Franziska Schutzbach
Anne Morgenstern
Anne Morgenstern
„FOCUS“

Ein Blick auf die Ist-Situation der Frauen

Am 8. März ist internationaler Weltfrauentag. Ab 4. März beginnt eine Schwerpunktwoche in allen Kanälen des ORF Vorarlberg. Beginn ist die „Focus“-Sendung mit der Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach von der Universität Basel. Sie wirft einen analytischen Blick auf die Ist-Situation von Frauen. Ihr jüngstes Buch „Die Erschöpfung der Frauen – Wider die weibliche Verfügbarkeit“ wurde zum Bestseller.

Das Buch von Franziska Schutzbach wirft die Frage auf, woher diese Erschöpfung der Frauen kommt, warum sie seit jeher ein Aspekt weiblicher Lebensrealität ist und was man ihr entgegensetzen kann.

Bei einer Veranstaltung des Fraueninformationszentrum „femail“ im Theater am Saumarkt in Feldkirch, ging Franziska Schutzbach dieser pausenlosen Beanspruchung von Frauen auf den Grund.

Für Schutzbach, die sich in vielen wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen feministischen Organisationen engagiert, ist klar, dass Männer ebenfalls erschöpft sind. In der Leistungsgesellschaft sind alle erschöpft, sagt sie. Bisher wurde aber die geschlechterspezifische Dimension dieser Erschöpfung aus Sicht von Frauen kaum ausgeleuchtet.

Frauen suchen Schuld bei sich selbst

Einen Grund für die Erschöpfung sieht die Soziologin im Umstand, dass Frauen sich bei einem enormen Erfolgsdruck oft auf Suche nach den eigenen Fehlern machen, sie suchen die Schuld für Missgeschicke bei sich selbst. Das nagt am Selbstwertgefühl und ist erwiesenermaßen ein Faktor für Erschöpfungsdepressionen.

Schutzbach analysiert sehr genau ein System, das, wie sie sagt, „von Frauen alles erwartet, aber nichts zurückgibt“. Sie fasst in ihrem Buch umfangreich die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen, es ist aber kein Ratgeber. Die Lösung liegt nämlich ihrer Ansicht nach nicht in der individuellen Verbesserung der „Work-Life-Balance“, sondern eben im Widerstand und der Auflehnung gegen das System.

Franziska Schutzbach
Anne Morgenstern
Dr. Franziska Schutzbach ist Buchautorin und Dozentin für Geschlechterforschung und Soziologie an der Universität Basel. Seit Juli 2022 ist sie zudem Gastforscherin am Geografischen Institut der Universität Bern mit einem Forschungsprojekt zur reproduktiven Gesundheit und Rechten in der Schweiz. Franziska Schutzbach engagiert sich in vielen wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen feministischen Organisationen. Ihr jüngstes Buch „Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit“ (erschienen bei droemer-knaur) wurde zum Bestseller.

Frauenbild spielt eine große Rolle

Viel hängt mit dem Frauenbild zusammen. Männer erachten Frauen als die „gebenden Menschen", sagt Schutzbach – die Erwartungen an Frauen sind hoch: „Frauen können heute berufstätig sein, Karriere machen, in die Politik gehen. Sie können Sex mit verschiedenen Partnerinnen haben und ein emanzipiertes Leben führen. Ihnen wird die Fähigkeit attestiert, ihr Leben aktiv in die Hand zu nehmen und sich vor Problemen nicht abschrecken zu lassen. Und es wird geradezu von Ihnen erwartet. Das Mädchen und Frauenbild von heute ist stark, sexy, selbstbewusst, schlau, schlank, sexuell aktiv und aufgeklärt, gut gebildet. berufsorientiert, cool, selbstständig, aber auch lieb und sozial. Eine junge Frau kann alles. Sie soll aber auch alles. (…)“

Neben den emanzipierten Rollenbildern sind auch die traditionellen Erwartungen unhinterfragt wirksam. Mädchen sollen ihre kleinen Geschwister hüten, sie sollen im Haushalt helfen und auch heute wird ihnen permanent vermittelt, dass sie dereinst Mütter sein werden. Von erwachsenen Frauen wiederum wird erwartet, dass sie Karriere machen, erfolgreich sind, aber dabei nicht vermännlichen.

Frauen werden als gebende Menschen gesehen

Frauen werden nicht einfach als Menschen betrachtet. Von ihnen wird nach wie vor erwartet, dass sie gebende Menschen sind. Sie schulden anderen unterschiedliche Arten von Unterstützung, auch solche, die über die Familien und Hausarbeit hinausreicht: Bewunderung, Liebe, Wohlwollen, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Mitgefühl oder Sex.“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 4. März 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Frauen stimmen ihr Handeln oft auf Beziehungen und deren Bedürfnisse ab. Dadurch haben sie weniger Zeit für sich, haben weniger Erholung und sind emotional ausgelaugt. Diese Tätigkeiten werden so definiert, dass sie ja aus Liebe gemacht werden – und nicht als Arbeit gelten. Also kanns ja wohl nicht anstrengend sein – denken sich Männer.

Wie entstehen Rollenbilder?

Aber wie entstehen Rollenbilder eigentlich – etwa in dem Kinder für spezifische Tätigkeiten gelobt werden:

„Wir wissen aus soziologischen Studien, dass von Kindern, die als Mädchen erzogen werden, viel mehr erwartet wird in Sachen Fürsorglichkeit. Sie werden auch viel mehr gelobt und bekommen viel mehr Anerkennung, wenn sie diese Dinge tun. (…) Das heißt, es findet dann eine Art von Konditionierung statt. Wenn ich merke, ich bekomme für diese Tätigkeit sehr viel Lob und Anerkennung, dann wiederhole ich sie natürlich und gewöhne mir das als Existenzgrundlage quasi wie an.“

„The second shift“-Phänomen

Die Erschöpfung der Frauen erklärt sich weiters durch ein Phänomen, das die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild mit „The second Shift“ beschrieben hat, also mit einer zweiten Schicht. Gemeint ist, dass berufstätige Frauen, wenn sie nach Hause kommen, dort obendrein eine zweite Schicht an Arbeit einlegen. Die meisten Frauen absolvierten nach einem langen Erwerbs-Arbeitstag zusätzlich mehrere Stunden unbezahlte Hausarbeit, eben eine zweite Schicht „Frauenarbeit“.

Schutzbach spricht vor allem die „Sorgearbeit“ an, die Care-Arbeit. Für diese bleibt immer weniger Zeit, weil immer mehr Lohnarbeit gemacht werden muss, um finanziell über die Runden zu kommen. Diese Sorgearbeit wird aber gleichzeitig nicht weniger, sondern wird auch noch mehr, weil nämlich die Menschen immer älter werden und alte Eltern gepflegt werden müssen etc.

Gleichzeitig wurde der Sozialstaat abgebaut und die Versorgung von Menschen strukturell ins „Gratis-Privat-Krankenhaus-Frau“ ausgelagert. Das habe man etwa während der Corona-Krise sehr deutlich gesehen, sagt Franziska Schutzbach.

„Wenn es in der Welt Krisen gibt, dann sollen Frauen wieder vermehrt gewährleisten, dass andere sich von der harten Welt da draußen erholen können. Sie sollen gewährleisten, dass die Kinder im Homeschooling funktionieren und vieles mehr.“

Mentale Verantwortungslast

Arlie Hochschild hat noch einen Umstand erfasst, der die Last der Frauen verdeutlicht. „Mental Load “ nannte sie es. Schutzbach übersetzt das mit „Mentaler Verantwortungslast“ und sie gibt Beispiele, was damit gemeint ist:

„Gerade bei Paaren, die sich zum Beispiel Erwerbs- und Familienarbeit einigermaßen gerecht aufteilen, bleibt oft die mentale und emotionale Hauptverantwortung bei den Frauen. Sie bleiben die Projektleiterinnen, die den Überblick über Arzttermine, Kindergeburtstage und passende Winterkleidung haben, die häufiger auf ihr Telefon schauen, um zu kontrollieren, ob der Babysitter oder die Kita angerufen hat. Sie sind also innerlich wie äußerlich konstant mit Familienarbeit befasst.“

Ein weiterer Erschöpfungsgrund: Während es bei Männern fast schon als chic gilt, wenn sie im Job gefühlskalt agieren, sind Frauen auch erschöpft, weil von ihnen emotionale Arbeit erwartet wird. Für sie kann es ein echtes Risiko sein, sich der Rolle der Gebenden zu entziehen, sagt Soziologin Franziska Schutzbach. Sie riskieren eben zum Beispiel nicht, befördert oder nicht gewählt zu werden oder einfach unbeliebt zu sein.

„Frauen sind im Berufsalltag diejenigen, die mehr emotionale Arbeit übernehmen, weil sie in den entsprechenden Berufen unterwegs sind, also öfter in Berufen, wo emotionale Arbeit erforderlich ist, wie Pflege oder soziale Berufe, oder auch in den anderen Berufen, die also keine sozialen Berufe sind. Frauen erfahren im Beruf oft eine Art Dilemma: Zeigen sie zu wenig Gefühle, dann gelten sie nicht als richtige Frauen. Zeigen sie zu viele, dann werden sie nicht als richtige Führungspersönlichkeiten ernst genommen.“

Frauen müssen laut Studien mehr leisten als Männer

Frauen wird es im Berufsleben sowieso schwer gemacht. Das zeigen Studien, die Franziska Schutzbach sich für ihre Bestandaufnahme angesehen hat. Deren Ergebnis: Frauen müssen generell mehr leisten als Männer um beruflich überhaupt erfolgreich zu sein, ihnen wird nämlich von Vornherein weniger zugetraut.

„Das zeigt unter vielen anderen eine Studie über die Bewertung von Lebensläufen. Wenn also auf dem exakt gleichen Lebenslauf ein Frauenname draufsteht, dann wird der eben signifikant schlechter eingestuft, als wenn ein Männer Name draufsteht. Und vor allem beim Thema Führungskompetenz, sobald ein Männer Name draufsteht, dann wird dem gleichen Lebenslauf automatisch mehr Führungskompetenz zugestanden oder zugeordnet.

Ähnlich eine Studie der Soziologin Iris Bonnet über die fünf wichtigsten Orchester der USA: Erst als man das Auswahlverfahren anonymisierte und alle Bewerberinnen hinter einem Vorhang spielen ließ, stieg der Frauenanteil. Weil nun eben nicht mehr das Vorurteil griff, Frauen seien für komplizierte, klassische Musik weniger geeignet.“

Ein Hauptthema in Franziska Schutzbachs Bestseller ist die bereits angesprochene Sorgearbeit. Es sind Tätigkeiten, die unsichtbar sind und die dann auch noch kaum Anerkennung oder Bezahlung erfahren. Ja, die Soziologin aus der Schweiz sieht in der gewissenlosen Ausbeutung weiblicher Ressourcen sogar eine heimliche Grundlage des Kapitalismus:

„Es wird seit sehr langer Zeit dazu geforscht, welche Veränderungen notwendig wären, damit eben diese Sorgetätigkeiten aufgewertet und eben nicht mehr einfach als gratis Ressourcen der Frauen ausgebeutet werden. (…) Bis heute sind, man muss das leider sagen, diese Forderungen nach Anerkennung und Aufwertung der Sorgearbeit ohne Erfolg. Die Situation hat sich sogar verschlechtert, wie die Ökonominnen Mascha Madörin, Gabriele Winker oder Arlie Hochschild und viele andere zeigen. Pro Tag werden weltweit 16,4 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit geleistet. Und 3/4 davon wird von Frauen übernommen.

Viel unbezahlte Arbeit von Frauen

Der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit der Frauen in der Schweiz beträgt pro Jahr 250-Milliarden Schweizer Franken. Gleichzeitig verfügen in der Schweiz Frauen über rund 100 Milliarden Schweizer Franken weniger Einkommen im Jahr als die Männer, weil sie eben mehr unbezahlte Arbeit übernehmen oder eben für ihre bezahlte Arbeit im Durchschnitt schlechter bezahlt werden als die Männer. Einer der Gründe, warum Sorgearbeit abgewertet wird: Sie ist nicht profitabel oder nur in geringem Ausmaß. Sie ist kaum ökonomisierbar. Die Forderung nach einer Aufwertung der Sorgearbeit ist nicht mit den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen vereinbar. Eine Wirtschaft, die letztlich Milliarden Stunden von Sorgearbeit mitfinanzieren müsste, die wäre dann nicht mehr im gleichen Maße profitabel.

Um es etwas drastischer auszudrücken: Die Erschöpfung der Frauen ist quasi die Basis einer bestimmten Wirtschaftsweise. Frauenfeindlichkeit und Kapitalismus sind also inhärent miteinander verwoben. Wenn Fürsorge nicht als Arbeit, sondern als privater Liebesdienst, als „Natur der Frauen“ definiert wird, dann muss sie nicht oder kaum bezahlt werden. Und diejenigen, die sie machen, brauchen vermeintlich keine Unterstützung, keine Ressourcen, weil sie diese Arbeit ja vermeintlich qua ihrer Bestimmung gerne machen.“

Dass die Sorgearbeit ausgeblendet wird, wirkt sich fatal auf die Wirtschaftspolitik und auf die Menschen aus, sagt Franziska Schutzbach. In einem solchen System werden nicht nur die Menschen, die sie verrichten, marginalisiert und erschöpft. Es werde zudem so getan als gäbe es keine Verletzlichkeit, kein alt sein, kein krank sein. Fetischisiert wird dagegen der sogenannte Homo oeconomicus, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als seinen wirtschaftlichen Interessen folgen. Kein Wunder also, dass sich die Soziologin einen gehörigen Seitenhieb auf den Begründer der Nationalökonomie Adam Smith erlaubt:

„Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Adam Smith große Teile seines Lebens zu Hause bei seiner Mutter lebte und von ihr versorgt wurde. Sie kochte und wusch und putzte für ihn. Dieser Umstand fand aber keinen Eingang in seine Überlegungen. Er hätte merken müssen, dass damit er was schreiben und denken kann, eine andere Person im Hintergrund die ganze Zeit auch was macht, um das zu ermöglichen. Deswegen sage ich immer so ein bisschen ironisch: Eigentlich hätte er nicht von der “Unsichtbaren Hand des Marktes“, sondern von der „unsichtbaren Hand der Mutter“ schreiben sollen.“

Feministische Ökonominnen und Aktivistinnen plädieren also für ein Umdenken, das endlich die Sorgearbeit und das Beziehungshandeln ins Zentrum der ökonomischen Denkweise rückt. Gefordert wird eine sogenannte Care-Ökonomie. Sorgearbeit erledigt sich eben nicht so von selbst in den Familien. Dazu müsste der Staat allen Menschen mehr Zeit und Ressourcen geben, damit sie diese Sorgearbeit ohne Erschöpfung gut und zufrieden erledigen können – allen, nicht nur den Frauen.