35 Jahre später ist in Vorarlberg praktisch keine Erhöhung der Caesium-137-Aktivität mehr messbar. Das Bundesministerium für Klimaschutz hat aufgrund der gemessenen Werte für Österreich keine gesundheitlichen Bedenken. Die Dichte an Messstellen ist in Vorarlberg besonders hoch.
Schilddrüsenkarzinome und Autoimmunerkrankungen
Sieht man sich die entsprechende Statistik an, hat sich das Reaktorunglück nach Angaben von Medizinern in Vorarlberg nicht erkennbar auf die Gesundheit ausgewirkt. Das Schilddrüsenkarzinom zeigt zwar eine seit Jahren langsam steigende Inzidenz, die ist aber auch in Regionen zu beobachten, wo gar kein sogenannter Fallout (radioaktiver Niederschlag) nach der Katastrophe stattgefunden hat.
Die Zunahme ist auf die immer besser werdende Diagnostik und die häufigeren Routineuntersuchungen – etwa zur Vorsorge – zurückzuführen. Die Sterblichkeit am Schilddrüsenkarzinom nimmt sogar ab, sagt Alexander Becherer, Primar an der Nuklearmedizin am Landeskrankenhaus Feldkirch.
Auch was Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse betrifft, beobachtet der Primar eine leichte Zunahme. Die hänge aber mit der besseren Jodversorgung durch die Erhöhung der Jodierung des Kochsalzes um das Jahr 1990 zusammen: „Das hat aber wiederum auch den positiven Effekt, dass gutartige Kröpfe und bestimmte aggressivere Formen des Schilddrüsenkarzinoms seltener wurden – trotz Tschernobyl.“
Tschernobyl noch heute Thema
Natürlich wird das medizinische Personal der Nuklearmedizin hie und da von Patientinnen und Patienten nach einem möglichen Zusammenhang eines Schilddrüsenknotens mit Tschernobyl gefragt. Primar Becherer kann einen solchen aber bei denjenigen, die ab Ende der 80er Jahre geboren worden sind, mit Sicherheit ausschließen, weil damals die für die Schilddrüse relevanten radioaktiven Nuklide des Jods bereits zerfallen waren.
„Bei den damals Erwachsenen ist ein Zusammenhang unter anderem deshalb mit großer Sicherheit auszuschließen, da der Schilddrüsenkrebs nach der Katastrophe nur bei Kindern und Jugendlichen eindeutig anstieg – und das in der Umgebung des Kraftwerks, die von der Verfrachtung des Materials am stärksten betroffen war, also die nördliche Ukraine und angrenzende Gebiete in Weißrussland", so Becherer: "Seit damals wissen wir übrigens, dass die Einnahme von Jodtabletten wirklich schützt, weil dort, wo sie verteilt wurden, der Schilddrüsenkrebs nicht häufiger wurde.“
Radioaktivität in Pilzen und Wildfleisch
In den ersten Jahren nach der Katastrophe war eine – je nach Region – deutliche Erhöhung der Radioaktivität in Pilzen und Wildfleisch nachweisbar. Das dafür verantwortliche Radionuklid ist Caesium-137 mit einer Halbwertszeit von rund 30 Jahren.
„In Vorarlberg hielt sich die Belastung im einigermaßen erträglichen Rahmen, weil das Bundesland nicht so stark kontaminiert wurde wie andere Gebiete in Österreich" (siehe o.a. Grafik für das Jahr 1986) – nur in unserer nördlichen Landeshälfte war die Cs-137-Kontamination etwas höher“, erklärt Alexander Becherer und beruhigt: „Die Bevölkerung war anfänglich gut sensibilisiert. Zudem ernährt man sich nicht dauernd von Wild und selbst gesammelten Pilzen. Und so war die Belastung unserer Körper so gering, dass dadurch keine gesundheitlichen Auswirkungen zu befürchten sind.“
Tatsache ist allerdings, dass etwa in den südlichen Landesteilen Deutschlands bestimmte Speisepilze (beispielsweise der Maronenröhrling) auch heute noch einen deutlich erhöhten Gehalt an Caesium-137 aufweisen. „Der Steinpilz gehört übrigens nicht dazu. Beim Wildbret ist besonders das Wildschwein belastet. Auch hier ein Vorteil für Vorarlberg, weil diese Wildart bei uns kaum ins Gewicht fällt.“