Hände tippen auf der Tastatur eines Laptops
ORF.at/Zita Klimek
ORF.at/Zita Klimek
„Focus“

Von der Steinzeit ins Internet

Unter den modernen digitalen Techniken leidet nicht nur die Kommunikation, sondern auch das Sozialverhalten der Menschen. Das zeigt Hirnforscher Lutz Jäncke in seinem Vortrag „Von der Steinzeit ins Internet“, der für die heutige „Focus“-Sendung beim Montagsforum in Dornbirn aufgezeichnet wurde.

Ausgehend von der Prämisse, dass sich der Mensch im Zuge der Evolution zu einem Sozialwesen entwickelt hat, für das die Kommunikation mit den Gruppenmitgliedern von herausragender Beduetung ist, leidet das Sozialverhalten der Menschen unter den Möglichkeiten der heutigen Technik: „Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes von Informationen überflutet, denen wir gar nicht mehr Herr werden“, sagt Jäncke.

Rasende Vernetzung erschwert Gehirn-Entwicklung

Der Neuropsychologe der Universität Zürich sagt, eine gesunde Entwicklung des Gehirns werde aufgrund der rasenden Vernetzung immer schwieriger. „So rapide und buchstäblich atemberaubend hat sich noch keine einzige Technik entwickelt. Und wir wissen noch nicht, wohin sie führt.“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 11. Juni 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

In nichts steckt der Mensch mehr Energie als in den Aufbau von Bindung, Kooperation und vor allem Vertrauen zu anderen Menschen. Dieses Vertrauen unter Menschen ist deswegen so wichtig, weil der größte Feind des Menschen der Mensch ist. Er besitzt zudem die Fähigkeiten (selbst die moralischen) sich selbst zu vernichten.

Entfremdung in der digitalen Welt

Während der Mensch in der Steinzeit kaum anderen Menschen begegnet ist, gibt es mittlerweile Milliarden Artgenoss:innen. 1815 wurde erstmals die Milliarden-Grenze überschritten, jetzt stehen wir bei bald 8 Milliarden Menschen.

„Bislang war der Mensch es gewohnt von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, das sitzt tief in uns drinnen“, sagt Neuropsychologe Jäncke. Durch die digitale Welt droht der Mensch sich nun von den anderen aber zu entfremden, befürchtet der Zürcher Universitätsprofessor.

Lutz Jäncke
Lutz Jäncke
Hirnforscher Lutz Jäncke

Instinkte bestimmen das Verhalten

Wir Menschen tragen noch alte Instinkte in uns, die unser Verhalten bestimmen. In der Neuzeit kommen allerdings technische Errungenschaften auf uns zu, für die wir nicht geschaffen sind. Das schwierige dabei: Die Erfindungen der modernen Welt nehmen explosionsartig zu.

Smartphones und Tablets haben die Welt verändert. Sie verändern die Art, wie wir Medien konsumieren, sie verändern das Schulwesen, sie haben vor allem – sagt Jäncke – zu einer kulturellen Veränderung geführt – und das innerhalb kürzester Zeit. Noch nie in der Menschheitsgeschichte hat sich eine technische und kulturelle Revolution in einer derart kurzen Zeit abgespielt, wie in den letzten 15 Jahren.

Smartphones werden enorm oft genutzt

Buchtipp:

Buchcover „Von der Steinzeit ins Internet“
Lutz Jäncke
„Von der Steinzeit ins Internet. Der analoge Mensch in der digitalen Welt“ von Lutz Jäncke

Das Nutzungsverhalten ist enorm. Lutz Jäcke liefert Zahlen: Zwei Drittel aller Menschen auf der Welt verwenden Smartphones. Die Mobiltelefone sind mittlerweile die wichtigsten Geräte der Menschen geworden: Selbst Flüchtlinge aus den ärmsten Ländern, die oft nichts dabeihaben – weder Pass noch Geburtsurkunde – ein Smartphone tragen sie mit sich. 60 Prozent der Menschen sind regelmäßige Internetuser. Fast sechs Stunden pro Tag ist ein Durschnittsösterreicher im Internet unterwegs. Die Hälfte aller Menschen sind in sozialen Medien vertreten.

Mitunter nutzen wir auch gleich mehrere Apps parallel. Multi-Tasking ist in. Professor Jäncke warnt aber: Wenn man den ganzen Tag bombardiert wird mit vielen interessanten Reizen, dann werde diese vielen Reize dazu führen, dass man sich ihnen hingibt. Dann schaltet das Gehirn um in einen „Lazy Brain“ -Modus, das Gehirn wird träge. Dann werden wir zu den Sklaven der Reize.

Wir haben – sagt Neuropsychologe Jäncke – heute in der Internetwelt hochgradig faszinierende Reizangebote, dass es uns schwer fällt denen zu widersetzen: Auf alle Rezeptoren, die wir verfügen, prasseln pro Sekunde 11 Millionen Bit ein. 11 bis 60 Bit davon – nur einen Klitzekleinen Teil – können wir als Menschen bewusst verarbeiten. Was unterbewusst ins Hin hineingepumpt wird, könne man, nur schätzen, sagt Professor Jäncke.

Digitale Welt als Gefahr für Verrohung und Abstumpfung

Die digitale Welt bietet natürlich – so genial sie technisch auch ist- viel Irrsinn und Mist, verbunden mit der Gefahr der Verrohung und Abstumpfung. Das Hirn reagiert oft gar nicht mehr auf gewisse Reize. Das Bedrohliche für Professor Jäncke: Die Menge des Mists hat exponentiell zugenommen und ist deutlich größer als die sinnvollen Dinge, die man im Internet finden kann. Dieser Mist trifft auf unser Verhaltensinventar. Wir sind ja mitunter auch aggressive Menschen und das stimuliert gewisse Dinge in uns. Mobbing, Shitstorms und Beleidigungen im Internet sind für Jäcke typische Beispiele.

Das Stirnhirn – der Frontalkortex – soll versuchen sich gegen Irrelevantes zu wehren. Das ist laut Jäncke heute in Gefahr. Diese Selbstdisziplin müssen wir wieder üben und trainieren. Wir müssen – sagt Jäcke – wieder die Kontrolle haben, selbst zu wählen., was wir sehen, lesen und hören wollen und nicht nur das verarbeiten, was sich uns aufdrängt.