barbara zehnpfennig
Florian Lechner
Florian Lechner
„Focus“

Der Hass auf die Welt und den Menschen

Die „Focus“-Sendung steht noch ganz unter dem Eindruck des 25. Philosophicums, das am vergangenen Sonntag zu Ende gegangen ist. Die emeritierte Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte, Barbara Zehnpfennig, von der Universität Passau wollte aufzeigen, wie ideologisches Denken den Blick verzerrt.

Zehnpfennig warf zu Beginn gleich eine Grundfrage auf: Kann es eigentlich auch einen guten Hass geben? Gibt es einen Hass, der gut ist, weil er gerecht ist? Darf man hassen, wenn es um einer guten Sache willen ist?

Univ.Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig ist emeritierte Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau, Philosophin und Politikwissenschaftlerin.

Barbara Zehnpfennig sprach es so an: Menschen, die die Welt radikal verändern wollen, werden diese Frage wahrscheinlich mit Ja beantworten. Es geht um ein hehres Ziel, um die Beseitigung tiefgehender Missstände und die Energie, das anzugehen, speist sich nicht zuletzt aus dem Hass auf das Bestehende.

Das, was ist, ist grundlegend falsch. Es raubt den Menschen die Möglichkeit, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Und insofern, so glauben sie, darf man hassen. Ja, man muss hassen, um die Kraft zur Überwindung des Übels zu gewinnen. An drei Ideologien, nämlich dem Marxismus, der NS-Ideologie und dem Islamismus, soll untersucht werden, wie sich hier das Ziel der Menschheitserlösung mit der Triebkraft Hass verbindet. Als Protagonisten der drei Ideologien sollen Marx, Hitler und Sayyid Qutb (der maßgebende Theoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaft) präsentiert werden.

Aus Sicht von Politikwissenschafterin Barbara Zehnpfennig war der Hass immer der perfekte Motor für politische Aktion. Wer sich schnell und effektiv politisch durchsetzen will, hat dazu die besten Chancen, wenn er in den Menschen Hass züchtet, die seinen Plänen Rückhalt geben sollen. Hassprediger können Massen in Bewegung setzen. Propagandistisch geschürte Hass kann Kriege entfesseln oder in Gang halten. Das erleben wir gegenwärtig in Bezug auf Putins Russland.

Man erkennt sofort die Nähe des ideologischen Denkens zu Verschwörungstheorien. Auch ihre Vertreter glauben, den großen Zusammenhang erkannt zu haben, der den anderen Menschen verborgen geblieben ist.

Zehnpfennig sieht in allen drei Theorien, in allen drei Schriften Gemeinsamkeiten: Die positive Utopie, die doch eigentlich das Ziel der theoretischen Betrachtung und in der Folge auch der revolutionären Umgestaltung der Verhältnisse sein soll, wird erstaunlich kurz und vage dargestellt. „Ist der Hass, der sich gegen das Bestehende richtet, vielleicht doch die dominante Triebkraft gegenüber der vorgeblichen Liebe, die eine glückliche Zukunft für die Menschheit entwerfen lässt?“ fragt Barbara Zehnpfennig letztendlich nur rhetorisch.

Wie man sieht, ist in diesen Ideologien der Hass auf das Bestehende die viel stärkere Triebkraft als eine vermeintliche Menschenliebe, um derentwillen die Ideologen den Kampf aufnehmen.

Vorgefundene Wirklichkeit wird abgelehnt

Beim ideologischen Denken wird die vorgefundene Wirklichkeit in Gänze und total abgelehnt. Nur ein radikaler Bruch könne das Gegebene beseitigen. Nun scheint eine totale Verwerfung der Welt, wie wir sie kennen, schon als solche ungerecht zu sein, sagt die Politologin. Denn das absolut Böse, das absolut Schlechte, kann es zwar als gedanklichen Maßstab geben, Ihres Erachtens aber nicht als Erscheinung in der Realität. Kein Mensch ist absolut böse, keine Gegebenheiten sind absolut schlecht. Immer wird man Ambivalenzen finden, immer wird man differenzieren müssen, wenn man Mensch und Welt richtig einschätzen will. Urteilt man hingegen absolut, wird man dem Gegenstand seines Urteils nicht gerecht. Man hat vielmehr sich selbst und seine Voreingenommenheiten zum Maßstab gemacht und versucht, ihnen Mensch und Welt zu unterwerfen.

Dass ein solches Vorgehen dem Gegenstand Gewalt antut, zeigt sich an den dargestellten Ideologien sehr deutlich. An dem, was ihnen das Zentrum der Welt zu sein scheint, messen die Ideologen die Wirklichkeit und lehnen sie grundsätzlich ab.

zehnpfennig
florian lechner voels
Zehnpfennigs Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind die antike Philosophie, amerikanisches Verfassungsdenken, Totalitarismustheorie und speziell der Nationalsozialismus in theoretischer und ideengeschichtlicher Perspektive. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift für Politik, bis 2015 war Zehnpfennig langjährige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens.

Das Schlimme ist, dass die Destruktivität, die dem Hass immer schon innewohnt, bei den Ideologien menschheitliche Dimensionen annehmen kann, sagt Barbara Zehnpfennig. Das hat sich geschichtlich erwiesen, denn der Hass auf die Verhältnisse, die eine revolutionäre Änderung herbeisehnen lässt, äußert sich konkret regelmäßig in der Vernichtung bestimmter Menschengruppen, die man für alles verantwortlich macht. Konsequent definiert der Hass Kollektive – die Kapitalisten, die Juden, die Ungläubigen – in denen man die Übel lokalisiert, gegen die man antreten will. Wer und wie Menschen als Individuen sind, interessiert Ideologen nicht. Einzig wichtig ist ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv. Als solche fallen sie der Vernichtung anheim. Ihre Individualität zählt nicht. Das hat viele Millionen Menschenleben gekostet. Und ein Ende ist nicht absehbar.

Ob man sich nun auf das Geschichts-Gesetz (Marx), die Natur (Hitler) oder Gott (Qutb) beruft, wenn man dem Menschen sein künftiges „Heil“ verkündet, immer wird das, was für den Menschen gut sein soll, diktatorisch festgelegt. Der Diktator ist aber dadurch gekennzeichnet, dass er den anderen gewaltsam seinen Willen aufzwingt. Denen, die sich widersetzen, ist sein Hass gewiss, und die anderen liebt er ebenfalls nicht, sondern er benutzt sie.

Mensch wird nach eigenem Bild entworfen

Das Fazit von Frau Professor Zehnpfennig: Ideologen handeln nur vermeintlich aus Menschenliebe. Denn der Mensch wird nach eigenem Bild entworfen. Zudem werden für das angestrebte Ziel Menschen, die dem Ideal nicht entsprechen, umgebracht. Liebe macht aber gerade nicht sich selbst zum Maß. Gut kann Hass also wohl in keinem Fall sein. Auch dann nicht, wenn er sich in das Gewand des Gerechten kleidet, der leider von den schlechten Verhältnissen genötigt wird, so lange zu hassen, bis er das Gute herbeigemordet hat.

Ideologisches Denken ist also geprägt vom Hass auf die bestehenden Verhältnisse. Im Wunsch nach radikaler Veränderung hat die Liebe zu den Menschen keinen Platz.