Michael Diettrich, Sprecher der Vorarlberg Armutskonferenz, im ORF Vorarlberg-Interview
ORF
ORF
Chronik

Armutskonferenz fürchtet mehr Tote

Die Vorarlberger Armutskonferenz befürchtet, dass wegen dem Coronavirus derzeit andere Krankheiten unterversorgt sind und schwere Krankheiten im Schatten der Pandemie noch mehr Menschenleben kosten. Die derzeit hohe Übersterblichkeit dürfe nicht nur auf die Coronavirus-Pandemie zurückgeführt werden.

In Österreich und auch in Vorarlberg sterben derzeit mehr Menschen als normalerweise. Zu Beginn des Lockdowns, also in der ersten Novemberwoche, sind laut Statistik Austria in Vorarlberg 85 Menschen gestorben, mehr als doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Aus der Statistik lässt sich jedoch nicht ablesen, was die Todesursachen waren – mehr dazu in: Coronavirus: Hohe Übersterblichkeit in zweiter Welle.

Mehr Schäden durch Schutzmaßnahmen als durch Virus

Für die Vorarlberger Armutskonferenz ist klar: Die Folgen der zweiten Coronavirus-Infektionswelle sind daran schuld, dass mehr Menschen als normalerweise sterben, unter anderem, weil andere schwere Krankheiten nicht behandelt oder zu spät entdeckt werden. Michael Diettrich, der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, spricht von Schäden, die durch die Schutzmaßnahmen größer sind, als jene, die durch das Virus selbst entstehen.

Höhere Sterberate bei chronisch Kranken

Diettrich meint damit nicht nur wirtschaftliche Schäden, sondern auch gesundheitliche. Der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz befürchtet etwa eine höhere Sterberate bei chronisch Kranken, weil viele aus Angst vor Ansteckung die Ärzte oft nicht oder zu spät aufsuchen. So werden die Notfallambulanzen laut Diettrich derzeit deutlich weniger aufgesucht, er spricht von 45 Prozent weniger Patienten. In Deutschland seien die Zahlen ähnlich hoch, dort habe sich auch herausgestellt, dass jene Fälle, die trotz des Lockdowns in die Ambulanzen gekommen sind, schwieriger und komplizierter gewesen sind, auch deshalb, weil zu lange gewartet wurde.

Auch andere Krankheiten wichtig

Wie stark die Coronavirus-Pandemie die dadurch steigende Mortalitätsrate derzeit nach oben schraubt, ist nicht restlos zu klären. Denn es wird nicht festgestellt, ob jemand ursächlich an COVID-19 verstorben ist. Laut der Agentur für Gesundheit „AGES“ werden alle „laborbestätigten Fälle“ als Coronavirus-Todesfälle gewertet. Diettrich glaubt jedoch, dass die derzeit hohen Zahlen der Todesfälle nicht nur dem Coronavirus anzulasten sind.

Aus Sicht der Armutskonferenz wäre es sinnvoll, den Fokus im Gesundheitswesen also nicht derart intensiv auf COVID-19 zu legen, sagt Diettrich. „So gab es noch nie eine Krankheit, die derart stark die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dass alle anderen Krankheiten links liegen gelassen wurden“. Das sei der falsche Weg, meint der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, auch die anderen Krankheiten müssten mindestens denselben Stellenwert haben.