Außenansicht Parlament in Wien
ORF.at/Sonja Ryzienski
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Wirtschaft

Spieltheorie erklärt politische Dynamiken

Der Vorarlberger Wirtschaftsforscher Matthias Sutter befasst sich mit der Spieltheorie. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftliches Instrument, mit dem sich mitunter vorhersagen lässt, wie sich Menschen in sozialen Konflikten verhalten. Im Samstag-Interview von ORF Radio Vorarlberg analysiert Sutter die österreichische Innenpolitik.

Je unsicherer der Ausgang eines Verfahrens ist, desto eher legen selbst unschuldige Menschen ein Geständnis ab. Diese Erkenntnis liefert die Spieltheorie mit dem sogenannten „Gefangenendilemma“. In der Spieltheorie spielen sich Versuchspersonen buchstäblich durch eine ausgedachte Situation hindurch. Ihre Entscheidungen werden dann analysiert und für wirtschaftliche oder politische Vorhersagen genutzt. So lässt sich auch die aktuelle innenpolitische Situation in Österreich wissenschaftlich analysieren.

Das „Gefangenendilemma“
Zwei Gefangene bekommen getrennt voneinander das gleiche Angebot: Wer die Tat gesteht und den anderen belastet, wird als Kronzeuge mit Freispruch belohnt. Dafür muss der andere 20 Jahre hinter Gittern bleiben. Wenn beide gestehen, kommt jeder mit zehn Jahren Haft davon. Bleiben beide standhaft, kommen sie mit fünf Jahren davon. Da keiner die Absichten des anderen kennt und es keine Möglichkeit gibt, sich abzusprechen, neigt sogar der Unschuldige zu einem Geständnis.

„Steuerzahler als großer Verlierer“

Im Parlament herrscht aufgrund der Übergangsregierung derzeit die Situation, dass das „Spiel der freien Kräfte“ wirken kann. Laut Sutter ist unklar, wie es nach der Wahl im Herbst weitergehen wird. „Jetzt geht es darum, dass die Parteien versuchen, Pakete zu schnüren. Das wäre so das Klassische, was die Spieltheorie vorhersagt: Du stimmst für mein Herzensanliegen, ich stimme für dein Herzensanliegen und nach Möglichkeit bringen beide Anliegen für uns beide Stimmen auf Kosten einer dritten Partei“, sagt Sutter.

Wer aus dieser Situation als Gewinner hervorgehen wird, lässt sich laut Sutter mit der Spieltheorie nur schwer vorhersagen. Er befürchtet stattdessen, dass es am Ende einen Verlierer geben wird – und zwar den österreichischen Steuerzahler. Denn auf der Suche nach „Wahlzuckerl“ würden die Parteien Beschlüsse fassen, die sie bei einer funktionierenden Regierung nicht beschlossen hätten.

Audio: Wirtschaftsforscher Matthias Sutter im Gespräch mit ORF-Redakteur Andreas Feiertag

Matthias Sutter
Tobias Haller

Zur Person:
Matthias Sutter (50), geboren in Hard, ist Professor für experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik. Er lehrt und forscht an den Universitäten Innsbruck und Köln und ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.

Konflikte trotz Bereitschaft zur Kooperation

Die Verhaltensökonomie kommt zum Schluss, dass es zwischen Menschen grundsätzlich ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft gibt. Allerdings würden trotzdem immer wieder Konflikte ausgetragen, sagt Sutter. Gerade in der Politik sei das unumgänglich. „Klar ist natürlich: wenn ich im politischen Wettkampf irgendwie mein Profil schärfen muss, geht das nur zum Teil mit Konflikt, mit Abgrenzung vom anderen“, so der Wirtschaftsforscher.

Laut Sutter belegen verhaltensökonomische Forschungen, dass menschliches Verhalten mehr oder weniger von moralischen Motiven getrieben ist. „Es gibt manche Leute, die schwören auf ‚Fairtrade‘ und wollen nichts anderes kaufen, anderen ist das ziemlich egal. Also von dem her haben wir eine ganz, ganz große Bandbreite. Natürlich glaube ich, dass wir alle davon gewinnen würden, wenn wir ethische Grundlagen hätten“, sagt Sutter. Allerdings sei die Versuchung sehr groß, eine Grenze zu überschreiten und daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen.

„Wirtschaft für Handelskriege gut gerüstet“

Sollte sich das internationale Wirtschaftsklima aufgrund von Handelsembargos und Handelskriegen weiter verschlechtern, sei die Vorarlberger Metall- und Textilindustrie recht gut gerüstet, sagt Sutter. Sowohl die Metall- als auch die Textilindustrie seien nicht gefährdet, weil die Produkte beider Bereiche aufgrund ihrer hohen Spezialisierung selbst bei einem Anstieg der Zölle von zehn oder 20 Prozent weiterhin stark nachgefragt werden. Für alle anderen Bereiche könnte sich die Konjunktur laut Sutter allerdings eintrüben.