Kalb liegt im Stroh
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Politik

Kälbertransporte: Umkehr gefordert

Transporte junger Kälber von Vorarlberg bis in den Libanon haben über die Landesgrenzen hinaus für Empörung gesorgt. Forderungen, die oft qualvollen Transporte abzustellen, gehen an Politik und Landwirtschaft. Andere nehmen Konsumenten und Handel ins Visier.

Nachdem Tierschützer neuerlich skandalöse Missstände beim Transport von Kälbern in den Nahen Osten und ihrer Tötung dokumentiert haben, will Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) die Anstrengungen im Land noch verstärken, etwa, „indem man den Absatz von Kalbfleisch in Vorarlberg erhöhe“.

Kälber als Ausschussware

Die aktuellen Bilder seien keine Überraschung, sagt Erik Schmid, Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz. Männliche Kälber seien „Ausschussware“ für die Bauern. Bei den Transporten werde getrickst, wo es nur geht, mit den Fahrzeiten und Pausen. „Das geht sich nicht mal mit einem Porsche aus“, sagte Schmid. Dabei sei der Transport noch das geringste Problem in der gesamten Kette. „Das bittere Ende des Tieres ist die eigentliche Katastrophe“, so Schmid.

Erik Schmid, Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz
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Fachtierarzt Erik Schmid: Intensive Milchwirtschaft nicht mehr fördern

Seiner Ansicht nach dürfe die intensive Milchwirtschaft nicht mehr gefördert werden. Der Ausweg sei eine standortangepasste Viehzucht mit zwei Nutzungsrassen. Außerdem müssten der Kraftfuttereinsatz runtergefahren und die Kälber bei ihren Müttern gelassen werden.

Reaktionen auf grausame Kälbertransporte

Nach dem Bekanntwerden der grausamen Kälbertransporte bis in den Nahen Osten fordert Minister Rudi Anschober (Die Grünen) ein Ende dieser Praxis. Auch weitere Experten setzen sich für Veränderungen in der Rinderzucht ein.

Systemprobleme anpacken

Ähnlich sieht das Tierschutzombudsfrau Karin Keckeis. Der Schutz der Tiere könne über die EU-Grenzen hinaus nicht gewährleistet werden. „Für mich bedeutet das, dass auf der gesamten EU-Ebene keine Tiere mehr in Drittländer exportiert werden sollten“, sagte Keckeis. Bis die EU zu einer Entscheidung komme, müssten auch auf nationaler und regionaler Ebene Maßnahmen ergriffen werden, um die Zahlen zu reduzieren. Auf lange Sicht müsste in Vorarlberg die Rinderpopulation reduziert werden. Ausstiegsszenarien seien hier gefordert. „Das kann nicht allein durch den Konsum von Fleisch gelöst werden, das ist ein Systemproblem“, so Keckeis.

Tierschutzombudsfrau Karin Keckeis
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Tierschutzombudsfrau Karin Keckeis: Exporte in Drittländer verbieten

Köstinger für EU-weites Exportverbot in Drittstaaten

Auch Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wünscht sich ein EU-weites Exportverbot von Schlachtvieh in Drittstaaten. Die österreichischen Bauern hätten sich vielmehr „an unsere strengen Regeln gehalten, Österreich hat deutlich strengere Vorschriften für Schlachttiertransporte als viele EU-Staaten“.

„Wir brauchen diese strengen Regeln für alle EU-Staaten, angelehnt an den strengen Bestimmungen, die es in Österreich gibt. Eine Vereinheitlichung ist notwendig“, forderte Köstinger.

Der Verein gegen Tierfabriken (VGT), der die Exporte männlicher Milchkälber aufgezeigt hatte, übte weiter Kritik: Die Transporte seien den politisch Verantwortlichen längst bekannt gewesen. Dass man in Österreich nicht wisse, was mit den Kälbern passiert, sei eine Ausrede, sagte Tobias Giesinger vom VGT.

Schuldzuweisungen an Konsumenten

Schuldzuweisungen an Konsumenten und Handel lassen die Tierschützer nicht gelten: Die Intensivierung der Milchwirtschaft bringe das Problem der Kälbertransporte erst hervor. Während die heimische Landwirtschaft immer mehr Milch für den Exportmarkt produziere, würden die ungewollten Milchkälber ins Ausland transportiert.

Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger hingegen sehe „kein Problem im System“ und habe Vorhaltungen an die Milchproduzenten gegenüber dem ORF zurückgewiesen – mehr dazu in „Qualvolle Tiertransporte sind eine Schande“. Der auch für Tierschutz zuständige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sprach am Donnerstag in der Sendung Zeit im Bild von einem „Auftrag, Tiertransporte dramatisch zu reduzieren, auch was die Distanzen betrifft“.

Verantwortung übernehmen

Die Landwirtschaftspolitik müsse „Verantwortung für die Probleme übernehmen, die sie verursacht“, es brauchte „eine Systemänderung hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, die ohne Tiertransporte ins Ausland auskommt“, verlangte der VGT. „Wir fordern, dass die EU-Verordnung konsequent eingehalten wird, was direkte Transporte in Drittstaaten von heute auf morgen beenden würde. Zusätzlich kein Transport von nicht entwöhnten Tieren, so wären die drei Rinder aus Österreich gar nicht erst im Libanon gelandet“, sagte Giesinger. „Kein Landwirt will Tiere so leiden sehen. Jeder, der diese Bilder von diesen Transporten gesehen hat, war zu Recht schockiert“, meinte Köstinger.

NEOS schaltet die EU ein

Auf europäischer Ebene wurden die qualvollen Tiertransporte bereits thematisiert, dazu wurde im Februar 2019 bereits eine umfangreiche Entschließung beschlossen. Die Vorarlberger EU-Abgeordnete Claudia Gamon (NEOS) bringt zusammen mit dem Vorarlberger Landtagsabgeordneten Johannes Gasser (NEOS) eine offizielle Anfrage ins EU-Parlament ein. „Wir müssen endlich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern, nicht nur darüber jammern und sich gegenseitig die Schuld zuschieben“, sagte Gasser.