Stop Corona Lüge steht auf rotem Ballon – Verschwörungstheorie
Tarja Prüss
Tarja Prüss
Gesellschaft

CoV-Proteste und Verschwörungstheorien

Die Proteste gegen die CoV-Maßnahmen zeigen nicht nur Misstrauen und Wut, in deren Umfeld schwingen häufig auch Verschwörungstheorien mit, sagt Digitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig. Für viele aus der „Querdenken“-Szene stelle das Coronavirus keine reale Gefahr dar, stattdessen werde nach einem Schuldigen gesucht.

Unzufriedenheit, Ängste und Misstrauen gegenüber Politik und Medien über die CoV-Maßnahmen treiben die Menschen auf die Straße. Bei der Vier-Länder-Demo waren am Sonntag nach Polizeiangaben rund 500 aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein nach Bregenz gekommen – mehr dazu in Demo gegen CoV-Maßnahmen in Bregenz (vorarlberg.ORF.at).

Um zu verstehen, was die Menschen auf die Straße treibt, hat vorarlberg.ORF.at zwei Experten um ihre Einschätzung gebeten, den Soziologen Simon Burtscher-Mathis aus Hohenems und die Digitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig.

vorarlberg.ORF.at: Was treibt diese Menschen um und auf die Straße?

Ingrid Brodnig
Brodnig beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft, insbesondere mit politischer Manipulation im Internet und die Frage, was wir als Gesellschaft gegen Hasskommentare, Mobbing und Lügengeschichten tun können.

Ingrid Brodnig: Am deutlichsten ist wohl die Wut über die Coronamaßnahmen. Solche Demos ziehen Personen an, die das Gefühl haben, die staatlichen Maßnahmen gehen zu weit, und die oft auch die Ernsthaftigkeit des Virus infrage stellen. Zum Beispiel fallen bei Demos selbsternannter „Querdenker“ dann Unterstellungen wie, es handle sich um eine „Fake-Pandemie“. Und das ist das Unbehagliche an diesen Demos und den Online-Diskussionen rundherum: Dass im Rahmen dessen sehr viele Verschwörungstheorien verbreitet werden.

Man merkt, dass ein Teil dieser Szene der Ansicht ist: In Wahrheit sei das Coronavirus keine reale Gefahr, sondern es fände eine Panikmache von Politik und Medien statt, die irgendein dunkles Ziel verfolgen würden. Der Reiz dieser Demo-Bewegung scheint eine Mischung aus, erstens, der Wut über die strengen Maßnahmen gegen das Coronavirus, zweitens, dem Glauben, das Virus sei gar nicht so schlimm, und drittens ein enormes Misstrauen in Politik und Medien, das oft auch durch wilde Gerüchte und Verschwörungstheorien genährt wird.

Ingrid Brodnig
Ingo Pertramer
Digitalisierungsexpertin Ingrid Brodnig

vorarlberg.ORF.at: Bei bisherigen Demonstrationen war viel Aggression zu spüren – woher kommt die?

Simon Burtscher-Mathis
Der Soziologe aus Hohenems beschäftigt sich viel mit Veränderungsprozessen.

Simon Burtscher-Mathis: Die strikten und rigiden Maßnahmen der letzten Monate haben in Teilen der Bevölkerung Zorn ausgelöst, der jetzt vereinzelt auch in Form von Aggression sichtbar wird. Ein Teil der Aggression ist aber sicher auch auf generelle Unzufriedenheit von einzelnen Menschen zurück zu führen, die schon vor der Krise vorhanden war. Dann wird die Krise zum Ventil.

Soziologe Simon Burtscher-Mathis
Privat
Soziologe Simon Burtscher-Mathis

Ingrid Brodnig: Wenn jemand wirklich glaubt, die Coronavirus-Pandemie sei ein großer Betrug, in Wahrheit sei das Virus halb so wild und Politik und Medien würden die Bevölkerung hinters Licht ziehen, dann ist es nicht verwunderlich, dass manche Personen dann extrem wütend auftreten, dass sie Journalisten als Lügenpresse beleidigen und die jetzige Politik mit Diktaturen vergleichen. Was hier passiert, ist, Politik und Medien und auch einzelne Personen wie Bill Gates müssen als Blitzableiter herhalten – anstatt wütend zu sein, dass dieses Virus existiert und uns alle belastet, wird nach einem Schuldigen gesucht, der leichter greifbar ist.

vorarlberg.ORF.at: Auf diesen Demos kommen unterschiedlichste Menschen aus unterschiedlichsten Lagern mit unterschiedlichsten Forderungen zusammen: gegen die CoV-Maßnahmen, gegen Impfpflicht, gegen Abschaffung des Bargeldes, gegen G5 und gegen Ausländer – wie passt das unter einen Hut?

Ingrid Brodnig: All das passt deshalb unter einen Hut, weil darin stets dieselbe Botschaft mitschwingt: Glaubt nichts, was euch Medien und Politik erzählen, in Wahrheit ist alles anders. Und gerade in Krisenzeiten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass manche Bürger zu einer Verschwörungsmentalität neigen. Denn Verschwörungstheorien sind dann besonders attraktiv, wenn Menschen verunsichert sind, wenn sie das Gefühl haben, ihnen wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. In einer solchen Phase der Verunsicherung, wie sie eine Pandemie auslöst, steigt die Chance, dass Bürger sehr wilden Theorien auch eher zuhören.

Der Reiz von Verschwörungstheorien ist auch, dass sie ein Gefühl von Gewissheit vermitteln: Wir wissen ja weiterhin vieles rund um das Coronavirus nicht, Wissenschaftler betonen stets, was noch alles unklar ist. Im Gegensatz dazu bieten Verschwörungstheorien sehr einfache Erklärungen: Man muss sich nicht mit Ungewissheit und offenen medizinischen Fragen herumplagen, man hat eine simple Erklärung, was angeblich der wirkliche Hintergrund ist und oft auch einen einfach identifizierbaren Schuldigen – wie Mobilfunk oder Bill Gates.

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Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss
Querdenken Demo am Sonntag in Bregenz
Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss
Querdenken Demo in Bregenz
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Querdenken Demo in Bregenz
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Querdenken Demo in Bregenz
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Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss
Querdenken Demo in Bregenz
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Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss
Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss
Querdenken Demo in Bregenz
Tarja Prüss

Simon Burtscher-Mathis: Verbindend ist sicher das Gefühl von Unzufriedenheit. Ein anderes verbindendes Element zwischen Menschen ist das Gefühl der Bedrohung durch Regelungen oder Maßnahmen, die von außen bzw. von anderen gesetzt werden. Sie fühlen sich bevormundet bzw. mit ihren Bedürfnissen nicht ausreichend wahrgenommen. Dann sind Demonstrationen ein Mittel, um auf die eigenen Bedürfnisse aufmerksam zu machen.

vorarlberg.ORF.at: Die Menschen dieser Demos kommen aus allen Lagern – bis hin zu Rechtsextremen – wie passt das zusammen?

Ingrid Brodnig: Das Besondere an der Coronakrise ist ja: Sie betrifft jeden von uns. Und das führt zu Verunsicherung quer durch die Bevölkerung. Wobei in der aktuellen Situation besonders die Gefahr besteht, dass rechte und rechtsextreme Akteure diese Situation für sich nutzen: Sie gehen bei solchen Demos mit und nutzen den Unmut über Coronamaßnahmen, um ihre eigenen Themen zu forcieren.

Zum Beispiel sind viele Verschwörungstheorien in ihrem Kern antisemitisch – also letztlich läuft die Vorstellung darauf hinaus, dass insgeheim Juden etwas Bösartiges planen würde, da wird gegen „die Rothschilds“ oder George Soros geschimpft. Und das Risiko besteht, dass die Coronakrise auch ein Einfallstor für rechtsextremes Gedankengut ist – dass verärgerte Bürger über Demos wie beispielsweise jene in Berlin oder über Anti-Corona-Online-Gruppen in einen Kontakt mit solchen Vorstellungen kommen, den sie sonst nicht hätten.

Ich möchte auch folgendes betonen: Das Problem ist nicht, dass manche Bürger die staatlichen Auflagen kritisieren und ihre Angemessenheit hinterfragen, das ist Teil der politischen Debatte. Problematisch ist aber, wenn Menschen so viel Misstrauen haben, dass sie den offiziellen medizinischen Empfehlungen wie Abstand halten oder Maske tragen nicht folgen wollen. Und problematisch ist auch, wenn inmitten all dieser Kritik die erhitzte Stimmung überdies von extremistischen Akteuren genutzt wird, um mehr Menschen zu erreichen.

vorarlberg.ORF.at: Menschen, die dem Kurs der europäischen Länder gegen die Pandemie im Großen und Ganzen zustimmen, werden als Idioten, Leichtgläubige und Konformisten bezeichnet – sollten sie in einen Dialog mit diesen Demonstranten treten – oder ist es: wie manche Kommentatoren sagen – erfolglos, mit ihnen zu diskutieren?

Simon Burtscher-Mathis
ORF
Der Vorarlberger Soziologe Simon Burtscher-Mathis

Simon Burtscher-Mathis: Der Schlüssel für den Dialog liegt bei gemeinsamen Interessen und Bedürfnissen. In modernen Gesellschaften, nehmen die Unterschiede zwischen den Menschen zu. Gleichzeitig begegnen sie sich im Alltag immer weniger. Damit steigt das Unverständnis zwischen den Gruppen. Dann werden vor allem die Unterschiede wahrgenommen und betont.

Wir brauchen wieder mehr Möglichkeiten für Gemeinschaftserfahrungen, die uns verbinden. Wenn wir auf die Interessen und Bedürfnisse fokussieren, entdecken wir immer auch Gemeinsamkeiten mit den anderen. Vereine sind z.B. Interessensgemeinschaften, in denen Menschen durch ein gemeinsames Interesse verbunden sind, unabhängig von politischer, sozialer und religiöser Herkunft. Unser Ziel muss es sein, die gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt zu rücken.

Ingrid Brodnig vor PC
ORF
Ingrid Brodnig beschäftigt sich unter anderem mit Hass im Netz

Ingrid Brodnig: Ich würde Ihnen nicht raten, zu so einer Demo zu gehen und zu versuchen, dort Leute von der Ernsthaftigkeit des Virus zu überzeugen: Sie werden dort höchstwahrscheinlich nur ein Fremdkörper sein, der argumentativ wenig ausrichten kann. Das heißt aber nicht, dass Diskutieren generell sinnlos ist: Sinnvoll ist diskutieren dort, wo sie die Chance haben, dass Ihr Gegenüber zuhört und in einen Austausch tritt.

Zum Beispiel haben viele Menschen in ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis Personen, die große Skepsis gegenüber namhaften medizinischen Einrichtungen zeigen oder die Beiträge fragwürdiger Quellen teilen. Wenn das ein Bekannter oder Familienmitglied so sieht, haben Sie womöglich eine persönliche Vertrauensebene mit der Person. Da ist Ihre Chance höher, dass Sie argumentativ angehört werden.

Aber auch im persönlichen Umfeld sollten Sie nicht erwarten, dass Sie mit wohlüberlegten Argumenten oder mit dem Verweis auf Faktenchecks prompt die andere Person überzeugen können: Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir uns ungern überzeugen lassen. Oft ist es bereits ein Erfolg, wenn das Gegenüber ein bisschen zum Nachdenken kommt und wenn es auch andere Argumente näher kennenlernt.