Reinhard Steurer
APA/GEORG HOCHMUTH
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„Focus“

Reinhard Steurer über „Schein-Klimaschutzpolitik“

„Focus“ zeigt diesmal einen fatalen Etikettenschwindel der Politik auf: Der gebürtige Vorarlberger Universitätsprofessor Reinhard Steurer spricht über „Schein-Klimaschutzpolitik“. Aufgezeichnet wurde der Vortrag des Klimapolitologen im vorarlberg museum.

Professor Dr. Reinhard Steurer unterrichtet Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit gut 25 Jahren beschäftigt er sich dort mit der politischen Dimension der Klimakrise und mit der politischen Bedeutung von Ausreden.

So richtig bekannt wurde Reinhard Steurer erst, als er, wie er selbst sagt, „aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft herabstieg, um den Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten der ´Letzten Generation’ in Straßenblockaden beizustehen“. Sie seien der Feueralarm für eine schlaff handelnde Gesellschaft, sagt er. 40 weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgten seinem Beispiel.

„Die Frage, wann und wo ein Massensterben passiert“

Vergangenen Sommer umriss Steurer in der Tageszeitung KURIER kurz und knapp die dramatische Lage: „Bei unserem derzeitigen Kurs ist nicht die Frage, ob so ein Massensterben passieren wird, sondern wann und wo das erstmals sein wird. Darüber zu schreiben ist also keine Panikmache, sondern der Versuch, die brutalen Fakten der Klimakrise den Menschen näherzubringen, damit wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Weiterhin Öl und Gas zu verbrennen ist ein Verbrechen an der Menschheit, das wir noch bitter bereuen werden.“

Aber in der Welt und auch in Österreich schiebt man diese Problematik von sich weg. Politikerinnen und Politiker verleugnen (Klimaerwärmung gibt’s doch gar nicht), suchen Ausreden (China ist schuld oder die Überbevölkerung) oder üben sich eben im scheinbaren Klimaschutz, indem sie zwar Ziele setzen, ohne die nötigen Maßnahmen folgen zu lassen.

Reinhard Steurer
privat
Reinhard Steurer

Alibi-Handlungen, um das Gewissen zu beruhigen

Auch jede oder jeder einzelne kennt die Problematik des „Schein-Klimaschutzes“. Wir verdrängen das Thema oft, weil wir genug von all den Krisen haben. Oder man begnügt sich mit kleinen Alibi-Handlungen à la „Mülltrennen“, „Stromsparen“, „ein bisschen mehr Fahrradfahren“, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Das Problem bei derart kleinen Maßnahmen: Sie senken die Erderwärmung nicht, sagt Reinhard Steurer. Das sei Selbstbetrug. Die Menschheit mache sich selbst was vor und tue so, als ob sie an Lösungen arbeite.

„Wir leben in der Illusion, dass das eh halbwegs geht und dass wir das mit Technik machen und gut auf dem Weg sind. Die Klimarealität – und das ist die Aufgabe der Wissenschaft es zu sagen – ist katastrophal. So weiterzumachen ist ein Rezept für ein Desaster, das die Menschheit so noch nie gesehen hat.“ Eine wesentliche Voraussetzung für politisch wirksamen Klimaschutz sei es, den „Schein-Klimaschutz“ erst mal zu erkennen, um ihn dann überwinden zu können.

Mehr Druck durch die EU gefordert

Was ist also „Schein-Klimaschutz“? Blender gibt es in allen politischen Ebenen. Politologe Reinhard Steurer zeigt, das zunächst auf der internationalen Ebene auf. Nach Ansicht von Professor Steurer bräuchte es mehr Druck hinter der Sache, etwa durch eine World Climate Organisation ähnlich wie die Welthandelsorganisation, die Regeln aufstellt, die Gerichtsverfahren führt, wenn gegen Regeln verstoßen wird.

Die EU hätte etwa längst den Freihandel einschränken müssen, wenn jemand Klimaschutz nicht ernst nimmt, sagt Steurer. Oder sie hätte einen CO2-Zoll einführen müssen, um ein bisschen Druck zu geben. Nichts dergleichen ist passiert bis heute. Der CO2-Zoll soll nun 2026 kommen und es wird noch schwierig, meint Professor Steurer, den wirklich einzuführen.

Steurer: Österreich setzt zu viel auf Freiwilligkeit

In der österreichischen Politik wiederum setzt man aus Sicht des Politologen bei den Maßnahmen zu viel auf unverbindliche Freiwilligkeit. Das angekündigte Klimaschutzgesetz gibt es bis heute nicht. Der CO2 Preis sei so was wie Ablasshandel. Das gebe uns das Gefühl, jetzt zahlen wir mehr für die Emissionen. Jetzt können wir wieder fahren, wie es uns gefällt. Im Grunde habe der Weltmarkt weit mehr Wirkung gehabt als der CO2-Preis.

Wir kommen laut Reinhard Steurer erst dann weiter, wenn die Mehrheit echten Klimaschutz will und Blender, die Scheinklimaschutz vertreten, abwählt.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 15 April 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Zur Person

Prof. Dr. Reinhard Steurer unterrichtet Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der politischen Dimension der Klimakrise im Allgemeinen bzw. mit der politischen Bedeutung von Ausreden und „Schein-Klimaschutz“ in allen Bereichen der Gesellschaft im Speziellen.

Steurer studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, absolvierte einen Master in Public Policy an der University of Maryland/USA und habilitierte sich an der BOKU Wien in Vergleichender Politikwissenschaft. Der gebürtige Bregenzerwälder unterstützt als Scientist for Future Klimabewegungen wie „Fridays for Future“.