Bischof Benno Elbs, Portraits
Lisa Mathis
Lisa Mathis
„Focus“

Heilsame Gedanken – ein Gespräch über Viktor Frankl

In der Sendung „Focus“ sprechen diese Woche Bischof Benno Elbs und Thomas Matt, der neue Leiter der Arbeiterkammer-Reihe „Wissen fürs Leben“, über den Wiener Psychiater und Neurologen Viktor Frankl. Aufgenommen wurde das Gespräch in der AK Feldkirch.

Viktor Frankl ist der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Frankl hat die Suche nach dem Sinn des Lebens zum Thema seines Lebens und seiner Wissenschaft gemacht. Er war überzeugt, dass das Leben in jeder Lebenssituation einen Sinn bereithält, sodass die Kunst des Lebens darin besteht, diesen – oft verborgenen – Sinn zu entdecken.

Viktor Frankl, österr. Psychologe und Arzt. Photographie von Katharina Vesely. 1994.
IMAGNO/Viktor Frankl Institut/Katharina Vesely
Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor Frankl begründete die Logotherapie und Existenzanalyse. Diese Sinn-Lehre wurde vielen zur Lebenshilfe.

„Trotzdem Ja zum Leben sagen“

In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten verlor der gläubige Jude Viktor Frankl seine Familie, während er selbst überlebte. Über seine Erfahrung in den Vernichtungslagern der Nazis schrieb Frankl das Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“, das weltweit millionenfach verkauft wurde. Er gehört neben Sigmund Freud und Alfred Adler zu den drei großen Wiener Psychologen.

Der Mensch braucht Sinn

Im Gegensatz zu Sigmund Freud sagt Frankl: „Der Mensch geht über Lust und Machtstreben hinaus. Der Mensch will Sinn finden und Sinn fühlen in seinem Leben." Letzten Endes könne der Mensch ohne den Ausblick auf einen Sinn gar nicht existieren: "Ein Mensch, dem es halbwegs gut geht, der denkt gar nicht an den Sinn seines Lebens. Aber ein Mensch, der auf seinem Sterbelager liegt, ein Mensch, der zu leiden hat, der in Hoffnungslosigkeit versinkt, der wird haltlos, wenn er sich nicht an die Vision eines Sinns halten kann.“

Die Trotzdem-Kraft

Benno Elbs ist selbst ausgebildeter Psychotherapeut und ging im Gespräch mit Thomas Matt, dem neuen Leiter der AK-Reihe „Wissen fürs Leben“, zunächst darauf ein, warum Frankls Sinn-Lehre in einer Zeit der Krisen und des Krieges ein unverzichtbarer Ratgeber ist: „Viktor Frankl steht für eine Trotzdem-Kraft."

In den multiplen Krisen, in denen die Menschheit jetzt steht, stelle sich immer wieder die Frage, wie man als Mensch in einer solch schwierigen Situation überleben könne: „Wie kann ich einen Sinn finden? Wie kann ich einen Weg und eine Perspektive finden? Also wie komme ich zu dieser Trotzdem-Kraft, die mir hilft, in einer in einer auch schwierigen Situation gut und sinnvoll zu leben.“

Frankls Existenzanalyse- und Logotherapie komme deshalb gerade in der aktuellen Zeit große Bedeutung zu, sagt Elbs: „Zumindest der Teil, der sich mit der Krisenintervention beschäftigt, ist eine Therapieform, die ganz stark diese Trotzdem-Kraft herausarbeitet, unterstützt und Wege dazu öffnet.“

Bischof Benno Elbs
Pete Ionian
Benno Elbs wurde 1960 in Langen bei Bregenz geboren, hat Theologie in Innsbruck und Paris studiert. Er ist zudem ausgebildeter Psychotherapeut nach der Logotherpieschule und Existenzanalyse von Viktor Frankl. Seit 2013 ist Benno Elbs Bischof der Diözese Feldkirch.

Elbs faszinierte Frankls Prinzip der Freiheit

Benno Elbs hat während seiner Ausbildung Viktor Frankl selbst kennengelernt und in München bei dessen wohl wichtigster Schülerin Elisabeth Lukas gelernt. Warum hat sich der nunmehrige Bischof der Diözese Feldkirch eigentlich ausgerechnet nach Frankls Schule der Logotherapie und Existenzanalyse ausbilden lassen? Was fasziniert einen Theologen an dieser Lehre – warum nicht die Lehre Freuds oder Adlers?

Viktor Frankl war vor allem der Aspekt der Freiheit wichtig. Das hat Benno Elbs gefallen: „Frankl hat sehr allergisch reagiert auf den Pan-Determinismus, das heißt, dass das alles vorherbestimmt ist. Also du bist als Mensch ein Produkt deiner Gene, deiner Geschichte, der Umwelt, in der du aufwächst. Und der Freiheitsraum ist eigentlich klein bis fast null, sondern es sind die Triebe, die Aggressionen, die dein Leben beeinflussen und bestimmen. Und das ist natürlich ein Gegenkonzept zur Theologie", sagt Elbs.

Ein Rest von Freiheit bleibt immer und überall

„Wenn ich die christliche Theologie hernehme, aber auch die anderen Theologien der anderen Religionen, dann gehen diese ja alle von einem Menschenbild aus, das prinzipiell die Freiheit ermöglicht", präzisiert der Bischof: „Sonst gäbe es keine Schuldmöglichkeit, keine Gestaltungsmöglichkeit. Und das ist auch das ganz zentrale Thema der Existenzanalyse von Viktor Frankl. Er treibt es zur Spitze und sagt, dass selbst im Konzentrationslager oder auch in der Intensivstation, in der perversesten Lebenssituation, ein Rest von Freiheit bleibt.“

Freiheit ist Frankls Credo, sagt Elbs: "Die Freiheit gehört zur Würde des Menschen und wer den Menschen die Freiheit nimmt, auch die Schuldfähigkeit nimmt, der nimmt ihnen auch die Würde. Insofern sind das christliche Menschenbild und das Menschenbild der Existenzanalyse in einem hohen Maß kompatibel. Vor allem wegen diesem großen Thema der menschlichen Freiheit.“

Was ist der Mensch für Viktor Frankl?

Was macht nun die Existenzanalyse aus – die Logotherapie, diese dritte große österreichische Psychotherapierichtung. Was ist der Mensch für Viktor Frankl? Bischof Benno hält es für entscheidend, dass es bei Frankl verschiedene Dimensionen des Menschen gibt: eine physische, eine emotionale oder auch eine geschichtliche und vor allem auch eine geistige Dimension.

Thomas Matt
Jürgen Gorbach
Thomas Matt ist Journalist und Moderator. Im Herbst 2022 hat er die Reihe „Wissen fürs Leben“ bei der Arbeiterkammer Feldkirch von Franz-Josef Köb übernommen.

Der Geist selbst kann nicht erkranken

Eine These von Frankl ist, dass zwar die Ausdrucksorgane des Geistes erkranken können, aber nicht der Geist, diese geistige Dimension des Menschen. Diese These verändert den Zugang zum Menschen, sagt Benno Elbs: „Wenn ich einem Menschen begegne, der eine Sorge, eine Not hat, dann vertraue ich als Existenzanalytiker darauf, dass es in jedem Menschen, in jeder Situation etwas Gesundes gibt. Und ich versuche, das Gesunde zu stärken. Ich glaube an die Selbstheilkraft des Geistes. (…) Die Heilung geschieht in der Stärkung des ganzen Menschen und nicht nur in der Fixierung auf dieses Problem, dass der Mensch gerade mit sich herumträgt.“

Eine sinnvolle Aufgabe hilft dem Menschen

Der dritte wichtige Ansatz ist, dass die Heilung durch Selbsttranszendenz geschieht. Die Therapeuten achten darauf, was das Gesunde ist. Es hilft einem Menschen, wenn er oder sie eine sinnvolle Aufgabe hat und sich mit großer Liebe oder Begeisterung etwas zuwenden kann. Elbs: „Das merken wir bei Kindern, wenn sie spielen, oder wenn jemand von einer Idee begeistert ist. Das ist extrem gesund. Das Hinwenden zu etwas Sinnvollen, zu etwas Positivem, zu etwas Schönem wie der Musik, das ist gesund. Und darum ist die Existenzanalyse immer darauf aus, auch zu schauen, was kann in einem Menschenleben etwas ganz Sinnvolles, Heilsames, Gesundes sein – und wie kann ein Mensch sich dem zuwenden.“

Was das Leben von uns erwartet

Ein Schlüsselgedanke von Viktor Frankl betrifft die Frage nach dem Sinn des Lebens. In seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ schrieb er sinngemäß: Es gehe nicht darum, was wir vom Leben erwarten, sondern was das Leben von uns erwartet. Bischof Benno Elbs sagt als gelernter Psychotherapeut dazu: „Der Punkt ist der, dass das Leben uns Fragen stellt und, dass wir herausgefordert sind, diese Problem-Lösungsstrategien zu finden.“

Die Fragen, die jemand hat, können ganz unterschiedlich sein – je nachdem, ob jemand in der Ukraine im Krieg ist oder etwa vor einem schönen Ereignis steht, wie vor der Hochzeit oder einer Geburt. Das sind ganz unterschiedliche Fragen und unterschiedliche Sinn-Möglichkeiten.

Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor Frankl ist seit mittlerweile 25 Jahren tot – seine von ihm entwickelte Therapie, vor allem seine Lebensgrundsätze leben fort und sind gerade jetzt gefragter denn je.

Kirchenfenster als Bild für das Leben

Wie man den Sinn des Lebens erkennen kann – dafür hat Benno Elbs ein bildliches Beispiel seiner Lehrerin Elisabeth Lukas parat: „Das sei, wie wenn ich vor einer Kirche stehe und die Fenster sehe. Wenn ich nämlich schöne gotische, farbige Fenster von außen sehe, sind sie alle grau, da sieht man überhaupt nichts, außer es brennt innen Licht. Aber wenn man in die Kirche hinein geht, dann werden die Fenster alle farbig."

Für Elbs ist das ein sehr treffendes Bild für das Leben: "Du musst in dein Leben, so wie du es hast, bewusst hineingehen und sozusagen die schönen, vielen Farben deines Lebens entdecken. Dass es sie gibt, weiß ich theoretisch, wenn ich draußen stehe, auch. Aber erleben, erfahren kann ich es nur, wenn ich in mein Leben bewusst und mit einer bestimmten Gelassenheit und einem bestimmten Vertrauen hineingehe.“

Humor ist das billigste Medikament

Zum Schluss kommen Feldkirchs Diözesanbischof Benno Elbs und der Moderator der Reihe „Wissen fürs Leben“ Thomas Matt – noch auf den Humor bei Viktor Frankl zu sprechen. Der dürfe in der Therapie auf keinen Fall zu kurz kommen. Der Humor ist nach Ansicht des Bischofs das hilfreichste und billigste Psychopharmakon.

„Humor hat die Fähigkeit des Selbstdistanzierung“, sagt Bischof Benno. Das heißt, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen: „Wenn es mir gelingt, auf das Problem in einer bestimmten Distanz, mit einem bestimmten Humor, mit einer bestimmten inneren Gelassenheit zu schauen, dann habe ich sehr viel persönlich gerettet. Und darum ist der Humor das Allerwichtigste auf der Welt, finde ich. (…) Der Humor löst viele Verstrickungen, Verkrampfungen, Fanatismus.“