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APA/dpa/unbekannt
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„Focus“

„Verbotenes Wissen“ im Christentum

Seit Jahrhunderten wird der Kirche vorgeworfen, dass sie den Menschen den freien Zugang zum Wissen verweigert hat. Doch das stellt einen Widerspruch dar. Darauf weist Jörg Lauster, Professor für evangelische Theologie, in der heutigen „Focus“-Sendung hin.

Das Streben nach Wissen nimmt in der Geschichte des Christentums eine widersprüchliche Rolle ein. Einerseits hat die christliche Gelehrsamkeit das Wissen im Abendland unendlich vermehrt, andererseits hat die Kirche lange empfindlich darauf geachtet, dass nicht alle Menschen alles wissen dürfen.

Lauster zeichnet in seinem Vortrag „Verbotenes Wissen“, aufgezeichnet beim Montagsforum in Dornbirn, die wichtigsten Stationen dieses ambivalenten Weges des Wissens im Christentum nach, um sich schließlich der Frage zu stellen, was wir heute von Gott und der Welt wissen dürfen und sollen und was nicht.

Zugang zu Wissen lange verweigert

Seit Jahrhunderten wirft man der Kirche vor, dass sie dem Menschen den freien Zugang zum Wissen verweigert hat. Übrigens nicht nur der Katholischen Kirche, weiß der Münchner Professor für evangelische Theologie. Lange habe das Christentum also darauf geachtet, dass nicht alle Menschen alles wissen dürfen. Das Christentum hat Wissen freilich aber nicht nur unterdrückt, sondern es gleichzeitig auch gefördert und sogar unendlich vermehrt – etwa in den vielen Klöstern mit ihren Bibliotheken.

Die Frage ist, ob sich der Zugang zum Wissen seither wirklich verbessert hat. Man könnte meinen ja: Durch das Internet scheint man endlich einen uneingeschränkten Zugang zum gesamten Wissen zu haben. Aber gerade Verschwörungsmythen im Internet tragen mitunter erstaunlich mittelalterliche Züge.

Jörg Lauster
Privat
Theologe Jörg Lauster

Verlangen nach Wissen als Trieb

Das Verlangen nach Wissen kann natürlich ein ganz intensives sein, das hat einst schon Sigmund Freud festgestellt. Er hatte Wissen als einen Trieb bezeichnet und ihn stark in Analogie zum Sexualtrieb gesehen. Wissen wäre eine Kompensation unserer sexuellen Neugier.

Professor Lauster wirft die Fragen auf, ob es auch ein nutzloses Wissen gibt, ein zu viel an Wissen, Dinge, die uns einfach nichts angehen, etc. Er sagt, es sei nicht immer klar, dass Wissen immer und unbedingt etwas Positives ist. Mitunter sei die Frage ziemlich brenzlig, ob man mit dem, was man weiß, etwas anrichtet oder etwas zum Guten bringen kann. Stichwort Whistleblower – man denke nur an Edward Snowden.

Lauster spricht von einer ambivalenten Sache. Viele Personen, die Informationen leaken, würden dies nur zur Aufwertung ihrer eigenen Wichtigkeit machen. Es ist lange her, da war Diskretion noch eine Tugend. Wenn es sich aber um Missstände handelt, dann ist es nach Ansicht von Lauster die Pflicht, diese Informationen zu teilen.

Wissen als Befriedigung der Neugier

Für Professor Jörg Lauster gibt es Dinge, die uns einfach nichts angehen. Er nennt das Beispiel von verstorbenen Prominenten. Mittlerweile hält sich auch die reißerischste Klatschpresse an das ungeschriebene Gesetz, der eigentlichen Todesursache nicht auf den Grund zu gehen. Darüber erfährt man nichts mehr. Ein solches Wissen befriedigt nur die Neugier.

Neugier ist zutiefst menschlich. Über sie wurde daher auch bereits in der Antike diskutiert. Lauster spricht von einer Klatschsucht. Sie ist an der Dechiffrierung des Bösen und/oder Intimen interessiert. Wir interessieren uns nicht für das, was unserem Nachbarn gelingt, das langweilt uns. Wir wollen wissen, was nicht klappt, was nach 22 Uhr passiert, wenn er die Rollläden herunterlässt. Es ist laut Lauster eine Gier, die nur am Schlechten interessiert ist – nach dem Prinzip: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.

Augustinus, der größte Denker der christlichen Antike, hat diese Form des Wissensdursts, die Neugierde als erster als Laster kategorisiert. Damit begann eine verhängnisvolle Geschichte von Wissensverboten. Am bekanntesten sind die erbitterten Streitereien der Kirche mit Naturwissenschaftlern wie Kopernikus oder Galileo Galilei – Stichwort: „Und sie dreht sich doch!“. Es gehört – sagt Theologe Lauster – zu den größten Niederlagen des Christentums, dass es dieses Wissen derartig vehement bekämpft hat. Die Rücknahme der Entscheidungen dazu durch Papst Johannes Paul II. bezeichnet er insofern als „spektakulär“.

Kampf um vernünftiges Wissen

Wir wissen nun etwa auch. wie die Welt wohl entstanden ist, nämlich nicht in sieben Tagen. Was Charles Darwin im 19. Jahrhundert erkannt hatte, wollte die katholische Kirche aber auch lange nicht wahrhaben. „Mittlerweile sieht man die Genesis anders“, sagt Lauster, nämlich als symbolische und dichterische Geschichte. Es ist ein Mythos.
Zu dem Umstand, dass es in den USA etwa immer noch viele fundamentalistisch eingestellt Gläubige gebe, die den Schöpfungsbericht eben nicht symbolisch sehen, sagt Lauster, dass die Welt immer verrückter werde.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 6. August 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Wissen sei eben nicht selbstverständlich, um vernünftiges Wissen muss man heutzutage kämpfen. Seit der Diskussion um Fake News wissen wir, dass es auch ein gewisses Misstrauen braucht. Es geht um Informationsbeschaffung, um eine Überprüfung der Quellen und in Folge um ein Abwägen. Lauster warnt aber: Die Digitalisierung schützt vor Doofheit nicht.

Dinge, die man nicht wissen will

Abschließend Lauster noch auf, dass es sehr wohl Dinge gibt, bei denen es vielleicht besser ist, sie nicht zu wissen, weil sie eine derartige Tragweite haben. Es sind Dinge, die man grundsätzlich ethisch diskutieren müsste. Lauster nennt als Beispiel Gesundheitsscreenings, bei denen man durch DNA-Tests vorhersehen kann, welche Krankheiten man in seinem Leben bekommen wird. Wollen wir das wirklich wissen? Wissen hat also auch seine Grenzen.