Buchcover: „Die Scham – Das geheimnisvolle Gefühl“ von Wilfried Ehrmann
Wilfried Ehrmann
Wilfried Ehrmann
„Focus“

Wilfried Ehrmann: „Scham“

„Die Scham – das geheimnisvolle Gefühl“ lautet der Titel eines Buches von Psychotherapeut Dr. Wilfried Ehrmann. Im Rahmen der Reihe „Wissen fürs Leben“ hielt er darüber einen Vortrag in der Arbeiterkammer Feldkirch, den Georg Fabjan diese Woche in der ORF-Reihe „Focus“ präsentiert.

Es gibt ein Gefühl, das sich oft unbemerkt in unser Alltagsleben einmischt, unsere Handlungen bestimmt und unsere Stimmungen beeinflusst. Forscher sagen sogar, es sei die Hauptemotion des täglichen Lebens: Die Scham.

Sie wurde lange Zeit in der Therapie wenig beachtet, und in der Wissenschaft wenig erforscht. Untersuchungen haben nun aber ergeben, dass die Scham die vorherrschende Ursache für emotionalen Stress ist, mit wesentlich stärkeren Wirkungen auf das seelische Ungleichgewicht als beispielsweise Wut, Trauer oder Angst.

Wilfried Ehrmann
Wilfried Ehrmann
Dr. Wilfried Ehrmann

Bedeutend für unser Zusammenleben

Die Scham regelt unseren Selbstwert und unser Sozialverhalten. Sie ist bedeutend für unser menschliches Zusammenleben. Der Sinn der Scham ist auch unser Verhalten in sozialen Gefügen zu bewerten. Wenn wir also Grenzen eines anderen überschreiten, meldet sich sofort das Schamgefühl. Schamvergessenheit bedeutet Sozialvergessenheit, sagt Wilfried Ehrmann. Wenn wir die Fähigkeit, uns zu schämen, verlieren, werden wir sozial unempfindlich, dann sind wir nicht mehr fähig wahrzunehmen, was unser Verhalten anderen antut. Menschen sind von Anfang an Gruppenwesen – daher ist dieses Gefühl so wichtig. Die Scham ist der Sensor für das Gedeihen der sozialen Zusammenhänge.

Scham braucht ein empathisches Gegenüber

Die Scham bleibt aber häufig im Hintergrund und wird leicht übersehen. Dabei hat sie eine Appellfunktion und will den anderen zeigen, dass da jetzt was aus dem Ruder gelaufen ist, dass man Akzeptanz braucht. Die Scham braucht dazu ein empathisches Gegenüber, ein Gegenüber, das spüren kann, dass etwas Dramatisches passiert ist. Es muss jemand sein, der wieder Halt und Sicherheit geben kann.

Buchcover: „Die Scham – Das geheimnisvolle Gefühl“ von Wilfried Ehrmann
Wilfried Ehrmann
Scham – Das geheimnisvolle Gefühl; Tredition Verlag 2020; ISBN: 978-3-347-10607-9

Scham ist auch ein Korrektiv

Auch wenn es zu einem Machtmissbrauch kommt und man etwa in seine eigene Tasche wirtschaftet, meldet sich die Scham und sagt quasi: „Hör auf damit!“. Auch die Gesellschaft meldet sich und sagt „Das geht so nicht!“. Das hat auch seinen Sinn – sagt Ehrmann – weil das Sozialgefüge davon abhängt, dass die Willkür einzelner begrenzt ist. Scham ist eben auch ein Korrektiv, sie ist notwendig, andernfalls würden wir in einer „Gesellschaft der Unverschämten“ leben, sagt Wilfried Ehrmann.

Man muss sich selbst verzeihen können

Wilfried Ehrmann zeigt auch Auswege aus Problemen auf, die die Scham hervorruft. Wichtig ist vor allem, dass man sich selbst verzeihen kann. Man muss sich selbst so akzeptieren, wie man ist – mit seinen Stärken und Schwächen.

Zur Person: Dr. Wilfried Ehrmann.

  • Geboren 1953 in Schärding, Oberösterreich
  • Studierte Philosophie, Geschichtswissenschaft, Pädagogik und Geschichte in Wien
  • Seit gut 30 Jahren als Psychotherapeut in Wien tätig mit den Schwerpunkten Atemarbeit, Trauma- Heilung und Pränataltherapie
  • Vorträge und Seminare im In- und Ausland, mehrfacher Buchautor
  • Seit 1991 Herausgeber der ATMAN-Zeitung – Fachzeitschrift für Atemarbeit und Atemtherapie

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 14. Mai 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr