Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Die promovierte Philosophin war leitende Redakteurin beim Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Teil der Programmleitung des größten Philosophie-Festival Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zu philosophischen Fragen veröffentlicht, darunter ihren Beitrag zur #MeToo-Debatte „Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit“ Zuletzt erschien „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ bei Klett-Cotta.
JOHANNA RUEBEL
JOHANNA RUEBEL
„Focus“

Svenja Flaßpöhler über die moderne Empfindlichkeit

In der „Focus“-Sendung von ORF Radio Vorarlberg spricht die Autorin und Chefredakteurin des Philosophiemagazins Svenja Flaßpöhler über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren. Aufgenommen wurde der Vortrag im Rahmen der Reihe „Tangenten“ im Theater am Saumarkt in Feldkirch.

Die Autorin und Chefredakteurin des Philosophiemagazins Svenja Flaßpöhler hat zuletzt ein Buch geschrieben mit dem Titel „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren.“ Dass wir als Gesellschaft sensibler geworden sind, ist für die promovierte Philosophin eine zivilisatorische Errungenschaft, ein kultureller Fortschritt. Gerade wenn es etwa um die Anerkennung unterdrückter Gruppen geht.

Der „neue Mensch“ ist sensibel gegenüber den Anliegen von Menschen, von Gruppen, die bislang wenig oder gar nicht gehört wurden – etwa von Frauen, Menschen mit anderer Hautfarbe oder Menschen mit anderer sexueller Orientierung. Menschen schützen sich nun wechselseitig in ihrer Verletzlichkeit, werden empfänglicher für eigene und fremde Gefühle, lernen, sich in fremde Schicksale hineinzuversetzen und sich mit anderen zu solidarisieren.
Svenja Flaßpöhler sieht aber auch eine Gefahr in der immer mehr gesteigerten Sensibilität. Sie schreibt:

„Wir erleben gerade, wie diese eigentlich konstruktive Kraft der Sensibilität in Destruktivität umzuschlagen droht. Anstatt zu verbinden, trennt uns die Empfindlichkeit. Sie zersplittert Gesellschaften in Gruppen.“

Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Die promovierte Philosophin war leitende Redakteurin beim Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Teil der Programmleitung des größten Philosophie-Festival Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zu philosophischen Fragen veröffentlicht, darunter ihren Beitrag zur #MeToo-Debatte „Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit“ Zuletzt erschien „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ bei Klett-Cotta.
JOHANNA RUEBEL
Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Die promovierte Philosophin war leitende Redakteurin beim Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Teil der Programmleitung des größten Philosophie-Festival Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zu philosophischen Fragen veröffentlicht, darunter ihren Beitrag zur #MeToo-Debatte „Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit“ Zuletzt erschien „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ bei Klett-Cotta.

„Kuchen der Macht wird neu verteilt“

Nach Ansicht von Svenja Flaßpöhler wird heute der Kuchen der Macht neu verteilt. Einstige Randgruppen strömen nun auch an den Tisch und wollen was abhaben von diesem Kuchen. „Ich würde sagen, das ist auch erst mal gut so! Das Problem ist nur, dass die Debatten über diese ganzen hochsensiblen, schwierigen Themen oft gar nicht so richtig möglich sind, weil eine so hohe Empfindlichkeit, also Reizbarkeit in den Debatten vorherrscht.“

Die Journalistin und Philosophin geht in ihrem Vortrag Fragen nach wie: Was darf man noch sagen? Was darf man noch fragen? Warum gendern wir die Sprache? Ab wann ist eine Berührung eine Belästigung? Was ist noch zumutbar?

„Wir sind sehr weit fortgeschritten in der Gleichberechtigung. Aber wir finden immer noch etwas, was noch nicht in Ordnung ist, konzentrieren uns darauf und werden extrem empfindlich, wenn jemand anderer Meinung ist und das nicht als Problem anerkennt.“

Die Sensibilität könnte zum Kipppunkt werden, nämlich dort, wo die Grenzen der Verständigung liegen, wo bei aller Anstrengung es nicht möglich ist, sich wirklich einem anderen Menschen verständlich zu machen. Flaßpöhler gibt ein Beispiel aus eigener Erfahrung:

„Ich war vor einigen Jahren mal eingeladen im Berliner Literarischen Colloquium und da ging es um gendergerechte Sprache. Und ich bin Feministin. Und ich glaube, es gibt gute feministische Gründe, die gendergerechte Sprache in Frage zu stellen. Nicht weil sie unästhetisch ist, sondern aus ganz anderen Gründen, die auch was zu tun haben, damit, dass die gendergerechte Sprache wieder das Geschlecht betont, also uns wieder sozusagen einordnet nach dem, was wir alle irgendwie zwischen den Beinen haben. Und es ja vielleicht in manchen oder auch vielleicht auch sogar in den meisten Kontexten darum gar nicht gehen sollte.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 3. Dezember 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Ich denke, es gibt auf jeden Fall sehr gute Gründe, eine Debatte darüber zu führen, ob wir diese Sprache wollen oder nicht und welche Gründe dafür sprechen und welche Gründe dagegen. Und ich habe auf dieser Veranstaltung versucht, eine solche Debatte auf der Bühne anzuregen und habe einfach versucht, mal so ein paar Argumente gegen eine gendergerechte Sprache und für das generische Maskulinum ins Feld zu führen, weil ja dieses generische Maskulinum den unschätzbaren Vorteil hat, dass es geschlechtsneutral ist und alle meint. Also natürlich gibt es immer noch das Problem, dass es eben ein Maskulinum ist und dass vor unserem geistigen Auge Männer erscheinen.

(…) Ich merkte schon, dass so junge Frauen in der ersten Reihe so ganz nervös wurden und so rumrutschten und dann auch so dazwischenriefen und mich irgendwie beschimpften. Und dann irgendwann kulminierte das dann in diesem Satz:‘ Hören Sie endlich auf, Sie beleidigen uns!‘ Und damit war natürlich im Grunde die ganze Diskussion vorbei, weil natürlich will ich niemanden beleidigen, aber dieses Gefühl des beleidigt seins hat im Grunde den Versuch, mal sachlich über das Thema zu reden, eigentlich erstickt. Und diese hohe Sensibilität, diese hohe Reizbarkeit in den Debatten, das ist das Problem – nicht die Tatsache, dass sie stattfinden.“

Die Philosophin, Journalistin und Autorin Svenja Flaßpöhler sieht also eine Kehrseite der Empfindlichkeit, wenn Menschen in Debatten zu empfindlich reagieren. Andererseits rät sie genau dann, in angriffigen Debatten die Sensibilität wach zu halten – als Korrektiv und als Schutzmechanismus vor einer inneren Verhärtung.

Die Empfindsamkeit (im Gegensatz zur Empfindlichkeit) bezeichnet man in der Philosophiegeschichte als aktive Sensibilität. Ich fühle mit einem anderen mit, ich fühle mich in einen anderen Menschen ein, ich bin empathisch mit ihm. Das ist die Form von Sensibilität, die wir mit Fortschritt assoziieren. Die Tatsache, dass Menschen in der Lage sind, mit anderen Menschen mitzufühlen und dann aus diesem Mitgefühl heraus auch möglicherweise politisch aktiv werden, sich solidarisieren. MeToo ist ein Beispiel, aber auch Black Lives Matter. All diese starken sozialen Bewegungen beruhen ganz stark auf dieser Kraft der Empathie, der Kraft der Einfühlung, sagt Flaßpöhler.

Dieses Aufgehen im Anderen kann aber auch eine Art von Überidentifikation mit Opfern sein, vielleicht sogar auch eine Anmaßung, sagt Svenja Flaßpöhler.

„Wir sehen jetzt zum Beispiel, dass sich sehr viele Menschen aus Solidarität mit den Iranerinnen die Haare abschneiden, was erst mal eine Solidaritätsgeste ist, was natürlich ganz viel mit Empathie zu tun hat. Ich will das jetzt auch gar nicht diskreditieren. Das passiert auch sicher aus einem wirklich moralischen Empfinden heraus. Aber gleichzeitig kann man natürlich auch sagen ‚Ist es nicht irgendwie auch eine Anmaßung, so als wäre man jetzt auch Iranerin?‘ Also wird da überhaupt noch eine Differenz eingezogen? Es ist eine ganz, ganz schwierige Gratwanderung, die da erfolgt.“

Man kann auch aus Empathie das Falsche tun., führt Journalistin Svenja Flaßpöhler weiter aus: „Wir alle erinnern uns noch an den Beginn des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine. Wir alle waren geschockt – und sind es immer noch. Und es gab, sie werden sich sicher erinnern, laute Rufe danach den Himmel über der Ukraine zu schließen. Das war das, was Menschen, die wirklich empathisch waren, unbedingt wollten, weil sie so mitgelitten haben mit diesen Menschen, die jede Sekunde damit rechnen mussten, eine Bombe auf den Kopf zu kriegen. Aber hätte man das damals gemacht, oder würde man es jetzt machen, dann würden wir längst Teil dieses Krieges sein. Dann gäbe es längst einen dritten Weltkrieg. Das heißt, man kann aus Empathie tatsächlich das Falsche tun. Und Empathie kann Gewalt nicht nur verhindern, sondern auch Gewalt erzeugen.“