Kind und Vater arbeiten im Garten
©Halfpoint – stock.adobe.com
©Halfpoint – stock.adobe.com
„Focus“

In Beziehung kommen – wie geht das?

In der Sendung „Focus“ geht es diesmal darum, wie man gut mit sogenannten „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen in Beziehung kommen kann. Kinder- und Jugendpsychiaterin Michaela Fried hat dazu Anfang September im Feldkircher Montforthaus den Eröffnungsvortrag des 4. „Pina-Kongresses“ gehalten: „In Beziehung kommen – wie geht das Überhaupt“?

Kinderpsychiaterin Michaela Fried schildert in ihrem Vortrag anhand drastischer Beispiele, wie schwierig es mitunter ist, etwas im richtigen Moment zu sagen, die richtigen Worte zu finden, um überhaupt erst einmal in Beziehung zu kommen. Dem folgt eine fundierte Analyse, wie das in Beziehung kommen gelingen kann, welche Faktoren dabei helfen.

Sie selbst galt in der Jugend als „schwierig“

Was sogenannte „schwierige“ Kinder sind, weiß die Kinderpsychiaterin allzu gut. Von sich selbst sagte sie in der Sendung „Ansichten“ von ORF Radio Vorarlberg vor drei Jahren, sie sei ein schwieriges „renitentes“ Mädchen gewesen. Nun hat sie in ihrer Arbeit als ärztliche Leiterin des heilpädagogischen Zentrums in Rust im Burgenland täglich Kontakt mit „schwierigen“ Kindern.

Klientel nicht zimperlich

Was auf die Kinderpsychiaterin zukommt, sieht oder hört sie meist schon im Wartebereich am Gang und kann sich entsprechend ein bisschen auf den Erstkontakt einstellen. Die junge Klientel ist nicht zimperlich in der Äußerung ihrer Befindlichkeit und so kann es sein, dass Frau Dr. Fried anstelle eines freundlichen „Guten Morgen“ zur Begrüßung das berühmte Götzzitat abgewandelt in „Geh scheißen!“ hört. Auf einen derartigen Gruß antwortet sie meistens mit: „Erstens: Ich war heute schon, und zweitens Guten Morgen Frau Dr. Fried, Danke dass Sie sich Zeit nehmen wollen für mich!“.

Michaela Fried
privat
Michaela C. Fried ist Fachärztin für Kinderheilkunde, sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie arbeitet zudem als Supervisorin, Trainerin und Familienberaterin, hat die Ärztliche Leitung des Heilpädagogischen Zentrums Rust inne, sowie die stellvertretende Leitung des Psychosozialen Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Eisenstadt. Michaela Fried ist Konsiliarfachärztin in diversen Kinderwohngruppen und Landesjugendheimen. Sie arbeitete bei Missionen im Flüchtlingslager auf Lesbos und auch im Gaza-Streifen.

Erste Minuten oft entscheidend

Oft sind tatsächlich die ersten zehn Minuten entscheidend, der erste Austausch, die erste Beziehungsgeste aber auch der humorvolle Widerstand, das Paroli bieten, ohne dass das Gegenüber das Gesicht verliert, sich schämen muss, oder die Scham wenigstens noch ganz gut regulieren kann, sagt Fried. Die wichtigste Zutat, um in Beziehung zu kommen ist laut Michaela Fried die Spontanität aus der ganz persönlichen Herzenshaltung. Echte Begegnung ist ein intuitives Geschehen in einem Moment im Hier und Jetzt an einem Punkt.

Kind hält sich die Ohren zu
Pixabay
In Beziehung zu kommen ist oft nicht einfach

Gesprächsräume schaffen

In Beziehung gehen – das ist die Grundlage jeglicher Zusammenarbeit mit Menschen. Und in Beziehung kommen beginnt lange vor „echter Psychotherapie", sagt Michaela Fried – dort wo Gesprächsräume geschaffen werden. Manchmal auch in einem tatsächlichen Raum – etwa im Arztzimmer.

Kinderärztin und Kinderpsychiaterin Michaela Fried musste sich das ihre im Heilpädagogischen Zentrum in Rust erst einmal entsprechend kindertauglich einrichten, den Chefsessel und die Untersuchungsliege wegräumen und auch den großen Bildschirm, der wie eine Barriere wirkte, abbauen. So ein Raum soll Offenheit ausstrahlen, neugierig machen, aber auch von der Therapeutin/dem Therapeuten erzählen.

Übergangsraum zwischen Innen- und Außenwelt

So ein Arztzimmer kann ein sogenannter „Übergangsraum“ sein. Hier sind Therapeut und Patient einerseits von der Außenwelt abgeschnitten und doch sind sie Teil der äußeren Realität. Der psychoanalytische Begriff „Übergangsraum“ wurde vom englischen Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott geprägt. Winnicott zählt zu den bedeutendsten Wegbereitern der Kinderpsychotherapie. Mit dem Übergangsraum meinte er einen Raum, der zwischen Innenwelt und Außenwelt, also zwischen Ich und Nicht-Ich besteht. Hier kann eine Beziehung entstehen, die fantasiegetragen ist.

Mädchen mit Kuscheltier
gugelleonid – stock.adobe.com
Kuscheltiere können als „Übergangsobjekte“ dienen

Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben" bei ORF Radio Vorarlberg, 17. September 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Auch Objekte dienen zum Übergang

Es gibt aber nicht nur Übergangsräume: Donald Winnicott hat auch den Begriff der Übergangsobjekte geschaffen. Es ist meist ein materielles Objekt – etwa ein Kuscheltier – das nach Winnicott einem Kleinkind erlaubt, den Übergang von der ersten frühkindlichen Beziehung zur Mutter zu reiferen Beziehungen zu vollziehen. Zum Beispiel ein Schmusetuch, das das Baby benutzt, um sich in Abwesenheit der Mutter zu trösten. Es gehört für das Kind sowohl zur Mutter als auch zur realen Welt.

Gefühle bieten Anknüpfungspunkte

Beim in Beziehung treten spielen immer auch Gefühle mit. Die Gefühle der Klienten genauso wie die Gefühle der Therapeuten. Und Gefühle sind oft ansteckend. Diese Gefühle bieten Möglichkeiten, um in Beziehung zu kommen, sagt Stephen Mitchell in seinen Arbeiten zur relationalen Psychoanalyse. Eine Therapeutin/ein Therapeut kann die eigenen Gefühle, als ein Fenster zum tiefsten, oft abgespaltenen Affekt-Leben des Klienten nutzen.

Zuversicht und Aufmerksamkeit

Selbst in Situationen, in denen man keine Idee hat, was tun, hilft es zuversichtlich zu sein, dass etwas entstehen wird – und seinem gegenüber volle Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht hilft beim Beziehung knüpfen mit schwierigen Kindern und Jugendlichen auch folgender Rat eines direkten Kollegen von Michaela Fried, von Elterncoach Peter Jakob: „Ich will dir Grenze sein – anstatt ich will dir Grenzen setzen“. Es geht ums füreinander von Bedeutung sein, Beziehung lebendig werden lassen – leben.