„Focus“

Wünschiers: Wie neue Techniken unser Erbgut antastbar machen

In dieser „Focus“-Sendung spricht Professor Röbbe Wünschiers von der Hochschule Mittweida über die Gentechnik: „Raus aus dem Labor – Rein ins Leben. Wie neue Techniken unser Erbgut gläsern und antastbar machen.“ Der Vortrag wurde beim Montagsforum in Ravensburg aufgenommen.

Dr. Röbbe Wünschiers ist Professor für Biochemie und Molekularbiologie an der Fachhochschule Mittweida in Deutschland. Er ist im Bereich Gen- und Biotechnologie in der Lehre und Forschung tätig. Außerdem hat er schon mehrere Publikationen zu diesen Themen veröffentlicht, etwa „Generation Gen-Schere“ oder zuletzt „Allgemeinbildung Gene, Genetik und Gentechnik für Dummies“.

Bedeutung im Lebensalltag

In „Focus“ geht es diesmal um unsere Gene, um unser Erbgut und um unsere DNA. Es ist schon zur Mode geworden zu behaupten, dass dieses und jenes in der eigenen DNA steckt. Aber was steckt in einer DNA wirklich drin? Was kann man daraus ablesen? Was ist mit Gentherapien möglich, mit der sogenannten Genschere – und wie gefährlich ist das überhaupt?

Die Themen Genmanipulation und Gentherapie werden heftig diskutiert. Wünschiers zieht den Vergleich mit der Büchse der Pandora, wo dann vielleicht das Übel rauskommt, was einige Leute im Vordergrund sehen: „Aber irgendwie mit dem Übel ist ja auch die Hoffnung aus der Kiste hinausgestiegen. Und die Hoffnung ist das, was bei mir überwiegt.“

Das große Feld der Gentechnik hat mittlerweile eine enorme Bedeutung für den menschlichen Lebensalltag. Die Debatte um die Anwendung der Gentechnik spaltet die Gesellschaft und gerade deswegen wird eine Debatte darüber laut Professor Wünschiers immer wichtiger, ja sie ist unumgänglich.

Röbbe Wünschiers
Hochschule Mittweida

Krankheiten deutlich machen

Genvarianten können jedenfalls Krankheiten deutlich machen. DNA-Bausteine, sogenannte Nukleotide, können mit bestimmten Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. Es stellt sich die Frage, ob man diese Krankheiten gentherapeutisch heilen soll.

Aufgeworfen wurde diese Frage erstmals in den 1970er/80er-Jahren in Texas bei einer Erbkrankheit namens Skid und den Jungen david Vetter, der deswegen in einer Kunststoff-Blase leben musste. Es handelt sich um eine Erkrankung, die dazu führt, dass das Immunsystem nicht ausgebildet ist. David Vetter ist als Teenager gestorben, nachdem man versucht hat die Krankheit durch eine Knochenmarktransplantation zu heilen. Dabei ist ein Herpes Virus mit übertragen worden, das Immunsystem war noch nicht stark genau.

Wünschiers: „Das heißt also, man kann bestimmte Positionen im Erbgut in Verbindung bringen mit bestimmten Erkrankungen, und dann sind sie wie ein diagnostischer Marker, wie ein Test, auf den ich schauen kann. Wenn man diesen Marker sieht, weiß man, der oder die wird möglicherweise diese Erkrankung bekommen. Denken Sie an das frühgeborene-Screening, wo man auch DNA- Tests machen kann, wenn man möchte.“

Wie weit darf der Einsatz gehen?

Wie weit darf oder muss der Einsatz von Gentechnik aber gehen? Sollen wir Krankheiten therapieren oder besser genetisch reparieren? Das heißt also nicht therapieren durch irgendwelche Medikamente, sondern es wird diese eine genetische Veränderung vorgenommen.

Man wollte also bald Erbkrankheiten durch Gentherapie behandeln. Ein alter Traum. Erfolg und Scheitern lagen aber nah beisammen. 1990 wurde die vierjährige Ashanti DeSilva zur ersten Gentherapie-Patientin weltweit. Sie litt an einem schweren erblichen Immundefekt, denn in ihren Abwehrzellen war ein Gen defekt. Das wurde „repariert“ – mithilfe von einer solchen „Gen-Fähre“: Viren, die das intakte Gen in die Blutzellen transportierten.

1999 aber der Tiefpunkt: Der 18-jährige Jesse Gelsinger stirbt in der Uniklinik von Pennsylvania an den Folgen einer Gentherapie – und das, obwohl seine Erkrankung gar nicht lebensbedrohlich war. Er litt unter einer Stoffwechselerkrankung der Leber und wollte ohne Medikamente leben. Die Ärzte verschätzen sich bei der Dosis. Der junge Mann starb an den Folgen einer Überreaktion seines Immunsystems.

Da fragt man sich dann – gibt Professor Wünschiers zu bedenken – ist das überhaupt gut, was wir da machen? Siehe die Büchse der Pandora. Ist vielleicht die Hoffnung noch nicht so groß wie das Übel, das aus der Box kriecht?

Nobelpreis für Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas

In Folge hat man nach besseren Methoden für die Gentherapie gesucht – und gefunden. 2020 erhielten die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna den Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung der sogenannten Genschere – CRISPR/Cas.

Die beiden Frauen haben gesehen, dass Bakterien ein Immunsystem ausbilden können. Sie haben das in die Anwendung gebracht und festgestellt, dass es universal ist, so universal, wie der genetische Code. Diese Genschere kann man nicht nur bei Bakterien anwenden, sondern auch auf Zellen, also bei Tieren und Pflanzen etc… „Das ist gerade eine Revolution", sagt Professor Röbbe Wünschiers: „Und im Prinzip ist die Genschere vom Konzept super simpel“.

Mit der Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas rückt die Gentechnik in den Entscheidungsalltag eines jeden Einzelnen. Diagnostik, Kinderwunsch, Gentherapie – wir erleben nun eine neue Dimension der Gentechnik, doch wohin soll die Reise führen?

Gentechnisch veränderte Babys

Führt die neue Gentechnik verbunden mit der modernen Reproduktionsbiologie gar zu Designer-Babys? Ja – in China schon. Dort hat der Forscher Jiankui He 2018 die weltweit ersten gentechnisch veränderten Babys zur Welt gebracht. Er wollte in seinem Labor HIV-resistente Menschen entstehen lassen. Es sind Zwillinge zur Welt gekommen, von denen ein Kind tatsächlich resistent ist, bei dem anderen Zwilling hat es nicht funktioniert.

Molekularbiologie und Biochemiker Röbbe Wünschiers streicht folgendes hervor:
„Das ist ein Eingriff in die Keimbahn. Eingriff in die Keimbahn heißt, die Kinder, die geboren wurden – es sind mindestens drei, von denen wir wissen – sind genetisch verändert und werden diese genetische Veränderung an ihre Nachfahren weitergeben. Das ist eine rote Linie, eine rote Linie, die sich die Wissenschaft selbst gibt. Das Experiment wurde geächtet – auch geächtet von der chinesischen Regierung, auch von der Universität.“

He wurde zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe in Höhe von mehreren tausend Euro verurteilt, im Frühjahr 2022 kam er wieder frei. Über den chinesischen Forscher brach ein Sturm der Entrüstung herein. Man nannte ihn einen verantwortungslosen Schurken und sogar „Chinas Frankenstein“. Nun ist klar: Mit Hilfe der Gentherapie kann man also DNA verändern – und mit der Genschere kann man ganz gezielt ins Erbgut eingreifen.

„Es gibt keine Rassen“

Mit einem räumt der Professor der Hochschule Mittweide klar auf: Es gibt keine Rassen – das zeigt die Genforschung – bei der Erhebung von Genvarianten ganz deutlich. Röbbe Wünschiers zitiert dazu das Humangenomprojekt: „Menschen, die seit vielen Generationen in derselben geographischen Region leben (Afrikaner, Eurasier, …) können einige Allele, also genetische Variationen gemeinsam haben, aber kein Allel kommt bei allen Mitgliedern in der Population vor und bei keinem Mitglied einer anderen Population.“

„Es kann also sein,“ gibt Professor Wünschiers als eindrückliches Beispiel, „dass der Flüchtling aus Afrika Ihnen genetisch ähnlicher ist als ihr Nachbar, der nebenan wohnt.“ Die gefährlichen Vorstellungen von rassischer Überlegenheit entbehren also jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Forscherin sorgt für Aufregung: Gen-Lotterie

Derzeit sorgt auch ein neues Buch der US-amerikanischen Forscherin Kathryn Paige Harden weltweit für Aufregung, das auf Deutsch im Mai erscheinen wird. Der deutsche Titel: Die Gen-Lotterie. Es geht, wenn man so will, um die Macht der Herkunft, darum, wie stark das Erbgut unser Leben bestimmt – sei es bei Schulerfolg, Karriere, Charakter oder Suchtverhalten. Man geht der Frage nach, ob sozialer Erfolg genetische Ursachen hat. Genomweite Assoziationsstudien sollen belegen und zeigen, dass jemand aufgrund seiner DNA eher erfolgreich sein kann.

Beispiel Intelligenz: Menschen, die diese genetischen Varianten haben, die man bei Menschen findet, die intelligenter sind, erkranken auch seltener an Alzheimer, werden nicht so schnell depressiv, haben einen erhöhten Lernerfolg, können sich besser konzentrieren. Professor Röbbe Wünschiers warnt: „Das sind Dinge, die dabei rauskommen, wo man natürlich ganz vorsichtig in der Interpretation sein muss.“

Welchen Einfluss hat das Erbgut?

Es gilt zu relativieren: Auf manches hat das Erbgut also Einfluss, auf manches weniger, und auf manches gar nicht – und der Einfluss ist oft kleiner als man denkt. Die Blutgruppe ist zu 100 Prozent genetisch assoziiert, ungefähr 16 Prozent von Lernerfolg kann laut Professor Wünschiers genetisch erklärt werden, verschiedene politische Einstellungen nur zu einem geringen Teil und „wenn Sie eine Beule bekommen, ist das null genetisch assoziiert.“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 28. Jänner 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Der Molekularbiologe und Biochemiker Röbbe Wünschiers wurde zum Schluss des Montagsforums in Ravensburg noch gefragt, ob er der Menschheit mit diesen neuen Techniken, die zweifellos viele Gefahren in sich bergen, auch einen sinnvollen Umgang zutraut: „Ich bin ein positiv denkender Mensch und ich bin frustriert auch von dem, was die Menschheit so tut. So dass man sicherlich auch eine gewisse Skepsis mitschwingt. Aber ich will mal so sagen: Was die Wissenschaft angeht, habe ich ein sehr großes Vertrauen in meine Community, in die ich eingebettet bin.“

Wünschiers nennt als Beispiel die Asilomar-Konferenz zur Gentechnik von 1975. Damals haben Wissenschaftler von sich aus Journalisten, Juristen, Politiker und Soziologen eingeladen, um den Umgang mit einer damals neuen Entdeckung zu diskutieren.

Normen und Ethiken

Wünschiers: „Das heißt, die Wissenschaft reguliert sich schon sehr weit selbst und schaut schon auch, was gut ist und was schlecht. Und ich glaube, solange wir Wissenschaft haben, die so frei ist in ihrem Handeln, dass sie solchen Normen, solchen Ethiken folgen kann, bin ich sehr hoffnungsvoll. (…) Ich habe die Hoffnung, dass wir immer einen mindestens so großen Teil von Menschen haben, die ethisch, moralisch, im Sinne der Gemeinschaft denken, dass wir dem Teil der Bevölkerung, der Missbrauch treiben will, etwas entgegenhalten können, dagegen anarbeiten können, dass wir Gegengifte haben.“

Professor Röbbe Wünschiers von der Hochschule Mittweida vertraut also in ein verantwortungsvolles Handeln der Wissenschaft, solange sie frei ist. Ihm ist dabei der offene Dialog über dieses ambivalente Thema wichtig.