Martin Grassberger
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„Focus“

Martin Grassberger: „Man ist, was man isst.“

In Focus spricht Pathologe und Humanbiologe Professor Dr. Martin Grassberger darüber, wie wichtig unsere Ernährung für unsere Gesundheit ist und wie wir insofern gesünder leben können. Ausschlaggebend dafür ist die Gewinnung gesunder Lebensmittel durch eine regenerative Landwirtschaft, die auf eine gute Beschaffenheit des Bodens achtet.

Arzt und Biologe Martin Grassberger verweist in seinem Vortrag „Mikrobiomforschung, Ernährungsmedizin und deren Bedeutung für die Landwirtschaft“, der vom ORF Vorarlberg beim Montagsforum im Kulturhaus in Dornbirn aufgenommen wurde, auf die neusten Erkenntnisse der Ernährungsmedizin und geht insbesondere auf die revolutionären Einsichten Mikrobiomforschung ein.

Das Mikrobiom besiedelt uns

Das sogenannte „Mikrobiom“ setzt sich aus jenen Billionen von Bakterien und Pilzen zusammen, die unseren Körper besiedeln – insbesondere unseren Darm. Dieses Mikrobiom ist mitentscheidend für unsere Gesundheit. So wissen wir ja auch, dass es in Haushalten, wo viele Bakterien oder deren Bestandteile in der Luft sind, weniger Allergien gibt.

Dr. Grassberger geht auch einer Frage nach die sich wohl beim Kauf von Lebensmitteln viele stellen: Warum ist bio wirklich besser? Weil diese Nahrungsmittel die sekundären Pflanzenstoffe, Spurenelemente, Mineralstoffe, Vitamine enthalten. Der Arzt und Biologe sieht jedenfalls einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Anstieg chronischer Krankheiten, der Zerstörung der Natur und der Sackgasse, in die uns die industrielle Landwirtschaft geführt hat.

Martin Grassberger
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Martin Grassberger studierte Medizin sowie Biologie in Wien. Seit 2016 ist er Universitätsprofessor für den Lehrstuhl Gerichtsmedizin an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Zudem lehrt er an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Seine Fächer sind Human- und Gesundheitsökologie, Evolutionäre Medizin, Forensische Medizin und Pathologie.

Zur Mikrobiomforschung:

Das Mikrobiom ist erheblich an der Entwicklung und der Reifung unseres Immunsystems beteiligt. Diese Pilze und Bakterien, die Diversität in den Därmen, ist ausschlaggebend für ein gutes, langes, gesundes Leben oder für ein schlechtes Leben in Krankheit. Grassberger zeigt auf, dass es viele Faktoren gibt, die entscheidend Einfluss auf das Mikrobiom haben – positiv wie negativ: die Nahrungsmittel, Medikamente, aber auch ganz zu Beginn unseres Lebens das Stillen.

Mikrobiom und Lebenserwartung

„Wir Menschen bekommen dieses Mikrobiom bei der Geburt mit. Der Geburtsmodus spielt eine Rolle. Die Frage, ob man gestillt wird, spielt eine Rolle. Die Frage, ob man frühzeitig Antibiotika bekommt, spielt eine Rolle. Man stellte bald fest, dass bei Menschen die besonders gesund, und besonders alt wurden, das Mikrobiom mitentscheidend war. Man hat festgestellt, dass ein Prädiktor für Langlebigkeit ein besonders individuelles und hoch diverses Mikrobiom war. Man konnte sogar vorhersagen, dass der Mensch vermutlich krank wird und eher geringere Lebenserwartung hat, wenn die Mikrobiom-Diversität abnimmt.“

Wir gehören uns nur zur Hälfte

„Nicht einmal 50 Prozent Ihres Körpers, wenn Sie sich in den Spiegel schauen, gehört Ihnen, sondern wird besiedelt und belagert. Und trotzdem sind die meisten nicht krank und die meisten können damit leben. Warum? Weil das Bakterien sind, die uns primär nicht schädigen, vor allem, wenn der Wirt entsprechend auch Abwehrkräfte besitzt."

"Wir Menschen haben circa 20.000 bis 23.000 Gene entdeckt und beschrieben. Die sind vererbt. Die sind fix. Und schlussendlich gibt es natürlich die Epigenetik. Aber die besiedelten Bakterien, die haben circa. mindestens zwei Millionen verschiedene Gene. Wenn man größere Stichproben anstellt, hat man schon 45 Millionen unterschiedliche bakterielle Gene gefunden und wahrscheinlich sind es über 200 Millionen bakterielle Gene. Und das ist insofern von Bedeutung, weil die Gene ja sozusagen die Blaupause sind für Stoffwechsel-Möglichkeiten.“

Man ist, was man isst – ein existenzieller Gedanke

Zu Beginn hält Professor Grassberger auch fest, dass der Spruch „Man ist, was man isst“ durchaus wörtlich zu verstehen ist. Es ist ein existenzieller Gedanke: „Wir sind während unseres menschlichen Daseins – für diese kurze Zeit – nicht Boden. Davor waren wir Boden und danach werden wir wieder Boden sein. Alle Elemente, die den Körper aufbauen – oder ein Großteil davon – kommen aus Pflanzen, die im Boden gewachsen sind. Man ist, was man isst. Das ist eine philosophische Einsicht gewesen und wir kommen jetzt auch in der Medizin drauf, dass nichts wichtiger ist als das, aus was wir bestehen bzw. zusammengesetzt sind. Und das ist Folge der Ernährung.“

Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben" bei ORF Radio Vorarlberg, 12. November 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Buchtipp:

Das unsichtbare Netz des Lebens. Wie Mikrobiom, Umwelt und Ernährung unsere Gesundheit bestimmen, Residenz, 2021. Martin Grassbergers Buch „Das leise Sterben“ wurde Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik.