Ein Intensivbett im Landeskrankenhaus Feldkirch
Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H. / Lisa Mathis
Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H. / Lisa Mathis
„Focus“

Ein Philosoph im Krankenhaus

Es klingt ungewöhnlich, ja fast schon wie der Anfang eines Witzes: Was macht ein Philosoph im Krankenhaus? Der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid spricht in der heutigen „Focus“-Sendung über seine nebenberufliche Tätigkeit in einem Spital bei Zürich.

Schmid war über zehn Jahre lang nebenberuflich in einem Schweizer Krankenhaus tätig. In seinem Vortrag „Ein Philosoph im Krankenhaus“, aufgezeichnet in der Arbeiterkammer Vorarlberg, spricht er über diese Zeit. Über diese ungewöhnliche Arbeit hat er auch ein Buch geschrieben: „Das Leben verstehen – Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers“.

Philosoph mit nötigem Weitblick

Schmid zeigt darin auf, dass ein Philosoph bei einer Arbeit im Krankenhaus mitunter an seine Grenzen stößt. Bei Dienstantritt war er eigentlich überzeugt, zu scheitern – was soll ein Philosoph in einem Krankenhaus, wo es mitunter um Leben und Tod geht, schon ausrichten können? Aber vielleicht hat ja gerade ein Philosoph den nötigen Weitblick, den es in Zeiten der Krankheit und Krisen braucht.

Schließlich muss eine aktuelle Philosophie die kleinen und großen Lebensfragen beantworten: Welche Bedeutung haben Berührungen, Gewohnheiten, Sehnsüchte, Schönes? Was ist Glück? Hat das eigene Leben, das Leben überhaupt einen Sinn? Wie lässt sich Orientierung fürs Leben finden? Wie umgehen mit Ärger, Lebenskrisen, Enttäuschungen, Schmerzen, Krankheit und Tod?

Wilhelm Schmid
Privat
Philosoph Wilhelm Schmid

Geistige Nahrung für kranke Menschen

Begonnen hat alles mit der Frage nach dem Sinn von Schmerzen. Wilhelm Schmid hatte dazu einen Text für eine Zeitung verfasst und wurde daraufhin von den Ärzten eines Krankenhauses in der Nähe von Zürich eingeladen, darüber zu referieren – und schließlich gebeten, seine Philosophie auch „umzusetzen“. Daraus entwickelte sich eine rund zehnjährige Nebentätigkeit des bekannten Philosophen.

Sendungshinweis:
„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg

Er machte die Entdeckung, wie wichtig für Menschen die bloße Tatsache eines Gesprächs über all das ist, was sie bewegt und wofür kaum irgendwo sonst Zeit zur Verfügung steht. Der Philosoph ist ein Partner für das Lebensgespräch, ein säkularer Seelsorger. Das Bedürfnis gerade auch von kranken Menschen nach geistiger Nahrung ist kein Phänomen der Moderne, damit haben sich auch die Denker in der Antike beschäftigt. Bereits Sokrates bezeichnete seine Tätigkeit lange vor dem Christentum als Seelsorge, als Hilfestellung für andere Menschen zu ihrer Sorge für sich selbst.

Leben ist geprägt von Freude und Ärger

Die Gedanken im Krankenhaus kursierten um diverse Probleme. Schmid war erstaunt, wie sehr Menschen sich an Problemen festklammerten, ja manche Probleme gar herbeiredeten, anstatt nach Lösungen zu suchen. Er stellte auch fest, dass die Menschen sehr gerne über ihr Leben erzählen. „Das ist gut so“, sagt er. Denn dadurch entstehe oft ein roter Faden im eigenen Leben und man könne unter Umständen erfahren, dass das Leben also bisher seinen Sinn hatte.

„Das Leben bietet viel“, sagt Schmid, es biete aber immer auch viele Gegensätze. Zu allem Positiven gibt es auch ein negatives Gegenstück – und das ist schwierig zu akzeptieren. Es gibt eben nicht nur Freude im Leben, sondern auch Ärger. Es gibt Gesundheit, aber auch Krankheit, Lust und Schmerz, Erfolg und Misserfolg. Man sollte dementsprechend die Erwartungshaltung an das Leben anpassen, rät Schmid. Mit dieser Polarität des Lebens lässt es sich besser leben, wenn wir von vornherein davon ausgehen.

Buchtipp: „Das Leben verstehen. Von den Erfahrungen eines philosophischen Seelsorgers“ – Wilhelm Schmid, Suhrkamp-Verlag

Den Fokus auf das Schöne richten

Bei seiner Arbeit im Krankenhaus hat Schmid gesehen, wie verzweifelt kranke und schwache Menschen oft sind. „Die Frage an die Patienten, ob es etwas Schönes in ihrem Leben gebe, wurde im Krankenhaus oft verneint“, sagt Schmid. Auf der Suche nach Linderung, nach einer verbesserten Situation, wurde aber deutlich, wie wichtig es ist, den Focus auf etwas Schönes zu richten und was alles schön sein kann. Ausnahmslos fand Schmid dann auch bei einer Tätigkeit etwas, das die Patientinnen und Patienten schön fanden – und das gab ihnen Energie.

Wenn ein Philosoph ein Buch mit dem Titel „Das Leben verstehen“ schreibt und darin anspricht, das alles seinen wichtigen Gegensatz hat, dann kommt er natürlich auch am Thema Tod nicht vorbei – gerade nicht bei einer Arbeit im Krankenhaus. „Wir verdanken dem Tod das Leben“, sagt Schmid. Das Leben gewinne seine Spannung und seine Einzigartigkeit daraus, dass es eine zeitliche Grenze habe. Wenn einem das bewusst werde, schiebe man nicht mehr auf, was man noch erleben wolle.

Lebensgespräche helfen beim Verständnis des Lebens

Ein wenig unverhofft hat der Philosoph also seine Arbeit als Seelsorger in einem Schweizer Krankenhaus begonnen und zunächst war er sich nicht sicher, ob er dort richtig am Platz sei, ob er etwas Sinnvolles für die Patientinnen und Patienten bewirken könne. Seit Fazit fällt deutlich aus: „Menschen brauchen Lebensgespräche, sie brauchen geistige Nahrung. Das hilft das Leben besser zu verstehen. Das gibt Orientierung und Energie“, sagt Schmid. Er fragt sich nunmehr, wie eigentlich die vielen Krankenhäuser ohne Philosophen auskommen.