Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Rosa ist auch Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt und Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Time & Society“. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 2016 den Tractatus- Preis in Lech, den Erich-Fromm-Preis und den Paul Watzlawick .
Sein Vortrag mit dem Titel „Die Weltbeziehung zu ändern ist die tiefste Revolution“ wurde bei den vergangenen Goldegger Dialogen aufgenommen.

Keine oberflächliche Änderung
Viele sprechen je derzeit von der großen Tansformation, die notwendig geworden ist. Hartmut Rosa hinterfragt das: Was genau soll sich denn da eigentlich ändern? Sogar vieles in der Öko-Bewegung sei eigentlich auf den Erhalt ausgerichtet, sagt Rosa. Wobei es zwei Arten gibt: Zum einen die Erhaltung der Ökosysteme, also der Natur, und zum anderen die Erhaltung der Lebensform. Vieles davon lebt eigentlich von der Idee, dass wir „grüner“ werden müssen – „wir machen das gleiche, aber jetzt machen es eben mit Solarzellen statt mit Kohlenstoff“, führt Hartmut Rosa als Beispiel an. Das wird seiner Ansicht nach aber nicht reichen.
Eine Transformation dürfe eben keine oberflächliche Änderung durch den Einsatz anderer Technologien sein, warnt Harmut Rosa. Es geht aber auch nicht nur um neues Denken, um ein neues Weltbild oder einen neuen Ideologie. Die Seiensweise, die Existenzform als Ganze – eben die „Weltbeziehung“ müsse sich ändern, sagt Soziologe Hartmut Rosa – und dafür gebe es auch eine große Sehnsucht.
„Da ist was“
Weltbeziehung – das klingt zunächst mal nach einem sperrigen Begriff. Der Ursprungsfunke des Bewusstseins und der Wahrnehmung ist das Wahrnehmen, dass etwas da ist: „Da ist was“. Es ist laut Rosa diese Wahrnehmung „Da ist was“, wie wir sie etwa nach dem Aufwachen aus dem Tiefschlaf oder einer Narkose haben. Die Grundform ist kein Gefühl, auch kein Weltbild, sondern ein „Bezogensein“.
Bei dieser Grundbeziehung – sagt Soziologe Hartmut Rosa – gibt es verschiedene Formen, je nachdem was man für ein Typ ist und je nachdem wie man auf das, was da ist, reagiert. Man kann dieses „Da ist was“ als anziehend, verlockend oder tragend empfinden, etwa wenn man ich in der Welt willkommen geheißen fühlt. (Attraktion) Das schafft für einen Säugling etwa eine ganz andere Grundbeziehung, als das Gefühl, das was da ist, ist gefährlich. Dann würde man diese Weltbeziehung als zurückweisend empfinden. (Repulsion) Als Drittes gibt es, dass man dem auch gleichgültig gegenüberstehen kann (Indifferenz).
Atmung und Essen
Wenn wir mit der Welt in Beziehung treten – was passiert denn da? Rosa von sieht zwei Sichtweisen der Dinge, zwei Grundformen: Die Welt kommt auf einen zu, im Sinne von „Ich weiß nicht, was mir das Leben bringen wird“ oder man geht in die Welt hinein, man versucht das Leben zu ergreifen.
Die vom Soziologen gemeinte Weltbeziehung drückt sich auch durch Dinge aus, die für den Menschen schlichtweg lebensnotwendig sind – wie das Atmen. Wir atmen die Welt ständig ein und aus, das ist die basale Art der Weltbeziehung, sagt Rosa. Atmen ist seiner Ansicht nach auch ein guter Indikator, wenn die Weltbeziehung in Probleme gerät. Da heißt es dann etwa „Ihm/ihr stockte der Atem“, oder „Da hielt sie/er die Luft an“.
Ähnlich ist es mit dem Essen und Trinken. Man kann auf etwas Appetit bekommen, oder es schlägt einem etwas auf den Magen. Insofern sieht Soziologe Hartmut Rosa auch in Essstörungen eine gestörte Weltbeziehung. „Es ist schon interessant,“, – sagt Soziologe Hartmut Rosa – „dass gerade die Essstörungen in unserer modernen Gesellschaft so zuzunehmen scheinen. (…) Ich frage mich, ob wir wirklich wissen, wie wir leben sollen, wenn wir schon beim Essen durcheinanderkommen.“ Menschen sind verunsichert, was sie essen sollen. Darin kommt für Hartmut Rosa zum Ausdruck: Die Welt, die wir aufnehmen, scheint gefährlich zu werden.
Ein Beispiel, die Orthorexie: Eine Essstörung, bei der man versucht die absolute Kontrolle über das zu behalten, was man aufnimmt. Das führt dann – sagt Rosa – zu Menschen, die endlose Listen machen, was sie essen oder nicht essen wollen. Es sind Menschen, die immer ganz genau wissen wollen, was in einer Mahlzeit drin ist. Auch da kommt nach Ansicht von Hartmut Rosa Misstrauen und Kontrollzwang zum Ausdruck.
Resonanzbeziehungen
Rosa will nun Grundformen von Weltbeziehung analysieren. Seine erste These: Wir leben in einem Aggressionsverhältnis zur Welt. Wir wollen sie unter Kontrolle bringen – und das immer mit dem Ziel zu optimieren und zu maximieren. Es gibt keinen Beruf mehr, in dem es nicht um Erfolgsquoten geht, sagt Rosa.
Dabei kennen wir sehr wohl eine andere Form des in der Welt seins und der Bezugnahme. Rosa meint damit eine Resonanzbeziehung: Tiefe Ergriffenheitserfahrungen sind zwar selten, aber dass mich etwas erreicht und berührt und ich darauf „antworte“, das kommt laut Rosa sehr wohl öfter vor. Da fühlt man sich lebendig. Eine Resonanzerfahrung ist nicht vorhersehbar und ergebnisoffen.
Solche Resonanzmomente kann es nicht nur zwischen Menschen geben, sondern auch zwischen Menschen und Dingen. Soziologe Rosa nennt als Beispiel etwa einen Schreiner, der Holz bearbeitet. Es kann sie auch zur Natur oder zu Kunstgegenständen geben. „Schließlich“ – sagt Rosa – „sind wir sinnliche, körperliche Wesen, die mit der leiblichen, materiellen, physischen Welt in Resonanzen treten. (…) Es gibt diese Grundfrage: Wie stehen wir mit dem Ganzen der Welt, mit dem, was uns als Welt gegenübersteht, in Verbindung?“.
Weder aktiv noch passiv
Wir haben aber auch gegenteilige Erfahrungen. Rosa nennt sie „Wüstenerfahrungen“ die „schweigende Welt“, im Gegensatz zur antwortenden Welt der Resonanz – wenn man das Gefühl hat, dass die Welt einem feindlich gegenübersteht, etwa im Tod.
Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben" bei ORF Radio Vorarlberg, 24. September 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr
Die tiefgreifende Veränderung von der Rosa eingangs gesprochen hat, könnte seiner Ansicht nach durch Resonanz zustande kommen, durch eine andere Form des in der Welt Seins. Wobei ihm da etwas Neues vorschwebt, es geht darum weder aktiv noch passiv zu sein, sondern etwas dazwischen, in einem Zustand, in dem aktiv und passiv sein miteinander verschmelzen.
So, wie man es etwa beim Tanzen erleben kann, wenn man nicht mehr weiß, ob man führt, oder geführt wird, wenn der Tanz mit einem tanzt oder wenn Jazzmusiker beim jammen im Flow nicht mehr wahrnehmen, ob sie auf ein Instrument reagieren und einstimmen, oder ob sie den Ton angeben.
Diese Art der Änderung, vom Aktiv-Passiv-Dualismus in eine „medio-passive“ Weltbeziehung, ist für Rosa die tiefst mögliche Revolution der Weltbeziehung. Seine Hoffnung ist, dass dadurch auch eine neue Ethik entsteht und dass diese Grundform von Hören und Antworten das Aggressionsverhältnis des Menschen zur Welt ersetzen kann.