Der Beginn eines neuen Jahres ist ein Moment, an dem man gerne in die Zukunft schauen würde. Die Zukunft wurde und wird im Science-Fiction-Genre mit dem Weltraum skizziert, mit dem Wunsch unbekannte Welten zu entdecken, neues Leben und neue Zivilisation.
Der Sternenhimmel ist Vergangenheit
Der Blick von der Erde in den Sternenhimmel hat aber rein gar nichts mit Zukunft zu tun. Im Gegenteil. Das erklärt die deutsche Astrophysikerin, Philosophin und Wissenschaftsjournalistin Sibylle Anderl wunderbar anschaulich. Wir schauen bekanntlich in die Vergangenheit und sehen Sterne leuchten, die mitunter schon längst erloschen sind.

Nachthimmel war Ursprung von Mythen
Auch wenn wir heute viel mehr über unser Universum wissen, bleiben die Fragen, die wir uns bei diesem Blick in den Nachthimmel stellen: Was ist da draußen? Wie ist all das entstanden? Und was ist unsere Rolle in diesem riesengroßen, uns mit Demut erfüllenden Kosmos? Unsere Vorfahren – erklärt Anderl – haben diese Fragen zum Anlass genommen, sich Mythen und Geschichten auszudenken. Der Nachthimmel wimmelt von Helden, Gestalten, von Tieren, von Engeln, von Kristallsphären und von mythischen Gestalten.
Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren
„Heute, seit etwa 100 Jahren tatsächlich erst, haben wir aber einen ganz neuen Blick in den Himmel entwickelt", sagt Anderl: "Wenn wir heute in den Himmel sehen, dann wissen wir, dass die nebligen Flecken, die wir sehen, ferne Galaxien sind, die so ähnlich sind wie unsere Milchstraße, aber sich tatsächlich außerhalb unserer Galaxie befinden. Wir wissen, dass das Universum sich ausdehnt, und zwar immer schneller. Und wir wissen, dass es vor 13,8 Milliarden Jahren mit einem Urknall entstanden ist. All das wissen wir – und das ist das Besondere – aufgrund von empirischen Beobachtungen. Das ist tatsächlich etwas ganz Neues in der gesamten Menschheitsgeschichte, dass wir heute nicht mehr auf Geschichten und Mythen basierend den Himmel verstehen, sondern auf der Grundlage der Empirie.“
Viel entdeckt, ohne von der Erde weit weg zu kommen
Man ist in der Forschung weit gekommen, aber von der Erde nicht weit weggekommen. Der Mensch weiß viel über das Universum, obwohl er so gut wie gar nicht ins All vorgedrungen ist: „Es ist wirklich beeindruckend, dass wir als Menschen in der Lage sind, all das herauszufinden. Sie müssen sich das mal vor Augen führen: Die Beobachtungsinstrumente, die wir benutzen und die Teleskope, die wir benutzen, die befinden sich – bis auf die Voyager Sonden – alle innerhalb unseres Sonnensystems und die allermeisten sogar auf der Erdoberfläche oder im Erdorbit. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Pressefotograf und hätten aber eine Kamera, die auf dem Marktplatz in Dornbirn fest installiert ist, und sie müssen sich darauf verlassen, dass die spannenden Dinge schon irgendwie auf dem Marktplatz passieren. Denn alles andere sehen Sie ja leider nicht. Ähnlich im Kosmos: das, was uns erreicht, können wir auswerten. Aber wir müssen uns auch darauf verlassen können, dass das wirklich das ist, was uns in die Lage versetzt, den Kosmos zu verstehen.“

Wissenschaft ohne Experimente
Die Astrophysik ist eine spezielle Wissenschaft – etwa wegen der unvorstellbaren Dimensionen, um die es geht, aber auch, weil keine Experimente möglich sind. So kann man – sagt Sibylle Ander als Beispiel – nicht einfach im Labor einen Stern entwickeln, um Untersuchungen durchzuführen. Das brachte auch Skeptiker auf den Plan, die an einer realen Forschung zweifelten. Etwa Ende der 80er Jahre den kanadischen Wissenschaftstheoretiker und Wissenschaftsphilosophen Ian Hacking. Laut Ian Hacking reichen die Daten, die man hat, nicht aus, um eindeutig daraus auf dahinterliegende Phänomene zu schließen.
Astrophysiker müssen forschen wie Detektive
Sibylle Anderl sagt dazu: Dieses Problem der Unterdeterminiertheit findet man überall in der Wissenschaft. Und mit dem Argument von Ian Hacking, dass keine Experimente möglich sind, ist sie naturgemäß wenig einverstanden. Denn die Astrophysiker haben sehr gute Methoden entwickelt, um auch ohne Experimente das Wissen auf sehr zuverlässige Art zu vergrößern. Das heißt nur, sagt Anderl, dass man in der Astrophysik besonders vorsichtig forschen muss, beinahe wie ein Detektiv: „Man sammelt Hinweise, Evidenzen. Man weiß, irgendwas ist passiert und versucht, aus diesen Hinweisen eine dahinterstehende kausale Geschichte zu erschließen.“
Buchtipp: „Dunkle Materie – das große Rätsel der Kosmologie“ von Dr. Sibylle Anderl ist bei C.H. Beck erschienen.
Rätselhafte dunkle Materie
Die Dunkle Materie ist ein großes, vielleicht das größte Rätsel der Kosmologie. Wer sie zu verstehen versucht, streift fast alle Themen, die unser Kosmos bereithält: Von der Entwicklung und Dynamik der Galaxien über Galaxienhaufen bis zu den größten kosmischen Strukturen und schließlich die Zeit kurz nach dem Urknall und die Entwicklung unseres Universums im Ganzen. Anderl: „Es scheint sehr viel mehr Dunkles zu geben als das, was man leuchten sieht.“ 85 Prozent der Materie in unserem Universum existieren in dieser Form, die wir nicht direkt beobachten können und die mit den uns bekannten Materieteilchen allenfalls sehr schwach in Interaktion treten. In der Sendung „Focus“ erklärt Astrophysikerin Sibylle Anderl, was man derzeit über dieses rätselhafte Phänomen, über die dunkle Materie im All weiß. Mit drei unterschiedlichen Methoden kam man jedenfalls zum Schluss, dass es diese dunkle Materie gibt.
Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 7. Jänner 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr
Die Rolle Gottes im Universum
Beim Montagsforum in Dornbirn wurde Anderl zum Schluss auch gefragt, ob Gott im Universum eine Rolle spiele? „Man ist in der Tat so sehr mit diesen großen Skalen konfrontiert, mit dieser Unfassbarkeit des Kosmos, dass es nicht weit ist zu der Frage: Wo sind dann auch die Grenzen der Wissenschaft? Und wo führt die Frage auf unseren Platz im Kosmos nicht tatsächlich doch auf eine religiöse Dimension", antwortete Anderl.
„Ja, es ist natürlich auf eine Art naheliegend“, meint die Astrophysikerin: „Ich führe da immer ganz gerne Einstein an mit seiner kosmischen Religiosität, der wie auch viele seiner Kollegen in jener Zeit sehr, sehr stark beschrieben hat, dass schon allein die Tatsache, dass wir diese Ordnung im Kosmos sehen, dass wir den Kosmos verstehen können, dass das etwas ist, was einem eine Form von Religiosität nahelegt, die natürlich jenseits von konkreten Religionen oder Konfessionen funktioniert, die einem aber durch dieses Schaudern, durch die Demut schon ein Gefühl vermittelt, dass da vielleicht noch mehr sein könnte.“
Insofern denke sie schon, dass Religiosität und Astrophysik auf jeden Fall vereinbar seien, meint Anderl: "Denn natürlich würde ein Wissenschaftler nie behaupten, dass durch die Astrophysik alle Dimensionen und alle Aspekte des Kosmos erklärt werden können. Diese großen Fragen, die sich uns stellen, die man in der Philosophie beantworten kann, die führen eben auch in die Religion. Und dass man da eine Gottesvorstellung entwickelt, ist tatsächlich meiner Meinung nach nicht ganz abwegig.“