Reinhard Haller
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„Focus“

Wie Hass entsteht und was er mit uns macht

Der Hass ist eine böse und unheimliche Emotion, gefährlich und zerstörerisch. Das schreibt der bekannte Gerichtsgutachter und Psychiater Dr. Reinhard Haller in seinem neuen Buch „Die dunkle Leidenschaft – Wie Hass entsteht und was er mit uns macht“.

Der Hass, oft auch als Gegenpol der Liebe bezeichnet, ist die destruktivste und bedrohlichste aller Emotionen des Menschen – und gehört doch zur unserer psychischen Grundausstattung. Er kann sich äußern in verbalen Attacken, persönlichen oder gesellschaftlichen Konflikten, am intensivsten in Verbrechen und Krieg. Heute erreicht dieses Gefühl durch Hass im Netz, Radikalisierung der Sprache, Extremismus und Fanatismus neue Dimensionen.

Gerichtspsychiater Reinhard Haller weiß natürlich, was Hass alles verursachen kann, vor allem auch welche Gewalttaten daraus resultieren. Er schöpft dabei aus der Erfahrung seiner zahllosen Gutachtergespräche mit diversen Verbrechern. Klassische Verbrechen, die aus Hass resultieren sind etwa Terroranschläge, Amokläufe und Massaker. Haller nennt diese drei Hassdelikte die „Trias des Schreckens“.

Haller geht in seinem Vortrag auch auf Probleme ein, die in Österreich enorm zugenommen haben – nämlich zum einen die Frauenmorde, zum anderen auch der Hass im Internet.

Professor Haller geht fundiert der Frage nach, was Hass eigentlich ist, wie er entsteht, welche Wesensmerkmale er hat, welche speziellen Formen es gibt, aber auch was jeder von uns gegen diese kalte und primitive Emotion tun kann, wie wir ihre Impulse beherrschen und so verhindern können, dass sich ein Klima des Hasses ausbreitet. Es geht ihm unter anderem um Empathie, um Gelassenheit und um ein Abrüsten der Sprache.

Buch „Die dunkle Leidenschaft“ – Wie Hass entsteht – Buch von Haller
Haller

Was ist Hass

Anders als die Aggression, die eine Urkraft des Menschen ist, ist der Hass vor allem zerstörerisch. Im Gegensatz zu anderen Emotionen, wie etwa Wut, Zorn, Neid oder Rache, denen man allen mitunter auch etwas Positives abgewinnen kann, sieht Haller den Hass ausschließlich negativ, als böseste, kälteste, destruktivste und rücksichtsloseste Emotion.

Am ehesten näheren kann man sich dem Begriff, wenn man das Gegenstück, die Liebe heranzeiht, sagt Professor Reinhard Haller. Hass klingt nicht ab, er verraucht nicht, er ist unaufhörlich. Haller sieht insofern die Leidenschaft als beste Definition, denn eine Leidenschaft treibt uns unaufhörlich, man kann sich kaum davon lösen.

Hass ist letztendlich immer ausgerichtet auf Vernichtung des anderen, sagt Haller. Das ist sein Wesensmerkmal. Er resultiert aus der Angst vor Liebesmangel, vor fehlender positiver Resonanz. Die positive Empathie wird ausgeschaltet. Hass hat auch immer mir Grausamkeit zu tun. Die heutigen Formen des Hasses haben eine moderne, eine versteckte Form bekommen und sind somit oft weniger blutig (man denke an den Hass im Internet), aber sie haben eine neue Qualität erreicht. Haller nennt das Beschuldigen, das Beschämen und das toxische Schweigen. Da hat sich heute eine Unkultur breitgemacht, stellt Psychiater Haller fest.

Zu Hass braucht es immer auch eine böse Idee, alle anderen Gedanken und Gefühle werden dadurch übertönt. Im Gegensatz zur Wut, die schnell aufkocht, entwickelt sich Hass langsam, er kommt schleichend.

Ursachen, Auslöser und Wurzeln

Hass hat immer zu tun mit dem Aggressionstrieb, er ist eine nach Außen gewandte Form des Todestriebes. Am Anfang steht immer die Angst des Liebesverlustes, der Liebesverweigerung, des Leibesentzuges. Das führt zu Angst und in weiterer Folge zu Ohnmacht. Ohnmacht – sagt Professor Haller – ist der Boden des Hasses. Wenn man ohne jegliche Macht ist, schießt dieser primitive Reflex ein.

Es gibt im Alltag viele kleine potentielle Auslöser, die oft viel zu wenig beachtet werden: Rainhard Haller nennt die Kränkung, die Enttäuschung, die Entwertung und die Benachteiligung. Große Wurzeln des Hasses sind laut Haller der Neid, die Gier, die Rache und die Eifersucht. Hass entsteht also, er ist nicht angeboren.

Vom Hass gibt es einige spezielle Formen, etwa den Hass, der sich gegen einen selbst richtet. Der Selbsthass entsteht durch eine falsche Erziehung, indem sich ein mangelnder Selbstwert breit machen kann. Es gibt auch einen enormen, schädlichen Zwang zur Selbstoptimierung, sagt Psychiater Reinhard Haller –z.B. Schönheitsideale, die man erreichen will. Die intensivste Form des Selbsthasses ist der Suizid.

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 18. Juni 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Frauenmorde

Gerichtsgutachter Reinhard Haller stellt vor allem eine gravierende Veränderung fest, wie die Morde verübt werden und wie die Täter dazu stehen. Seit etwa 3 bis 4 Jahren seien es weniger Beziehungstaten die aus dem Affekt, einem emotionalen Streit heraus, zu Hause passieren. Nunmehr sei es so, dass die Männer die Tat oft eiskalt planen, den Frauen etwa vor der Arbeit, dem Kindergarten oder einem Supermarkt auflauern und sie regelrecht öffentlich hinrichten, schildert Haller. Zudem würden die Täter nunmehr – anders als noch vor ein paar Jahren – meistens keine Reue mehr zeigen, mitunter seien sie danach richtig stolz auf ihre Tat. Insofern sei auch die Täterarbeit wichtiger geworden. Man muss Männern etwa das Gefühl geben, dass sie auch Gekränktheiten ansprechen und zugeben dürfen, sagt Haller – und dass das Bild des schwachen Mannes, kein schlechtes ist.

Hass im Internet

Eine ganz spezielle Form des Hasses gibt es erst verhältnismäßig kurz, sie nimmt aber drastisch zu: Der Hass im Internet. Der renommierte Psychiater Dr. Reinhard Haller sieht darin ein gewisses Ventil oder auch das kleinere Übel im Vergleich zu real ausgeführten Hassdelikten. „Mir ist lieber man schreibt im Internet ‚Der Haller ist ein Schwachkopf‘, als man rammt mir ein Messer in die Brust“, sagt Reinhard Haller. Das Internet dient auch der Aggressionsabfuhr, dürfe aber natürlich nicht zum rechtsfreien Raum werden. Diese Gratwanderung sei schwierig.

Maßnahmen gegen Hass

Professor Haller sieht aber auch Möglichkeiten etwas gegen Hass zu tun. Seiner Ansicht nach ist das Wissen eine Macht im Kampf gegen das bösartigste aller Gefühle. Und es wäre wichtig den Hass offen zu benennen: Transparenz, Ursachenanalyse und die Darstellung des Hasses seien die einzig halbwegs wirksamen Mittel.
Man sollte sich auch trauen seine Hassgefühle anzusprechen., denn durch das offene Benennen verliert diese Aggression bereits eine gewissen Schrecken. Es wäre wichtig – sagt Haller – die Folgen des Hasses auch für sich selbst zu bedenken, den Hass isoliert, man vereinsamt. Bei Hassideen sollte man auch jenen Menschen ganzheitlich betrachten, dann wäre Hass nicht möglich, glaubt Haller, weil dann das Schutzschild der Empathie vorhanden wäre. Hilfreich sind auch Toleranz, Gelassenheit und letztendlich auch der Humor, der viele Situationen entschärft.