Dr. Paula Diehl ist Professorin für politische Theorie, Ideengeschichte und politische Kultur an der Universität Kiel. Die gebürtige Brasilianerin ist assoziierte Wissenschaftlerin der Sciences Po in Paris und des Max-Planck-Instituts in Berlin. Diehls aktuelle Forschungsprojekte widmen sich dem Populismus, der politischen Repräsentation und dem Konzept des politischen Imaginären.
Demonstration von Machtverhältnissen
In der „Focus“-Sendung analysiert Diehl den Populismus. Was diese politischen Führer – es sind vor allem Männer – ausmacht, was sie so gefährlich macht und vor allem – wie sie sich inszenieren. Die Forschung dazu wurde selbst innerhalb der Politikwissenschaft ein wenig misstrauisch beäugt, sagt sie – bis Donald Trump kam. Sein Machogehabe habe den größten Skeptikern die Augen geöffnet. Diehl geht der Frage nach, wieso wir uns von gewissen Politikerinnen und Politikern repräsentiert fühlen und von anderen nicht. Hier spielt – unterbewusst – die Körperinszenierung eine große Rolle.
Diehl: „Der Körper ist in der Tat das Haupt-Medium der Politikerinnen und Politiker. Ohne ihn können sie nicht sprechen, keine Haltung annehmen und keine Emotionen ausdrücken. Der Körper ist auch das Medium, womit Machtverhältnisse demonstriert werden.“

Mimetisch zum Volk
Populistinnen und Populisten präsentieren sich als „eine/r aus dem Volke“ und zugleich als Führerinnen bzw. Führer des Volkes. Um die Nähe zum Volk aufzubauen, entwickelt der Populismus eine besondere Inszenierung: Sie verhalten sich mimetisch zum Volk und suchen den physischen Kontakt zum Volk.
Eine Politikerin oder ein Politiker kann einer Inszenierung eigentlich gar nicht entkommen. Bei jedem öffentlichen Auftritt zeigen sie sich bereits in ihrer Rolle, sie inszenieren sie unweigerlich. Je wichtiger eine Politikerin/ein Politiker ist, desto mehr Bedeutung misst man ihren Gesten, ihren Minen, ihrer Kleidung zu. Man denke etwa an den eisernen Blick von Bundespräsident Thomas Klestil bei der Angelobung der Schwarz-Blauen Regierung vor 23 Jahren.
Die Repräsentation bleibt in der modernen Gesellschaft, in den heutigen Demokratien, das wichtigste Prinzip, erklärt Politikwissenschafterin Diehl. Insofern ist aber auch der Abstand, den es zwischen der Bevölkerung und seinen gewählten Repräsentanten gibt, das Problem.
Politikverdrossenheit als Problem
„Der Populismus entsteht dadurch, dass dieser Abstand zwischen Regierenden und Regierten zu groß geworden ist und dass die Regierten, also die Bürger und Bürgerinnen, sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Darauf reagiert der Populismus mit einem Anprangern der Mainstream- Parteien. Mit einem Vorschlag für mehr Volksmacht", so Diehl.
In die Krise geraten Demokratien also dann, wenn Politikerinnen und Politiker den Draht zur Bevölkerung verlieren. Das Resultat kennen wir: Politikverdrossenheit – ein großes Problem gerade auch innerhalb der EU, sagt Frau Professor Diehl. Diese Kluft wissen Populisten zu nutzen.
Diktatoren unterscheiden sich von demokratischen Politikerinnen und Politkern dadurch, dass sie Symbole der Macht ostentativ zeigen und einen großen Abstand zu den Bürgerinnen und Bürgern demonstrieren. Sie erheben sich vom Volk und zeigen in ihrer Körpersprache, dass sie über dem Volk stehen.
Die Bedeutung von Symbolen
Monarchische und absolutistische Symbolik einerseits und symbolische Demonstration von Gewaltpotenzial wie Militärparaden bieten dafür die bevorzugten Inszenierungen, sagt Diehl. Man denke etwa an die mitunter sehr schrill anmutenden Uniformen des einstigen libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi.
„Er verschaffte sich Kleider, die aus einer Kombination aus barocken Kostüm und militärischer Uniform entstanden. Unter der reichlich dekorierten Militärmütze trug er langes Haar, was überhaupt nicht typisch fürs Militär ist, sondern viel mehr an die Perücke der französischen Hofs erinnerte. Manchmal zeigte er sich mit einem kleinen Stab in der Hand, der zwar nicht wie ein royales Zepter zu sehen ist, aber die Geste des royalen Zeigens nachahmte. Denn Könige des französischen Hofs zeigten nicht mit der Hand auf Personen und Gegenständen, sondern mit einem Stab. Mit der Aneignung von monarchischen Attributen, knüpfte Gaddafi an eine prädemokratische politische Tradition an, in der das Volk nicht als Souverän stand, sondern die Macht dem König gehörte.“
Keine perfekte Inszenierung der Demokratie
Im Vergleich zu Gaddafi sehen „echte Demokratinnen und Demokraten“ natürlich langweilig aus. Und das hat auch seine guten Gründe: In der Demokratie haben wir das Prinzip der Gleichheit und die Regierenden sind – sagt Paula Diehl – mit allen Bürgerinnen und Bürger gleich. Daher gibt es keine perfekte Inszenierung der Demokratie.
Politikerinnen und Politiker, die nicht auffallen, sind insofern positiv, denn das bedeutet, wir nehmen sie als Normalität an.
Politikwissenschafterin Diehl nennt als Beispiele die deutsche Langzeitkanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Ex-Präsident Francois Hollande. „Das sind Prototypen von unauffälligen Inszenierungen.“ Francois Hollande ist etwa in seinen Wahlkampf eingetreten mit der Aussage „Je suis Monsieur normal“.
Populismus sei ein ständiger Begleiter der Demokratie, der mal still, mal laut sein kann, aber in bestimmten Krisensituationen sehr laut wird- Schlimmer noch: er wird dann von allen geteilt. Es gibt laut Politikwissenschafterin Diehl einen sogenannten Kontaminations-Effekt, dass man sich anstecken lässt von populistischer Kommunikation.
Vergleich mit einem betrunkenem Gast
Diehl umschreibt mit den Worten des Politikwissenschafters Benjamin Arditi Populisten recht bildhaft als den „betrunkenen Gast bei einer Abendgesellschaft“: „Dieser betrunkene Gast ist sehr unangenehm, ist laut, respektiert nicht die guten Manieren, aber er kann teilweise auch verdrängte Wahrheiten zur Sprache bringen. Dinge, bei denen man nicht so wohlfühlt, wenn man darüber spricht. Insofern ist diese betrunkener Gast manchmal ganz heilsam für diese Abendgesellschaft, weil er ermöglicht, über bestimmte Probleme zu sprechen und dadurch so als Korrektiv für die demokratische Krise fungieren kann. Kann! Nicht muss!“
„Das bedeutet, Populismus kann Probleme anprangern, kann die Krise der Repräsentation zeigen, kann nach mehr Volkssouveränität verlangen und vor allem einen Weg zeigen, in dem die Bürgerinnen und Bürger ernst genommen werden innerhalb des politischen Prozesses.“
„Das betrogene Volk“
Die Politikwissenschafterin aus Kiel warnt aber: Populismus kann auch das notwendige Vertrauen an die politischen Institutionen erodieren, weil Populismus gegen die Mediation durch Institutionen steht. Populisten maßen sich an zu wissen, was das Volk will – und reden sich notfalls auf das Volk aus: „Es ist ein rhetorischer Trick des Populismus zu sagen: Das ist nicht meine Meinung, das ist die Meinung des Volkes. Deswegen kann ich gar nicht angeprangert werden für das, was ich sage.“
Diehl zeigt auf, dass es Populismus politisch sowohl rechts als auch links geben kann. Als Beispiele nennt sie den ehemaligen sozialistischen Staatschef von Venezuela Hugo Chavez und Heinz-Christian Strache (FPÖ). Beide Richtungen haben u.a. immer ein Narrativ gemeinsam: „Das betrogene Volk". Der Populismus baut also eine Geschichte auf, bei der das Volk von der Elite betrogen wurde und die Macht, die eigentlich dem Volk gehört, konfisziert worden ist.
„Das Bad in der Menge“
Rechtspopulisten machen aber weltweit die meisten Fälle des Populismus aus, sagt Diehl. Diese kennzeichnet eines: Sie wehren sich gegen Eindringlinge. Hier wird das Volk als organische und homogene Einheit beschrieben. „Dieser Volkskörper muss sich permanent gegen Eindringlinge verteidigen. Und diese Eindringliche können je nach Fall unterschiedlich definiert werden: Ausländer, Menschen anderer Hautfarbe, anderer sexueller Präferenzen oder Identitäten, teilweise Kommunisten.“
Populisten haben auch ihre eigene Sprache. Sie fungieren ja als Sprachrohr des Volkes. Sie skandalisieren, extrem emotional, verletzen dabei oft bewusst Moral und Anstand – mit dem Ziel somit leichter in den Massenmedien vorzukommen.
Politische Führerinnen und Führer haben auch gerne folgende Bildsprache: Egal ob Marine Le Pen, Hugo Chavez oder Jair Bolsonaro – sie alle „genießen“ das Bad in der Menge: „Dieser Körperkontakt ist symbolisch wichtig, weil er zeigt: Wir grenzen uns nicht ab. Jeder kennt diese Satiren über Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf, die sich dieses Bad in der Menge geben, aber sich eigentlich ekeln, nachdem sie dann die Hände geschüttelt haben.“
Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 21. Jänner 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr
Um zu zeigen, dass man zum Volk gehört, gibts noch eine anschauliche Methode: etwas volksnahes essen. Donald Trump und Barack Obama Fast-Food, Jair Bolsonaro das typische, brasilianische Pastel oder im deutschsprachigen Raum: Die Wurst. Zuletzt etwa im Bundespräsidentschaftswahlkampf. Da ließen sich Alexander Van der Bellen und Altbundespräsident Heinz Fischer ganz bewusst beim gemeinsamen Wurstgenuss vor einer Würstelbude in Wien ablichten. Umgekehrt wird abgehobener Genuss, wie etwa das Champagnertrinken, gar nicht goutiert.
Die Rolle der Kleidung
Populisten tragen – wie Professorin Paula Diehl erklärt – auch gerne die Kleidung des Volkes. Hugo Chavez hat sich etwa an schichtspezifische Kleidercodes angelehnt und öffentlich gerne Jogginganzüge getragen. Man denke auch an die Tracht – in Österreich genauso wie in Bolivien – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen:
Boliviens Präsident Evo Morales rückte durch das Tragen der indigenen Tracht die ethische Identität in den Vordergrund. Er wollte zeigen, dass er die indigene Bevölkerung repräsentiert, diejenigen, die ausgeschlossen waren. Hier hat das Tragen der Tracht eine inklusive Funktion. Ganz anders bei Jörg Haider, sagt Diehl. Er nutzte die Tracht, um andere auszuschließen. „Dieselbe Symbolik kann Unterschiedliches bedeuten. Das heißt, Tracht tragen ist nicht per se rechtspopulistisch und auch nicht per se integrativ. Es hängt immer davon ab, in welchem Zusammenhang sie verwendet wird“.
Stichwort Kleidung: Der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj trägt ganz bewusst militärisch wirkende T-Shirts und Hosen, um Kampfbereitschaft zu signalisieren und diese auch der Bevölkerung aufzutragen, erklärt Diehl. Das Tragen einer offiziellen Militärunform hätte eine ganz andere Bedeutung. Sie nennt ihn ein „Bilderbuchbeispiel für gelungene Propaganda“.