, tönt Matou.