Vivian Dittmar
Axel Hebenstreit
Axel Hebenstreit
„Focus“

Vivian Dittmar: Echten Wohlstand leben

In der Sendung „Focus“ geht es diesmal um die Definition von Wohlstand. Die Autorin Vivian Dittmar ist auch Gründerin der „Be the Change-Stiftung für kulturellen Wandel“. In ihrem bei den Goldegger Dialogen gehaltenen Vortrag schlägt sie neue Dimensionen für einen echten Wohlstand vor, die auf inneren Reichtum abzielen.

Ein Leben in Wohlstand – das wünschen wir uns doch alle. Aber was ist Wohlstand? In unserer Gesellschaft definieren wir Wohlstand fast ausschließlich materiell. Konsum aktiviert zwar unser Belohnungssystem, aber wirklich reich macht er uns nicht. Die Autorin mehrerer Ratgeber und Gründerin der „Be the Change-Stiftung für kulturellen Wandel“ Vivian Dittmar schlägt daher neue Dimensionen für einen echten Wohlstand vor, die auf inneren Reichtum abzielen. Mit ihrem Vortrag will sie uns zeigen, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Ein Weckruf für die westliche Wohlstandsgesellschaft

Vivian Dittmar skizziert die Grundpfeiler eines Lebens, das in einer völlig neuen Weise reich ist: reich an Zeit, erfüllenden Beziehungen, Kreativität, Verbundenheit mit den Mysterien des Lebens und der unbändigen Schönheit der Natur. Sie zeigt, dass ein gutes Leben nicht im Widerspruch zu einem notwendigen ökosozialen Wandel der Gesellschaft steht, sondern im Gegenteil dadurch erst ermöglicht wird. Ihr Vortrag ist ein Weckruf für unserer westliche Wohlstandsgesellschaft.

Vivian Dittmar
Axel Hebenstreit
Vivian Dittmar ist Autorin mehrerer Ratgeber und Gründerin der „Be the Change-Stiftung für kulturellen Wandel“. Sie engagiert sich seit zwei Jahrzehnten für eine ganzheitliche Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein.

Viele Kulturen erlebet

Vivian Dittmar aus Süddeutschland hat ihre Kindheit und Jugend auf drei Kontinenten erlebt. Bereits als Kind faszinierte sie die große Kluft zwischen dem materiellen Reichtum der Menschen in Europa und den USA und deren innerem Zustand. Umgekehrt erlebte sie in Asien Menschen, die materiell wenig hatten und auf eine andere, schwer greifbare, Art reich waren. Vivian Dittmar möchte aber weder Armut idealisieren noch traditionelle Kulturen romantisieren.

Das Streben nach Status kann krank machen

Derzeit wird unser Leben oft geprägt von der Angst, zu wenig Status erlangt zu haben – von einer Ungleichheit, die jedoch krank macht, sagt Dittmar. Die Menschen in den Industrienationen leiden oft unter einer Innere Armut. Vivian Dittmar meint damit etwa die Einsamkeit, die in den reichen Nationen zunimmt, das ständige Erleben von Stress und Hetze, ständig unter Druck zu sein aber auch die Süchte.

Die Referentin streicht dabei die Konsumsucht hervor. Sehr früh kehrte sie selbst der westlichen Welt den Rücken, sie verbrachte Jahre in Indien und Indonesien und bereiste Mittel- und Südamerika.

Echter Gewinn statt Verzicht

Vivian Dittmar will den Focus auf den Gewinn richten und nicht auf den Verzicht – auf das, was wir uns erschließen können: Ein Lebenswandel kann zu innerem Wohlstand führen. Ein wirklich gutes Leben steht ihrer Ansicht nach nicht im Widerspruch zu einem nachhaltigem Lebensstil, sondern wird dadurch erst ermöglicht.

Daher schlägt sie etwas Neues vor, damit wir anfangen können unsere Gesellschaft, unsere Unternehmen, unsere Organisationen und Institutionen so umzubauen, dass sie echten Wohlstand maximieren – und nicht das Bruttoinlandsprodukt. Es sind fünf neue, immaterielle Formen von Wohlstand, die der inneren Armut etwas entgegensetzen sollen.

Zeitwohlstand

Für Vivian Dittmar wurde in Bali deutlich was für ein Luxus es ist, ausreichend Zeit zu haben. Das eigenartige ist dabei: Wir haben in unserer westlichen Welt so viele technische Mittel – eine Waschmaschine oder einen Computer bespielweise – die uns helfen können Zeit einzusparen, aber je mehr solcher Mittel, desto weniger Zeit scheinen wir zu haben. Zu diesem Schluss kam bereits der deutsch-englische Ökonom Ernst-Friedrich Schumacher in seinem Bestseller „Small ist beautiful – Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ vor rund 50 Jahren.

Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben" bei ORF Radio Vorarlberg, 5. November 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Derzeit rennen wir immer schneller, um mit den Maschinen mitzuhalten und je schneller die Maschinen werden, desto schneller müssen wir rennen, stellt Vivian Dittmar fest. Wir müssen also entkoppeln, sagt sie. Die Frage ist derzeit nur mehr, wie schnell es werden muss, damit die Menschen sich sagen “Da mach ich nicht mehr mit!“. Dittmar rät, sich Freiräume zu schaffen, den Terminkalender nicht vollzustopfen, damit auch wieder mehr geschehen und passieren kann, wie bei einem Urlaub, in dem nicht alles vorgeplant ist.

Beziehungswohlstand

Wenn man sich Freiräume schafft, bleibt auch mehr Zeit für Beziehungen. Es geht laut Dittmar darum, eingebunden zu sein in ein Beziehungsnetzwerk, das uns Halt gibt, wo wir wissen, wir sind wirklich füreinander da, das sind nicht die Facebook-“Freunde“ und die Instagram-Likes. Bei wem kann ich einfach ich selbst sein und muss mich nicht verstellen, muss nicht so tun, als wäre ich klüger, gebildeter, kultivierter, reicher, sexyer, etc.?

Ihrer Ansicht nach ist eine Ursache für die Beziehungsarmut der Drang nach Unabhängigkeit. Echte Beziehung, die uns trägt und Halt gibt, entsteht – sagt Dittmar – wenn wir den Mut haben, einander zu brauchen und wirklich füreinander da sind.

Kreativitätswohlstand

Kreativitätswohlstand bedeutet für Vivian Dittmar, dass man seine Gaben entfaltet und der Welt schenkt. Das bedeutet wiederum, dass man sehr viel Lebenszeit im Flow-Zustand verbringt, wo man sich völlig in einer Tätigkeit verliert und Raum und Zeit vergisst.

Vivian Dittmars Buch „Echter Wohlstand – Warum sich die Investition in inneren Reichtum lohnt – Ein Plädoyer für neue Werte“ ist im Kailash-Verlag erschienen.

Massenmedien zeigen uns die weltbesten Sängerinnen und Sänger, die weltbesten Künstlerinnen und Künstler. Das ist aber kein Ersatz dafür, selbst aktiv zu sein. Es geht laut Dittmar darum, was in einem geschieht, wenn man selbst singt, wenn man selbst malt oder selbst tanzt – wenn man seinen Ausdruck in die Welt bringt. Das macht das Leben reich und schön. Viel zu oft werde das aber nicht gemacht, wenn man damit möglicherweise kein Geld verdienen kann. Talente könne man nicht beziffern.

Spiritualitätswohlstand

Diesen durfte Vivian Dittmar in vielen Kulturen als ganz selbstverständlich erleben, als Teil des Alltags. Nicht so ausgelagert im Sinne von „Am Sonntag geht man in die Kirche“. Gleichzeitig erlebte sie, wie die Menschen regelmäßig zusammenkamen, um das zu zelebrieren und so das Leben zu feiern. Diese Form von Nahrung fehlt uns leider in Europa sagt Dittmar.

Ein Zugang für sie selbst ist das Erleben von Schönheit – etwa die Schönheit der Natur, oder die Schönheit der Musik oder eines Bildes. Das berührt uns, sagt Vivian Dittmar, und öffnet uns letztendlich für Liebe, für die Liebe zum Leben.

Der ökologische Wohlstand

Der fünfte und letzte Wohlstand im Modell von Vivian Dittmar ist der Ökologische Wohlstand – darin ist ihrer Ansicht nach alles eingebettet. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage „Besitz“ oder „Beziehung“ – zur Natur und all ihren Ressourcen, sagt Dittmar: Ob man sich an der Natur bedient und sie ausbeutet oder ob man lernt, wieder in Kontakt zur Natur zu gehen.

Vivian Dittmar regt an, auszusteigen aus der Illusion, dass ein Status uns ein gutes Leben verschafft und sie sagt: „Vieles rechnet sich nicht, aber es lohnt sich…und vieles rechnet sich, aber es lohnt sich nicht.“