Der Fall spielte sich bereits am 20. März ab: Drei Personen saßen auf einer Bank vor der Ruine Ramschwag in Nenzing (Bez. Bludenz) – weitere vier befanden sich im Innenhof der Ruine, als die Polizei eintraf. Alarmiert worden war diese von besonders pflichtbewussten Bürgern, die beobachtet haben wollten, dass sich mehrere Personen im Bereich der Ruine aufhalten und den behördlich verordneten Sicherheitsabstand nicht einhalten.
Luftschüsse und Behauptungen
Im Zuge der Amtshandlung feuerten die Polizisten zwei bis drei Mal in die Luft – zur Standortbestimmung für die Kollegen, so deren Aussage. Die Behauptung, dass Personen in den Wald geflüchtet seien, wurde später wieder zurückgenommen. Nun gibt es eine Maßnahmenbeschwerde des Anwalts von drei der betroffenen Personen und eine Menge Fragen an die Polizei.
Schusswaffe „als Signalmittel“
Grundsätzlich greife die Polizei in Vorarlberg ganz selten zur Waffe, so Landespolizeidirektor Hans-Peter Ludescher im Interview mit dem ORF. Man habe durchaus andere Mittel um Situationen zu bereinigen – vom Gespräch bis zum Pfefferspray. Die Schusswaffe könne aber auch als Signalmittel verwendet werden: „Das kommt heutzutage noch seltener vor, zumal die technischen Mittel heutzutage durchaus ausreichend sind, sofern sie funktionieren.“
Signalschuss um Kollegen zu rufen
Auf den konkreten Fall bezogen, habe nach derzeitigem Erkenntnisstand eine Anzeige wegen einer Corona-Party auf der Burganlage vorgelegen, so Ludescher. Zwei Patrouillen der Polizeiinspektion Nenzing seinen hingefahren, konnten aber von den gemeldeten sieben Personen nur noch vier vorfinden.
Daraufhin hätten zwei Polizisten sich auf die Suche nach den anderen drei Personen gemacht. Einer der Beamten sei dann im Dickicht nicht mehr weitergekommen, habe aber die Gesuchten dort vermutet und deshalb einen Signalschuss abgegeben, um seine Kollegen zu sich zu rufen, erklärte Ludescher.
Veraltete Funkausrüstung und Handy nicht dabei
„Laut Aussagen des Kollegen hat der Akku des Funkgerätes nicht funktioniert und das Handy hat er nicht dabeigehabt", versucht der Landespolizidirektor die Schussabgabe des Beamten zu erklären. „Wir haben ein Analogfunksystem mit alten Geräten, da kann es durchaus vorkommen, dass Geräte ausfallen, da sie nicht mehr durch Neue ersetzt werden, weil wir auf einen neuen Funk warten.“
Polizei untersucht Schüsse bei Coronavirus-Einsatz intern
Sieben Jugendliche und Spaziergänger, die sich bei der Burgruine Ramschwag in Nenzing aufhielten, wurden von einer Anwohnerin unterhalb des Burghügels angezeigt. Die Polizei rückte an – bei der Suche nach den Personen und feuerte ein Beamter mehrere Schüsse in die Luft ab. Spaziergänger deutenden diese Schüsse als Warnschüsse, die ihnen gegolten hätten und brachten eine Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht ein.
Kommunikationsfehler durch Missverständnisse
Wie es dazu kommen konnte, dass die Polizei zunächst von flüchtenden Personen berichtete, das aber später zurücknahm, erklärt Ludescher so: „Wir sind bei solchen Fällen nicht zuletzt durch die Medien immer sehr stark gefordert, dass wir möglichst schnell Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben und das ist auch gut so.“ Allerdings komme es beim Erheben dieser Sachverhalte durchaus zu Missverständnissen.
Landespolizeidirektor Ludescher zu Schüssen bei Corona-Patrouille
Landespolizeidirektor Hans Peter Ludescher stellt sich den Fragen zu angeblichen Schüssen bei einer Polizeikontrolle bei der Burgruine Ramschwag in Nenzing.
Sachverhalt werde genau geprüft
Die Sachverhalte würden noch umfangreich erhoben, alle Beteiligten würden befragt, letztendlich komme es ja im Fall einer Maßnahmenbeschwerde auch zu einem Gerichtsverfahren. Ob sich daraus einsatztaktische oder rechtliche Lehren ziehen lassen, müsse man noch sehen. Mit strafrechtlichen Konsequenzen rechne er in diesem Fall aber nicht, so Ludescher. „Aber letztendlich wird jeder Schusswaffengebrauch von uns genau geprüft.“
Reinhard Haller: Vernadern nicht ungefährlich
Wie im Fall von Nenzing gehen bei der Polizei derzeit zahlreiche Anzeigen ein, weil Menschen mutmaßlich gegen Coronavirus-Regeln verstoßen. Psychiater Reinhard Haller verwundert das wenig: „Immer wenn Verbote und Gesetze zunehmen und Strukturen autoritärer werden, nimmt auch das Phänomen des Vernaderns zu“ so Haller. Er halte das für nicht ganz ungefährlich, wenn man z.B. an die Hexenverfolgungen, das NS-Regime oder neuere Diktaturen denke. Insofern müsse man damit äußerst behutsam und vorsichtig umgehen.
Angst und Neid als Erklärung
„Manche Menschen machen es aus purer Angst, wenn sie den ganzen Tag hören, dass man sich so und so verhalten muss“, erklärt Haller. Dann sei es kein Wunder, wenn sie vor anderen Menschen Angst hätten, die das nicht tun. „Ich denke aber, es stecken auch andere tiefenpsychologische Gründe dahinter. Vor allem der Neid, das heißt: Hier ist jemand, der etwas tut, was ich eigentlich auch gerne tun würde. Weil ich mich das aber nicht traue, muss ich den Anderen hinbrennen.“
Menschen, die andere denunzieren, seien im Prinzip „ich-schwache, gehemmte, feige Menschen, die sich nicht trauen, zu ihrem Wort zu stehen.“ Untersuchungen würden zeigen, dass etwa fünf Prozent der Menschen diese Eigenschaft haben, es komme aber wahrscheinlich mehr auf die äußeren Umstände an, als auf die Persönlichkeit.
Psychiater Haller zu Anzeigen gegen Mitbürger
Gerichtspsychiater Reinhard Haller kommentiert die zu beobachtende Zunahme von Anzeigen gegen Menschen, die mutmaßlich gegen Coronavirus-Verbote und Vorschriften der Bundesregierung verstoßen.
„g’hörig“ ist besonders hörig
Dem Argument, dass man im Vernadern quasi die Erfüllung der Bürgerpflicht sehen könne, kann Haller nichts abgewinnen: „Ich denke schon, dass sich manche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes g’hörig verhalten wollen, also besonders hörig sind. Aber dass man andere Menschen dann auch noch mit hineinzieht unter dem Deckmantel der Anonymität, das ist glaube ich, nichts Positives.“