Blick vom Mirabellgarten auf die Altstadt mit Festung Hohensalzburg
ORF.at/Georg Hummer
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ORF Vorarlberg

Das Welterbe in „Focus“

Passend zum Jubiläum der Welterbekonvention haben sich die Montagsforen in Dornbirn und Ravensburg mit dem Weltkulturerbe beschäftigt. In Dornbirn sprach die Kunsthistorikerin Ruth Pröckl, in Ravensburg war Professorin Eva-Maria Seng am Wort.

Vergangene Woche wurde weltweit ein Jubiläum gefeiert: Vor 50 Jahren wurde in Paris die UNESCO-Welterbe-Konvention verabschiedet. Über den Schutz solcher speziellen Stätten hat man sich nach den enormen Zerstörungen durch den zweiten Weltkrieg Gedanken gemacht, in dem ja historische Städte mitunter zur Gänze dem Erdboden gleichgemacht wurden.

In Dornbirn sprach die Leiterin der Nationalen Koordination für UNESCO Welterbe in Österreich, die Kunsthistorikerin Ruth Pröckl zunächst einmal über jene Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich um den Schutz des Welterbes kümmert, über die UNESCO.

Ruth Pröckl
Ruth Pröckl
Ruth Pröckl ist Kunsthistorikerin mit dem Fachgebiet Architekturgeschichte.

„Oft weiß man erst dann, was man gehabt hat, wenn man es nicht mehr hat. Die Gründung der UNESCO fußt auf den Erkenntnissen der grässlichen Verluste und Zerstörungen vor allen Dingen des Zweiten Weltkriegs, wo man die Erkenntnis gewonnen hat, dass Kriege und militärische Konflikte primär in den Köpfen der Menschen entstehen und dass es daher eine Institution braucht, die durch Bildung, Wissenschaft und Kultur zu einem gegenseitigen Respekt und einem erfolgreichen Miteinander beiträgt. Das heißt, man hat buchstäblich auf den Ruinen der Gegenwart im Jahr 1945 dann die Zukunft aufgebaut in Form der UNESCO, also United Nations Educational Scientific Cultural Organization, Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur“. Sie wurde 1945 in London gegründet, hat heute 193 Mitgliedsstaaten und ihre Zentrale sitzt in Paris. Alle zwei Jahre versammeln sich alle 193 Mitgliedsstaaten zu einer Generalversammlung, wo das Arbeitsprogramm der nächsten Jahre festgelegt wird. Im Exekutivrat, das ist eine Art Parlament der UNESCO, sitzen 54 gewählte Staaten, die den Rest der Mitgliedsstaaten vertreten. Österreich ist derzeit gerade wieder mal Mitglied im Exekutivrat.“

Am 16. November 1972 wurde die Konvention beschlossen. Die erste Stätte, die man schützen wollte, waren die ägyptischen Tempelanalagen von Abu Simbel. Man schützte den nubischen Tempel vor der Überflutung, die der Bau des Assuan Staudammes mit sich gebracht hätte. Um rund 100 Millionen € wurde dieser Tempel zerlegt, zersägt und circa 64 Meter höher wieder aufgebaut, um dieses Kulturerbe für die Menschheit zu erhalten. Man sprach insofern auch vor einem Schutz vor der „Ausbreitung der Zivilisation“. Aus diesem Projekt heraus ist dann die Idee entstanden, dass es weltweit weitere Kulturerbe-Stätten geben muss, deren Erhaltung für die ganze Menschheit bedeutend ist. Derzeit sind wir bei 1154 Welterbestätten in ein 167 von 194 Vertragsstaaten. Es hat nicht jeder Vertragsstaat eine Welterbestätte. Diese verpflichten sich einfach, die Kulturerbestätten der anderen zu respektieren, zu schützen und gegebenenfalls zu unterstützen.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 26. November 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Österreich hat das internationale Abkommen 1992 ratifiziert – 1993 trat es in Kraft. Seither wurden in Österreich zwölf Welterbestätten eingetragen. In Vorarlberg gibt es keine Welterbestätte – sehr wohl aber in unserer nahen Umgebung. Etwa der Stiftsbezirk in St. Gallen, die Klosterinsel Reichenau – oder wie Universitätsprofessorin Eva-Maria Seng beim Montagsforum in Ravensburg ausführte – die prähistorischen Pfahlbauten am Bodensee.

2011 reichte die Schweiz zu den Pfahlbauten einen Antrag ein. Dabei ging es um 11 Stätten in insgesamt sechs Ländern. Auch fünf Pfahlbauten in Österreich – konkret im Attersee, Mondsee und im Keutschacher See – zählen zu dieser Welterbestätte. Die Serie der Bauten ermöglichen einen außerordentlichen Einblick in die Entstehung der Siedlungsformen der prähistorischen Gemeinschaften über einen Zeitraum von nahezu fünf Jahrtausenden.

Aus gewissen Teilen der Erde wurde und wird immer häufiger Kritik laut: Sehr viele Weltkulturerbestätten gibt es nämlich im – wenn man so will – „guten alten Europa“.

Ruth Pröckl sagt: „Fast 50 Prozent der Welterbestätten sind in Europa, ein knappes Viertel immerhin noch in Asien. Und der Rest verteilt sich dann auf Lateinamerika, Afrika und die arabischen Staaten. Das hat in den letzten Jahren doch zu einigen Diskussionen geführt, speziell in Afrika, wo man sagt: ja, das ganze Konzept des Welterbes ist so europäisch geprägt, wo passen wir da rein? Ihr produziert eine Welterbestätten nach der anderen und wir hinken da hinterher. Einerseits, weil die Kriterien und die Bewertung der Stätten durchaus europalastig sind, andererseits muss man sich Welterbe-Nominierungen heute auch leisten können. Das sind extrem aufwendige und auch teure Prozesse.“

Professorin Eva-Maria Seng weist auf das gleiche Problem, auf den Eurozentrismus, hin: Konkret gabs etwa Kritik wie „Zu viel Gotik“, „Zu viel Christentum“. Die Kritik betraf vor allem die Aufnahmekriterien. Die ersten Bestrebungen für einen breiteren Kulturbegriff gab es in den 80er Jahren.

Eve-Maria Seng ist Professorin für Materielles und Immaterielles Kulturerbe an der Universität Paderborn und Leiterin der Landesstelle Immaterielles Kulturerbe Nordrhein-Westfalen sowie u.a. Mitglied der EU-Jury für das Europäische Kulturerbesiegel. Sie forscht insbesondere zur Genese und Rezeption der UNESCO-Konvention.
foto: rutenburges 2022
Eva-Maria Seng ist Professorin für Materielles und Immaterielles Kulturerbe an der Universität Paderborn und Leiterin der Landesstelle Immaterielles Kulturerbe Nordrhein-Westfalen sowie u.a. Mitglied der EU-Jury für das Europäische Kulturerbesiegel. Sie forscht insbesondere zur Genese und Rezeption der UNESCO-Konvention.

1993 wurde auch eine Strategie erarbeitet für eine globale, ausbalancierte, repräsentative und glaubwürdige Welterbeliste.
Ein Jahr später wurde wegen dieser Einwände auch das Kriterium der Authentizität, also dass es keine Rekonstruktionen sein dürfen, neu formuliert. Insbesondere weil Kritik von Staaten laut wurde, deren Bauten aus Holz immer wieder neu errichtet wurden – etwa in Asien, aber auch in Skandinavien, oder Kanada.

Eva-Maria Seng: „Japan nannte zum Beispiel seinen wichtigsten hinduistischen Tempel, für den sie nie einen Antrag gestellt haben. Aber dieser Tempel wird seit über tausend Jahren alle 20 Jahre auf die gleiche Art und Weise neu hergestellt – insbesondere durch Mönche, die auch Handwerker sind. Dieser Tempel ist sicher sehr viel authentischer als jedes abendländische Gebäude.“ Gemeint ist der Schrein Ise-Jingu auf der Ise-Halbinsel. Er wird alle 20 Jahre abgerissen und dann aus Zypressenholz identisch neu errichtet.

Als Welterbestätte hat man auch Verpflichtungen! Es geht um Erfassung, Schutz und Erhaltung in Bestand und Wertigkeit und um die Weitergabe an die künftigen Generationen, also um den eigentlichen Erbe-Gedanken.

Ruth Pröckl: „Es soll vor allen Dingen für die Menschen vor Ort sein, damit die mal wissen, was sie da eigentlich haben und damit sie selber in der Lage sind, das dann weiter zu transportieren und auch das Erbe anderer zu schätzen.“

Wie problematisch die Idee ist, eine Welterbestätte touristisch zu vermarkten, sieht man etwa in Hallstadt, das seither von Gästen aus China nur so belagert wird.
Eva-Maria Seng von der Universität Paderborn sagt aber auch, ohne Tourismus sei es bei vielen Stätten schwierig, sie auch zu erhalten, und auch die Relevanz zu vermitteln, warum man es erhalten soll. Da brauche es den Tourismus.

Eine Umfrage, die sie gemacht hat, zeigte, dass die Zahlen nach der Eintragung steil nach oben gehen. Bei den meisten gehen sie danach aber auch wieder runter. Im Grunde sind die die Profiteure, die an den guten Verkehrsinfrastruktur- Routen liegen. Seng nennt den Kölner Dom, der 20.000 Besucher am Tag verzeichnet. Seng sagt aber auch, dass diese Euphorie bei einem derartigen Massenansturm kippen und das Leben in einer Stadt (Seng nennt Salzburg als Beispiel) gar unerträglich machen kann.
Venedig wäre wegen des überbordenden Touristenstroms beinahe auf die rote Liste gekommen. Es braucht also Schutzmaßnahmen, sagt Professorin Eva-Maria Seng.

Heute haben wir es mit einem wahren Kult des historischen Erbes zu tun. Fast 200 Staaten haben ja inzwischen das Übereinkommen ratifiziert, so viele wie keine andere UNESCO Konvention. Mittlerweile gibt es Gegenmaßnahmen gegen diese Flut mit ihrer Gefahr einer inflationären Entwertung. So sollen jährlich höchstens 45 Nominierungen zugelassen werden und bereits stark repräsentierte Staaten wollte man auch beschränken.

Es drohen auch einige Welterbestätten wieder von der Liste zu verschwinden. In Österreich zwei: Wien und der Neusiedlersee. Wobei das beim Neusiedlersee mit dem Verschwinden wortwörtlich zu verstehen ist. Wegen des Bauprojekts am Heumarkt droht Wien der Status aberkannt zu werden, ähnlich wie das etwa 2009 in Dresden (Bau einer Autobrücke über Elbe) und zuletzt in Liverpool wegen des Baus eines Fußballstadions der Fall war.

Das Ziel der UNESCO, besondere Stätten zu schützen, wurde manchmal regelrecht torpediert. Etwa als der IS, der islamische Staat, 2015 in der antiken syrischen Stadt Palmyra den Tempel zerstört hat. Ein wenig anders verhielt es sich im März 2001 als die Taliban die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt in Afghanistan, im Tal von Bamiyan sprengten. Da waren die Statuen nämlich noch gar nicht Welterbestätte, und somit auch nicht auf der Roten Liste der gefährdeten Denkmäler – sie wurden deswegen rasch nachträglich ernannt.

Welterbestätten ziehen jedenfalls das Interesse von Terroristen an, sagt Professorin Eva-Maria Seng. Sie nennt etwa auch Grabmäler in Mali. Es sei zudem fraglich, sagt Seng, ob hier nicht eine Rekonstruktion erlaubt werden sollte – um ein Denkmal zu setzen.

Seng: „Man könnte natürlich auch virtuell oder digital das Ganze rekonstruieren. Da wird man nachdenklich, wenn man das dann sieht, wenn fast alles zerstört ist, ob es dann nicht doch zulässig ist, Rekonstruktionen zu machen, vielleicht als Reflexions-Marker. Also ich bin da vorsichtig geworden immer zu sagen: was weg ist, ist weg. Es ist natürlich nie mehr das Original, aber trotzdem.“

Derzeit versucht etwa der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Hafenstadt Odessa zu schützen – er hatte Mitte Oktober die Aufnahme in die Welterbeliste beantragt. Ruth Pröckl ist, was das Schutzziel betrifft, skeptisch: „Nur weil was Welterbe ist, ist es noch nicht automatisch vor Angriffen von außen geschützt. Theoretisch ja, weil der Artikel 6 Welterbe-Konvention verpflichtet die Staaten das Welterbe anderer zu respektieren und nicht zu schädigen. Es gibt aber in der Welterbe-Konvention keine Sanktionen. Was hier greift, ist die Haager Konvention.“

Nach dem letzten großen Krieg, dem zweiten Weltkrieg wollte man also besondere Bauten und Plätze auf dieser Welt schützen – als erstes die Tempel von Abu Simbel vor einer Überflutung durch den Stausee. 50 Jahre später gibt es wieder Krieg und Überflutungen werden durch die Klimakrise wahrscheinlicher…