Hände und ein Smartphone
Getty Images/Westend61
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„Focus“

Wie Medien unsere Beziehungen beeinflussen

Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologe und Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch spricht in „Focus“ von ORF-Radio Vorarlberg darüber, wie Medien unsere Beziehungen beeinflusst. Medien haben unter anderem einen enormen Einfluss darauf, wie sich die Eltern-Kind-Beziehung entwickelt, so Brisch.

Wie kann man in Zeiten der Digitalisierung und ständigem Smartphone-Gebrauch Beziehungen gestalten? Wie können sich Eltern, Kinder und Jugendliche, oder Paare heute emotional sicher fühlen, wenn Medien uns besser kennen als wir uns selbst? Medien haben einen enormen Einfluss darauf, wie sich die Eltern-Kind-Beziehung entwickelt. Das zeigt der Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologe und Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg auf.

Schlaf-Apps ersetzen das Gute-Nacht-Lied der Bindungsperson, Smartphones werden zum Babysitter, Computerspiele regulieren den Stress von Jugendlichen. Kinder werden kurzerhand mit dem Handy ruhiggestellt. Das Smartphone funkt beim emotionalen Kontaktaufbau zwischen Eltern und Kindern jedenfalls kräftig dazwischen. Eine gesunde Bindung aufzubauen, wird schwieriger.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg

Eine sichere Bindung würde ein Baby aber fürs ganze Leben stärken, es macht es für die Zukunft liebes- und beziehungsfähig. Wenn ein Kind nun aber sieht, wie seine Eltern die ganze Zeit mit diesem Gerät unterwegs sind und mit diesem Gerät – und den Programmen darauf – Gefühle austauschen, passiert folgendes, sagt Brisch: Das Kind denkt sich, dass ist das, was es die ganze Zeit auch gerne hätte, nämlich einen emotionalen Austausch, den es mit diesem Gerät zu geben scheint. Das Entscheidendste was es von Natur aus machen möchte, mit einem Menschen zu interagieren, passiert zwischen Mama und diesem Gerät oder zwischen Papa und diesem Gerät – also her damit!

Eltern machen sich das zu Nutze und versuchen ihre Kinder mittels Smartphone zu beruhigen. Es geht dann laut Professor Brisch ganz schnell, dass Kinder statt der Bindungsperson das Smartphone brauchen, um sich zu trösten oder Stress zu bewältigen. Eltern suchen zum Beispiel Rat, weil sich das Kind plötzlich ohne Smartphone, ohne ein ganz bestimmtes Programm, nicht mehr wickeln lassen will. Das Kind nimmt auf die Dauer das Smartphone als Bindungsperson.

Smartphone nimmt starken Einfluss auf Entwicklung

Karl-Heinz Brisch ist Gründungsmitglied der „Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit“ und beschäftigt sich damit, was alles einen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern hat – nämlich kaum etwas so intensiv wie ein Smartphone. Kinder, die sehr viel mit einem Smartphone unterwegs sind, zeigen aber deutliche Schlafstörungen, die Gehirnaktivitäten sind verändert, die Aufmerksamkeitsspanne und- Intensität vermindert, sagt Neurologe Karl-Heinz Brisch. Selbst neuronale Netzwerke werden bei Kindern ganz anders angelegt. Bei einem Kleinkind gibt es 2000 neuronale Verknüpfungen pro Sekunde – und da ist es ganz entscheidend welchen Input das Kind in den ersten drei Jahren bekommt: was erlebt das Kind, was sieht es, was fühlt es, was riecht es, …

Das Gehirn wir in dieser Zeit vorgebildet. Auch die Fähigkeit sich emotional in andere einzufühlen, wird in dieser Zeit mitgegeben. Im Gegensatz zu einer Bindungsperson, reagiert ein Smartphone aber überhaupt nicht auf Emotionen. Laut neurologischen Handicaps, die so ein Gerät also mit sich bringt, gibt es laut Brisch also Entwicklungsschwierigkeiten durch diese Geräte.

Professor Brisch spricht ein Problem an, das vielen zwar bewusst ist, das aber dennoch in seiner Auswirkung verkannt wird: Bereits Kinder im Volksschulalter können über das Smartphone – trotz Sperren- in Kontakt mit extremen Inhalten kommen, wie Gewalt und Pornographie. Damit sind Kinder oft komplett überfordert, sie bekommen Stress, weil sie diese Bilder nicht einordnen können. Sie sind geschockt und irritiert.

Bei Jugendlichen bekommt das Smartphone dann eine andere in Sachen Bindung entscheidende Funktion: Über dieses Gerät ist man vernetzt, man gehört – mittels sozialer Medien – zu einer Gruppe dazu oder eben auch nicht, man hat Freunde oder ist ausgeschlossen. Neue Formen und Dimensionen des Mobbing sind entstanden. Auf einmal beeinflusst also so ein Gerät, beeinflussen „Likes“ in den sozialen Medien enorm das Selbstwertgefühl junger Menschen. Brisch spricht ein neues Phänomen an: „Fomo“ – Fear of Missing Out. Das ist die Angst ohne Smartphone draußen zu sein, etwas Essentielles, etwas in meiner Gruppe zu verpassen. Gerade in der Pubertät wird es laut Brisch aber immens wichtig in einer Gruppe drinnen zu sein, dabei zu sein, wo dazu zu gehören. Das Handy wird zum Bindungsgerät, die Suchtgefahr ist groß.

Smartphone verändert Beziehungsleben

Smartphones haben natürlich auch das Beziehungsleben von Erwachsenen komplett verändert. Professor-Karl-Heinz Brisch hebt zunächst das Kennenlernen durch Dating-Apps hervor. Das läuft heutzutage ganz anders ab und bringt auch neue Phänomene mit sich, etwa das „Ghosting“. So nennt man das Problem, wenn eine Person, zu der man im Netz engen emotionalen Kontakt aufgebaut hat, plötzlich – wie ein Geist – im Netz verschwindet und nicht mehr aufzufinden ist. Das ist laut Brisch für viele eine wirklich schmerzliche, beinahe traumatisierende Erfahrung. Manche brauchen wegen dieser kränkenden Verletzung therapeutische Hilfe. Als weitere neuere Phänomene nennt Psychiater Brisch das „Fremdgehen im Internet“, also erotische Chats, und auch das Thema Sexsucht/Pornographie. Einige Partnerschaften seien deswegen schon in die Brüche gegangen.

Fazit:

Ein Smartphone hat als Bindungsgerät – das hat die Pandemie gezeigt – natürlich auch sehr positive Effekte, so konnten Kontakte und Beziehungen gelebt werden. Brisch spricht aber auch die Risiken an, die bis zur – wie oben bereits genannt – schlechteren Hirnreifung und Hirnentwicklung reichen. Wenn es übers Handy eine emotionale Interaktion gibt, ist das natürlich schön. Kinder lieben aber noch mehr die live reale Rückmeldung, die sie von uns bekommen können. Die haben dann laut Professor Karl-Heinz Brisch positive Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung, auf das Immunsystem, auf die sich bildenden neuronalen Netzwerke, aber auch auf die emotionale Entwicklung. Dazu wären medienfreie Zeiten gut, einfach mal eine Auszeit vom Smartphone und vom Tablet – und zwar für alle innerhalb einer Familie, für Kinder und Eltern. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen, wie wir mit unseren Kindern umgehen und welchen Platz wir diesen Geräten einräumen, sagt Kinder- und Jugendpsychiater Brisch. Den Umgang mit Medien müssten wir den Kindern beibringen – und auch in Kindegärten und Schulen lehren. Die Geräte sind nicht „böse“, sagt Psychiater und Neurologe Brisch, wenn sie zum Problem werden, sind wir das Problem.

Karlheinz Brisch
Fotoprofi
Univ.-Prof. Karl Heinz Brisch

Zur Person:

Karl Heinz Brisch ist Univ.-Prof. an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) in Salzburg, Dr. Brisch ist Psychiater, Neurologe und Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen;

Er war Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg.
Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen.

Brisch entwickelte das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen, aber auch die Präventionsprogramme „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“ und „B.A.S.E® – Babywatching“.

Er ist Gründungsmitglied der „Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit“ und Autor vieler Fachartikel und Bücher zum Thema Bindung und Trauma sowie bindungsbasierter Psychotherapie.